Wie ist der Weg zur Befreiung Palästinas?

Zu unserem Artikel „Palästina: Gretchenfrage jeder demokratischen Politik“ und den „Thesen zur Palästina-Israelfrage“, veröffentlicht in Trotz alledem!, Nummer 80, Januar 2019 haben uns zwei Genossen der IA.RKP Österreich, Emil und Gunter verschiedene Kritikpapiere geschickt. Wir danken den Genossen für ihre Kritiken, auch wenn wir sie nicht teilen. Eine offene Debatte über diese Fragen wird uns vorwärts bringen. In den hauptsächlichen Kritikpunkten und in der Herangehensweise an die Palästinafrage gibt es eine weitgehende Übereinstimmung in diesen beiden Schriften. Wir veröffentlichen daher nur dieumfangreichere beider Schriften i, von Genossen Gunter mit unserer Entgegnung.

Beide Genossen haben die Kritiken vor allem zur gegenseitigen politischen Auseinandersetzung zwischen unseren Organisationen geschrieben und nicht unbedingt für eine Veröffentlichung. Sie haben aber auch nichts dagegen, wenn wir sie abdrucken.

Wir denken, dass in den unterschiedlichen Positionen der Debatte viele Fragen angeschnitten werden, die in der antiimperialistischen Bewegung aktuell sind. Daher ist eine Veröffentlichung richtig und produktiv.

Zunächst wollen wir vorweg auf zwei Kritikpunkte der Schrift von Emil „Kritische Anmerkungen zu Palästina in TA80/2019 (Emil, 16.02.2019)“, die wir nicht veröffentlichen, eingehen.

Der Genosse schreibt in seinen Anmerkungen zu unserem Artikel folgendes:

»1.„Palästina: Gretchenfrage jeder demokratischen Politik“. Von den „Antideutschen“ ist so eine Feststellung bekannt. Sie versuchen jede demokratische Bewegung, sei es gegen Frauenunterdrückung, gegen Zwangsräumungen, oder Abschiebungen zu spalten mit ihrer Frage: Wie stehst du zu Israel? und wenn du kritisch bist, dann brüllen sie „linke Antisemiten raus!“ Wir haben größere Differenzen zur Palästinapolitik von TA (wie auch von anderen Organisationen), aber wir sehen das eben nicht als „Gretchenfrage“ für eine enge Zusammenarbeit in der „demokratischen Politik“ an.»

Dazu wollen wir nur anmerken, dass wir hier den Begriff „Gretchenfrage“ nicht als „Frage für eine enge Zusammenarbeit in der ‚demokratischen Politik‘ oder nicht“ verwendet haben. Wir verwenden diesen Begriff um die Wichtigkeit der Haltung zu Palästina bei der Einschätzung einer Politik zu unterstreichen. Wir arbeiten mit vielen Menschen und Organisationen, deren Politik wir in etlichen Punkten falsch finden, in demokratischen, antifaschistischen, antirassistischen, anti-sexistischen Aktionseinheiten auch eng zusammen.

Ein weiterer Kritikpunkt von Emil lautet:

»These 2) Am „Ende des 19. Jahrhunderts … war es nicht möglich weltweit von einer jüdischen Nation zu sprechen.“ Eine weitere falsche Grundlage in These2, denn auch heute können nur Zionisten oder Antisemiten „weltweit von einer jüdischen Nation sprechen“ – vergleichbar vielleicht mit „Rasta-Nation“ oder „Nation of Islam“.»

In unserem Text ging es uns nicht darum, wie bürgerliche Kräfte die Nation definieren. Es geht uns hier um die marxistisch-leninistische Definition. Nach dieser ist es am Ende des 19. Jahrhundert nicht möglich, weltweit von einer jüdischen Nation zu reden. Aber wie wir in These vier ausgeführt haben, führten die besonderen Entwicklungsbedingungen in Palästina bis Ende des zweiten Weltkriegs zur Entstehung einer jüdischen Nation.

