Oury Jalloh – das war Mord!

Oury Jalloh wurde am 2. Juni 1968 in Kabala, Sierra Leone, geboren. Er floh vor dem Bürgerkrieg in Sierra Leone und kam im Jahr 2000 nach Deutschland und lebte in Dessau.

Vor 18 Jahren verbrannte er in einer Gewahrsamszelle des Polizeireviers Dessau unter – nach wie vor – ungeklärten Umständen. Bis heute sind die genauen Hintergründe des Todes ungeklärt. In zwei Prozessen wurde im Urteil festgestellt, dass sich Oury Jalloh selber angezündet haben soll. Ein Polizist war 2012 wegen fahrlässiger Tötung durch Unterlassen zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Fakt ist aber: Oury Jalloh hat sich nicht selbst anzünden können, denn seine beiden Hände waren auf dem Rücken gefesselt. Trotzdem hatte 2017 die Justiz ihre Ermittlungen eingestellt. 2018 wurden von Sachsen-Anhalts Landtag zwei Sonderberater eingesetzt. Sie sollten den Fall aufarbeiten. Der Rechtsanwalt Jerzy Montag und der ehemalige Generalstaatsanwalt Manfred Nötzel sichteten Polizei- und Justizakten. Sie kamen im Sommer 2020 zu dem Ergebnis, dass es keine neuen Ansätze gibt, um wegen Mordes oder Mordversuchs zu ermitteln. Sie stellen aber Rassismus sowie Versagen und Fehlleistungen von Justiz und Polizei fest. Im November 2021 kam das Gutachten eines britischen Brandexperten zu dem Schluss, dass Oury Jalloh von Polizisten angezündet worden ist. Im November 2021 wurden die Ergebnisse eines neuen unabhängigen forensischen Gutachtens veröffentlicht. Tatortgetreu wurde die Zelle des Dessauer Reviers rekonstruiert. Diese wissenschaftlichen Versuche zeigen erneut, dass Oury sich nicht selbst angezündet haben kann. Er muss vor seinem Tod mit Brandbeschleuniger übergossen, also ermordet worden sein. Seit langem kommen alle Sachverständigen immer zum gleichen Ergebnis: Es ist ausgeschlossen, dass er sich selbst angezündet hat. Auch das radiologische Gutachten aus dem Jahr 2019, welches belegt, dass Oury vor seinem Tod ein Schädelbruch sowie mehrere Rippenbrüche zugefügt worden waren, passt genau in dieses Bild.

Genau deshalb demonstrierten am 7. Januar 2023 etwa 1.500 Menschen in Dessau. Um daran zu erinnern: No justice, no peace!

Bei der Auftaktkundgebung sagte Mouctar Bah von der Initiative Gedenken an Oury Jalloh, dass sich 2005, direkt nach dem Tod Jallohs, nur 25 Menschen vor der Polizeiwache versammelt hatten. Heute kann ich euch nicht alle zählen. Damals haben sie uns für verrückt erklärt, haben gesagt, dass es so etwas in Deutschland nicht gibt.

Der aus Guinea angereiste Bruder Jallohs dankte ausdrücklich den zahlreichen Unterstützer:innen: Dies gebe der Familie des Opfers die Kraft, den juristischen Kampf fortzusetzen.

Warum musste Amad Ahmad sterben? Diese Frage stand auf einen Plakat. In diesem Fall ging es um das Schicksal eines Syrers, der 2018 in einer Zelle in Kleve verbrannt war, nachdem er dort nur wegen einer angeblichen Verwechslung inhaftiert war.

Eines der Transparente erinnerte neben Oury Jalloh auch an die Fälle von Hans-Jürgen Rose (1997) und Mario Bichtemann (2002), die ebenfalls im Dessauer Polizeigewahrsam bzw. kurz nach der Entlassung von dort verstorben waren.

Die Demonstration führte zum Polizeirevier in die Wolfgangstrasse 25 entlang an den Orten des Verschleierns und des Vertuschens, unter anderem am Amtsgericht, am Landgericht und an der Staatsanwaltschaft Dessau. Hier wurden leere Feuerzeuge vor den Eingang geworfen und ausgeschüttet. Sie stehen symbolisch für die eklatante Manipulation und Nichtbeachtung wichtiger Beweisstücke für den Mord an Oury Jalloh.

Die Polizei war mit einem Großaufgebot im Einsatz, unterstützt von Polizist:innen aus anderen Bundesländern und der Bundespolizei.

In einer Rede vor der Staatsanwaltschaft bringt Brother Mwayemudza von der Black Community Coalition for Justice & Self-Defence, lange Zeit selbst Mitglied der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, die ganzen Abstrusitäten bei den staatlichen Ermittlungen im Fall Oury Jalloh auf den Punkt.