Kritik an den „Thesen zur Palästina-Israel-Frage“ und an
„Palästina: Gretchenfrage jeder demokratischen Politik“ 
1

(„Trotz Alledem“ Nr. 80)

Bei der Kritikschrift des Genossen Gunter, Initiative für den Aufbau einer Revolutionär-Kommunistischen Partei (Österreich), die wir in Gänze veröffentlichen, haben wir in seinem Text unsere Entgegnungen/Antworten eingefügt. Uns ist bewusst, dass das eine gewisse Herausforderung an unsere LeserInnen darstellt, dabei den Überblick zu bewahren. Aber wenn wir die Kritikschrift in Gänze und dann unsere Kritik daran veröffentlicht hätten, wäre aufgrund der vielen Zitate und Verweise eine noch unübersichtlichere Antwort herausgekommen.

Kritik Genosse Gunter:ii

In diesen beiden Texten wird eine „gangbare“, nicht „völlig naive, illusorische“ „Lösung“ der Palästina-Frage (S. 53 und S. 57) und insbesondere die imperialistische „Zwei-Staaten-Lösung“ propagiert. Diese für Kommunisten überraschende und noch dazu mit viel Verve propagierte Position paart sich andererseits mit der Feststellung, dass es „im Kapitalismus keine gerechte Lösung der nationalen Frage und keinen dauerhaften Frieden geben (kann)“ (These 8). Letzteres ist richtig – aber es gilt nicht nur, solange es Kapitalismus gibt, sondern auch solange der zionistische Staat als Vorposten des Imperialismus im Nahen Osten besteht. Das Hirngespinst der „Zwei-Staaten-Lösung“ ist nur ein imperialistisches und zionistisches Irrlicht. Sie aufzugreifen und zu unterstützen bedeutet Kapitulation vor der imperialistischen Propaganda.

Kommentar TA:

Das ist zusammengefasst die Essenz der Kritik des Genossen an unserem Palästina-Artikel und unseren Thesen. Sein Hauptvorwurf ist, dass wir die imperialistische Zwei-Staaten-Lösung propagieren würden.

Dazu wollen wir sagen: Es gibt in der Hauptsache zwei „Zwei-Staaten-Lösungen“ in der Palästina-Frage, über die sich zu reden lohnt. Alle anderen sind imperialistische Heucheleien. Wir haben dazu in einem Artikel „Freiheit für Palästina!“ in Trotz alledem!, Nr. 32/33, 2004 unsere politische Linie begründet. Im weiteren werden wir daraus ausführlich zitieren.

Die erste „Zwei-Staaten-Lösung“ ist auf der 125. Sitzung der UNO am 26. November 1947 zusammen mit den imperialistischen Mächten beschlossen worden. Die Frage an Gunter ist, ist sie deshalb eine imperialistische Lösung, weil die Imperialisten dieser zugestimmt haben oder ist sie eine richtige Lösung trotz der Zustimmung der Imperialisten. Wir denken, dass diese von der SU maßgeblich mit ausgearbeitete Lösung eine richtige Lösung war und heute immer noch ist.

Der damalige Vertreter der UdSSR in der UNO, Gromyko, erläuterte die Position der Delegation der UdSSR zu dieser Lösung wie folgt:

«„Die Erfahrung aus dem Studium der Palästina-Frage einschließlich der Erfahrung des Sonderausschusses, hat gezeigt, daß die Juden und Araber in Palästina nicht wünschen oder nicht in der Lage sind, zusammen zu leben.

Der logische Schluß folgte, daß, falls diese beiden Völker, die Palästina bewohnen und die beide tiefverwurzelte historische Bindungen zu diesem Land aufweisen, nicht zusammen innerhalb der Grenzen eines einzigen Staates leben können, es keine Alternative dazu gibt, anstelle eines Landes zwei Staaten – einen arabischen und einen jüdischen – zu bilden. Dies stellt aus der Sicht unserer Delegation die einzige praktikable Lösung dar.“

Gromyko verwies – gegen die Meinung der arabischen Staaten, dass die Teilung eine historische Ungerechtigkeit sei – außerdem noch mal darauf hin, dass „die Juden als Ergebnis eines vom Hitler-Deutschland entfesselten Krieges mehr als jedes andere Volk“ gelitten haben.