Hier die Rede in Auszügen:

Das nenne ich Beweismittelmanipulation, Beweismittelunterdrückung. Aber das alles hat noch nicht gereicht, da man ja kein Feuerzeug gefunden hatte, brauchte es dieses noch. Das hat man dann noch dazu gefügt, drei Tage später tauchte das angeblich in einer der Brandschutztüten auf. Und man war glücklich, man hat das Feuerzeug. Man braucht das Feuerzeug auch nicht zu untersuchen. Es ist ja aus der Brandschutztüte gefallen. Man hat das erst 9 Jahre später untersucht und festgestellt, da ist nichts, aber auch gar nichts dran, was aus dieser Zelle stammt. Da ist nichts von der Matratze, nichts von Ourys Kleidung, nichts von Oury Jalloh dran. Da sind Sachen dran, die nicht in dieser Zelle waren, in einer Konstellation, die auch jeden irgendwie stutzig machen sollte. Da sind verbrannte Fasern eingeschmolzen, da sind unverbrannte Fasern eingeschmolzen, und thermisch völlig unbelastete Fasern kleben oben drauf, plus Tierhaare, plus DNA von einem weißen Männlichen, ja… Was ist die Schlussfolgerung von den hochbezahlten, intelligenten Menschen mit Abitur und Jura, Studium und Berufserfahrung?: ‚Der Mensch in dem Spurenlabor muss das Feuerzeug ohne Handschuhe angefasst haben.‘ Also, da muss man jetzt erst mal drauf kommen, dassjemand, der forensische Spuren untersucht, die Spuren ohne Handschuhe anfasst und seine eigene DNA da dran bringt. Wenn das wirklich so wäre, wenn die Staatsanwaltschaft das wirklich annimmt, wenn das Gericht das wirklich so annimmt, dann sollte man das LKA Sachsen Anhalt schlicht und ergreifend dichtmachen. Die Strategie der Staatsanwaltschaft hat im wesentlich darin bestanden durch diese Manipulation, hinzufügen und verschwinden lassen von Beweismitteln dafür zu sorgen, dass die Anklage vor Gericht beschränkt werden kann auf unterlassene Hilfeleistung…

Und die Menschen, die aus kolonialisierten Länder kommen, kennen es noch viel länger und in ganz anderen Ausmaßen, was da abgegangen ist und es ist alles straflos geblieben. Diese Kontinuität ist, was wir uns klarmachen müssen, das ein Rechtsstaat nicht existiert, solange so getan wird, als ob das völlig normal ist, das mordende Bullen nicht zur Verantwortung gezogen werden dürfen. Das ist ein Dogma. Und solange das Dogma existiert, gibt es keinen Rechtsstaat. Und da haben wir sehr viel zu tun, das zu ändern und ich rufe euch alle auf: seid mit dabei, wenn es losgeht, bei den racial profiling-Kontrollen, bei Übergriffen von Bullen auf andere Menschen, egal wie die aussehen. Seid Zeugen, macht Aufnahmen. Stellt euch zur Verfügung, sagt denen Bescheid. Ihr seid keine Supermenschen. Ihr seid einfach nur uninformierte Uniformierte. In diesem Sinne: Oury Jalloh, das war Mord! Und das werden wir euch nicht verzeihen und nicht vergessen!

http://de.indymedia.org/node/251441

Auch wir, von Trotz alledem! konnten eine Rede halten:

Liebe Genossen und Genossinnen, liebe Freunde und Freund:innen,

Respekt und Solidarität für die Freunde und Freundinnen und Angehörigen, die organisiert in der Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh für Aufklärung streiten. Diese Kämpfer und Kämpferinnen für Wahrheit und Gerechtigkeit werden mit Rassismus und Repression verfolgt, während die Verantwortlichen seit 18 Jahren den Mord an Oury Jalloh vertuschen, trotz offenkundiger Beweislage die Ermittlungen einstellen. Staatlich verordneter Täterschutz – in diesem Staat, der überhaupt den Rassismus hervorbringt und in den Köpfen der werktätigen Menschen nährt. Hier ist es nahezu unmöglich, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, weil es eben ihre Gesetze sind, weil es ihr Staat ist. Staat und Nazis Hand in Hand – organisiert den Widerstand! Das gilt in Dessau und überall! Oury ist kein Einzelfall. Wir klagen den Staat an, verantwortlich zu sein für den Tod in Polizeigewahrsam von Oury, Mario, Hans-Jürgen, Ahmad und Jaja… und und noch viele mehr. Kämpfen wir weiter – gegen Rassismus und Faschismus, gegen staatliche Unterdrückung.

Hoch die Internationale Solidarität!

Trotz alledem!

Ohne die Initiative wäre der Tod von Oury Jalloh längst vergessen worden.

Wir danken der Initiative und wünschen allen Kämpfer:innen weiterhin Kraft, Mut und Ausdauer.

Wir kommen wieder! Bis es Gerechtigkeit wenigstens für Oury Jalloh gibt.