Die Delegation der UdSSR ist weiterhin der Meinung, daß die Entscheidung, Palästina zu teilen, sich im Rahmen der hohe Prinzipien und der Ziele der Vereinigten Nationen bewegt. Diese Entscheidung entspricht auch dem Prinzip des nationalen Selbstbestimmungsrechts der Völker.“ (Protokoll der 125.Tagung der UNO, 26.11.1947).»iii

Der Ausgangspunkt der damalig sozialistischen UdSSR war die Anerkennung der Tatsache, dass Palästina 1947 von zwei verschiedenen „Völkern“ bewohnt wurde, die beide das Recht auf einen eigenen Staat hatten. Das heißt nichts anderes, als dass die Sowjetunion von der Existenz einer arabischen und einer jüdischen Nation in Palästina ausging.

Dazu führt Gromyko aus: „Es ist wesentlich, die unbestreitbare Tatsache im Kopf zu haben, daß die Bevölkerung Palästinas aus zwei Völkern, den Arabern und den Juden besteht. Beide haben historische Wurzeln in Palästina. Palästina ist das Heimatland dieser beiden Völker geworden, jedes spielt eine wichtige Rolle in der Wirtschaft und im kulturellen Leben des Landes. Weder die historische Vergangenheit, noch die gegenwärtigen Bedingungen in Palästina können irgendeine einseitige Lösung des Palästina-Problems rechtfertigen. … Eine gerechte Lösung kann nur erreicht werden, wenn den legitimen Interessen beider Völker ausreichend Beachtung geschenkt wird.iv

Diese erste „Zwei-Staaten-Lösung“ ist aus der Situation entwickelt worden, dass ein „unabhängiger, dualer, demokratischer, homogener arabischer, jüdischer Staat“ Palästina, von Vertretern der beiden Bevölkerungsgruppen nicht akzeptiert wurde. Das war die „einzige praktikable Lösung“. Diese „Zwei-Staaten-Lösung“ in den 1947 vorgesehenen Staatsgrenzen ist nach wie vor die vorübergehende Lösung der Palästina-Frage, die wir KommunistInnen vertreten.

MarxistInnen-LeninistInnen, die diese Lösung ablehnen, müssen zuerst begründen, dass die Haltung und Entscheidung der UdSSR falsch war. Sie müssen begründen, warum sie das Selbstbestimmungsrecht der Jüdinnen und Juden auf einen eigenen, wenn auch bürgerlichen Staat in Palästina ablehnen, ohne sich ins Fahrwasser der arabischen Reaktion und des Antisemitismus zu begeben.

Die zweite „Zwei-Staaten-Lösung“ der Palästinafrage wird von der PLO seit 1974 eingefordert. Diese erkennt das Existenzrecht des Staates Israel an und sieht die Gründung eines palästinensisch arabischen Staates in den Grenzen vom 04. Juni 1967 und den Rückzug aller jüdischen Siedlungen aus diesem Gebiet vor.

Zu dieser zweiten, von der palästinensischen Bourgeoisie vertretenen Lösung lautet unsere Position in dem Artikel: „Die Forderung der PLO … kann tatsächlich ein Schritt zum vorübergehenden Frieden sein. Insofern brächte eine solche vorübergehende Lösung sowohl den palästinensisch arabischen Massen als auch den jüdischen Werktätigen in Israel eine Verbesserung ihrer Lage und Kampfbedingungen. Aber diese Verbesserung beinhaltet keine entscheidenden, vorwärtsbringenden Forderungen für das palästinensische Volk.

Die 1967er Lösung ist wenn überhaupt der allerminimalste, aber selbst unter zionistischer Besatzung schwerst erreichbare Lösungsansatz, der keineswegs das Recht der palästinensischen Nation auf Selbstbestimmung verwirklicht für eine tatsächlich demokratische Lösung der nationalen Frage. Auch viele Linke in der BRD stellen sich hinter die Forderung der PLO und fordern für heute ein Palästina in den Grenzen von 1967.

Diese Forderung ist unserer Meinung nach völlig unzureichend. Ein palästinensischer Staat in den Grenzen von 1967, also in den besetzten Gebieten, wäre überhaupt nicht überlebensfähig. Die Gebiete sind nicht zusammenhängend, die Wirtschaft wäre wie heute total abhängig. Wie soll man nach Palästina, wenn PalästinenserInnen die israelischen Straßen nicht benutzen dürfen? Die palästinensische Industrie liegt am Boden, die Landwirtschaft ist zerstört, die Plantagen dem Erdboden gleichgemacht, der Boden ausgelaugt und dürr … . Hinzu kommt, dass die Gebiete der Westbank mittlerweile vom Staat Israel, der seit der 2. Intifada mit dem Mauerbau und der Zubetonierung vom Gaza die Fakten für den künftigen palästinensischen Staat schafft, eingemauert werden. Was soll das für ein Staat sein, der nichts ist, als ein Stück zerstörtes Land, mit einer Mauer drumherum? Was soll das für ein Leben für das palästinensische Volk sein, die dann auch nicht viel mehr haben, als wie heute das Recht unter Bewachung zu atmen? Wenn wir heute etwas fordern, dann kann das nur sein: die Beendigung des Krieges, der Rückzug des israelischen Staates und seiner Siedler aus den besetzten Gebieten und das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge.

Damit die PalästinenserInnen einen überlebensfähigen Staat gründen können, müssen sie mindestens über einen Staat in den Grenzen von 1947, also des UN-Teilungsbeschlusses, verfügen können. Diese Forderung wäre eine Lösung, die nationale Frage in den Hintergrund treten zu lassen und den Klassenkampf auf die Tagesordnung zu bringen. Auf Dauer kann jedoch nur ein vereinigtes, unabhängiges sozialistisches Palästina, das friedliche Zusammenleben aller in Palästina lebenden Völker garantieren.“v

Andere Vorschläge und Pläne zu verschiedenen „Zwei-Staaten-Lösungen“ werden von diversen imperialistischen Kräften favorisiert, die alle die zionistischen Siedlungen in den besetzten Gebieten nach 1967 als legitim anerkennen. Über diese „Lösungen“ haben wir nicht diskutiert, weil diese von vorneherein völlig indiskutabel sind. Das sind tatsächlich „imperialistische Irrlichter“. Wir haben mitnichten ein „imperialistisches Irrlicht“ der Zwei-Staaten-Lösung vertreten, sondern fordern eine Zwei-Staaten-Lösung, die in dem Beschluss der UN von 1947 als „vorübergehende Lösung“ entwickelt wurde.

Zu der zweiten „Zwei-Staaten-Lösung“, die von bedeutenden Kräften der palästinensischen Befreiungsbewegung vertreten wird, sind wir der Meinung, dass dies ein Schritt zu einem vorübergehenden Frieden sein kann. Aber mehr nicht! In dem von Genossen Gunter kritisierten Artikel in Trotz alledem! Nr. 80 haben wir nicht umsonst auf den längeren Artikel von 2004 in TA Nr. 33/34 verwiesen.

Genosse Gunter kritisiert hier eine Position, die er uns zuschreibt, die aber nicht unsere ist. Diese Art von „Kritik“ ist zwischen marxistisch-leninistischen GenossInnen, Organisationen nicht korrekt. Wir sind für Polemik und offene Debatte, auch zugespitzt und hart, aber bitte zutreffend.

Kritik Genosse Gunter:

Mit einem kühnen Bogen über sieben Jahrzehnte wird ein Bogen gespannt von dem behaupteten Bestehen einer jüdischen Nation zum Zeitpunkt der Gründung Israels 1948 vi bis zum Eintreten für die heutige imperialistische „Zwei-Staaten-Lösung“. TA stützt seine Unterstützung der „Zwei-Staaten-Lösung“ maßgeblich auf die zumindest zweifelhafte Behauptung einer „jüdischen Nation“ im Jahr 1948: „damit“, wird mehrfach betont, sei das Recht auf einen eigenen Staat in Palästina gegeben.

Die Logik dieses Argumentationsbogens erschließt sich mir nicht. Man muss überprüfen, erstens die Frage der „jüdischen Nation in Palästina“ 1948, zweitens wie sich diese Frage in weiterer Folge und bis heute entwickelte, drittens, ob sich daraus das „Existenzrecht des Staates Israel“ ergibt und viertens, ob daraus die imperialistische „Zwei-Staaten-Lösung“ ab­­ge­leitet werden kann.

Kommentar TA: Die Hauptfrage hier, die uns von dem Genossen trennt, ist die Frage des Existenzrechts des Staates Israelals die staatliche Organisation der JüdInnen in Palästina. Alle anderen Fragen hängen mit dieser Frage zusammen. Für Gunter hat der Staat Israel – im Unterschied zu anderen existierenden bürgerlichen Staaten – kein Existenzrecht. Wer eine „Zwei-Staaten-Lösung“, in welcher Form auch immer, zulässt, befindet sich für ihn von vornherein in der Position „Kapitulation vor der imperialistischen Propaganda“.

Kühne These, die sich zugleich gegen die kommunistische Haltung der damaligen sozialistischen UdSSR bei der Gründung des Staates Israel richtet!

Kritik Genosse Gunter:

1. Jüdische Nation: Die „jüdische Nation in Palästina“ des Jahres 1948 ist der Ausgangs- wie auch der Dreh- und Angelpunkt der Argumentation. „Nach dem Zweiten Weltkrieg betrug die jüdische Bevölkerung in Palästina ca. ein Drittel der Gesamtbevölkerung. Gemessen an den marxistischen Kriterien einer Nation (Gebiet, Kultur, Sprache, Wirtschaft und historische Gemeinschaft) bildete die jüdische Bevölkerung in Palästina Ende des Zweiten Weltkriegs weitgehend eine Nation. Das Recht der JüdInnen auf einen Staat in Palästina war damit gegeben.“ (These 4) 
Gemessen an den marxistischen Kriterien sind diesbezüglich erhebliche Zweifel angebracht.

Die historische Gemeinschaft trifft nicht zu, da der weitaus überwiegende Teil erst in der zweiten Hälfte der 1930er und in den 1940er Jahren einwanderte, also eine ganz andere Historie hatte und Teil anderer Nationen war. Sie hatten vielmehr eine russische/polnische, sefardische und türkische, westeuropäische usw. Geschichte. Nur eine Minderheit war in Israel geboren worden vii.

Kommentar TA: Zu der Frage der gemeinsamen Geschichte vergisst der Genosse, dass die Jüdinnen und Juden überall in den Ländern, wo sie lebten immer als „Andere“ behandelt und ausgegrenzt wurden, antijüdischen Angriffen, bis hin zu Pogromen ausgesetzt waren. Egal ob sie russische, polnische, sephardische, türkische Geschichte hatten, waren sie als JüdInnen Teil dieser Geschichte. Sie wurden in dieser Geschichte als Jüdinnen und Juden höchstens „geduldet“. Sie durften bestimmte Berufe, Gewerbe, Landwirtschaft etc. nicht betreiben.

Kritik Genosse Gunter:

Zum Gebiet ist zu sagen, dass es sich um koloniale Siedlerenklaven handelte: von den etwa 650 000 waren – typische Erscheinung der kolonialen Ansiedelung in „Feindesland“! – 70% in Tel Aviv, Haifa und der „zentralen Region“, also in wenigen Zonen konzentriert viii.

Kommentar TA: Wo ist das Problem hinsichtlich des Territoriums in der Frage der Nation? Fakt war, dass die jüdische Bevölkerung sich in bestimmten Territorien konzentrierte. Bei der territorialen Teilung im Teilungsplan 1947 war das auch die Grundlage für die Grenzen des jüdischen und des arabischen Staates.

Kritik Genosse Gunter:

Zur gemeinsamen Sprache wäre anzumerken, dass keineswegs alle Einwanderer der hebräischen Sprache als Verkehrssprache mächtig waren (was übrigens bis heute so ist). 1948 konnte man, wenn man nicht zionistische Scheuklappen trug, nicht davon

ausgehen, dass es sich bei diesem jüdischen Flüchtlings- und Immigrantenkonglomerat um eine Nation handle ix – es sei denn man hätte die Gesamtheit aller auf dem Globus lebenden Juden für eine Nation gehalten.

Kommentar TA: Da vergisst der Genosse Gunter wiederum, dass JüdInnen überall in der Welt, durch die jüdische Religion, die die bestimmende Rolle in der gemeinsamen Kultur der Jüdinnen und Juden spielt, in der Sprache der Thora eine gemeinsame Sprache hatten. Sie beteten alle in der Sprache der Thora! Das in Israel zur Staatssprache entwickelte Hebräisch stützt sich zum großen Teil auf diese Sprache.

Kritik Genosse Gunter:

Es handelte sich um eine Kolonisierungsbewegung, als solche gedacht und als solche empfunden. Und es war eine imperialistisch induzierte Kolonisierungsbewegung. Sicher war sie auch aus dem erlittenen Antisemitismus und der Shoah gespeist, aber dennoch war sie in erster Linie ein imperialistisches Kolonialprojekt.

Kommentar TA: Hier geht der Genosse an der Tatsache vorbei, dass die JüdInnen, die 1947 ein Drittel der Bevölkerung in Palästina ausmachten, zum großen Teil Palästina als Fluchtpunkt vor Vernichtung gesehen haben. Und sie waren 1947 in Palästina, vor allem nicht als „Vorposten des Imperialismus“, sondern als jüdische Überlebende, Flüchtlinge, die eine sichere Heimstatt suchten. Dass die Imperialisten diese zum großen Teil erzwungene Migrationsbewegung ausgenutzt haben, um unter anderem die eigene „Judenfrage“ zu lösen und dann den Staat Israel als Vorposten im Gebiet verwenden konnten, liegt auch in der Schwäche der kommunistischen Bewegung – in Israel und international.

Die JüdInnen in Palästina hatten als eine große ethnische Gruppe, ja als eine eigene Nation in Palästina das Recht auf den eigenen Staat.

Was die „Kolonisierungsbewegung“ betrifft: Wenn man den Staaten, die als Ergebnis der Kolonisierung entstanden sind, „das Existenzrecht“ absprechen würde, müsste man heute Staaten wie die USA, Kanada, Australien etc. das „Existenzrecht“ absprechen.

Kann man machen. Das käme Don Quichottes Kampf gegen Windmühlen gleich. Das würde am Fakt, dass diese Staaten existieren und solange existieren werden, bis sie durch eine proletarische Revolution zerschlagen werden, nichts ändern.

Kritik Genosse Gunter:

2. Recht auf einen eigenen jüdischen Staat/Existenzrecht des Staates Israel: „Wie jede andere hat auch die jüdische Nation ein Recht auf einen eigenen Staat. Dieses Recht wurde durch die Gründung des Staates Israel in die Tat umgesetzt. Israel hat wie jeder andere bürgerliche Staat ein Existenzrecht. Solange bis dieser Staat durch eine proletarische Revolution zerschlagen wird.“ (S. 53) Und: „Das Recht der JüdInnen auf einen Staat in Palästina war damit (Anm.: mit der „jüdischen Nation“) gegeben.“ (These 4) Gesetzt selbst die These der „jüdischen Nation in Palästina“ wäre richtig und gesetzt weiter, ein „Recht auf einen eigenen Staat“, d.h. auf einen eigenen jüdischen Staat, wäre „damit“ gegeben – daraus ergibt sich noch lange nicht das Recht auf einen solchen Staat, dessen Vorgeschichte (in den 1930er Jahren) schon auf Mord und Vertreibung der dort lebenden arabischen Bevölkerung beruhte und dessen weitere Entwicklung bruchlos auf dieser Linie weiterging.

Einen Staat, der sein Staatsgebiet immer weiter expandierte, was sogar in Bezug auf das seinerzeitige UN-sanktionierte Recht auf Staatsgründung einen Bruch jeglichen Völkerrechts bedeutete, jenes Rechts, auf das sonst von den Imperialisten so gerne referenziert wird. Israel ist eben nicht ein Staat wie jeder andere, sondern ein Staat, dessen Fundament, als zionistischer und rassistischer Staat auf fremdem Boden, ja dessen Existenz selbst ein Unrecht war und ist.

„Existenzrecht des Staates Israel“ – das ist das „Existenzrecht“ dieses rassistischen und zionistischen Unrechtsstaates und dient nur dessen Rechtfertigung und Verteidigung. Es ist dies keineswegs gleichbedeutend mit der Frage des Rechts der jüdischen Bevölkerung Palästinas auf eine Form staatlicher Organisation (im Rahmen eines gemeinsamen demokratischen und laizistischen Staates der Juden und Araber in Palästina).

Kommentar TA: Interessante, aber auf keinen Fall kommunistische These! Also das Existenzrecht wird nur Nationen, die einen demokratischen Staat gründen, zugestanden! Und zwar solch ein demokratischer Staat, der nicht „auf Mord und Vertreibung der dort lebenden…Bevölkerung beruht“! Was machen wir dann mit den USA, Kanada, Australien zum Beispiel?

Laut Gunther sollten diese Staaten aber bitte nicht rassistisch sein, auf fremden Boden sich konstituieren etc. Was machen wir z.B. mit der Türkei? Diese soll kein Unrechtsstaat sein?! Das heißt im Umkehrschluss, faschistische Staaten haben kein Existenzrecht?

Der Genosse verliert sich im Gefecht gegen den zionistischen Staat Israel in einem Wirrwarr und landet am Ende objektiv in der Position der Idealisierung des bürgerlichen Staates überhaupt!

Er sieht nicht, dass alle bürgerlichen Staaten wesensgleich sind. Alle bürgerlichen Staaten sind „Unrechtsstaaten“. Sie sind auf der Vertreibung und Vernichtung anderer Völker und Ethnien, auf der Grundlage der Homogenisierung, auf dem Raub anderer Territorien errichtet worden. Dafür brauchen wir uns nur Deutschland anzuschauen. Genosse Gunter wird uns keine einzige Nation nennen können, die nicht diesen Weg gegangen ist!

Bürgerliche Staaten heute sind verschiedene Formen der Diktatur der Bourgeoisie! Israel ist ein bürgerlicher Staat und hat soviel Existenzrecht wie alle anderen auch! Alle müssen zerschlagen werden durch Revolutionen unter Führung des Proletariats.

Kritik Genosse Gunter:

3.Israelische Nation: Seit 1948 sind sieben Jahrzehnte vergangen und die Lage stellt sich anders dar als damals. Inzwischen hat sich in Israel eine spezifische Nation ausgebildet, die israelische Nation x. (Die etwa 20% arabischen Israelis sind einerseits eine nationale Minderheit in Israel, andererseits Teil der arabischen Nation xi.) Dies begründet ein Existenzrecht staatlicher Organisation der jüdischen Bevölkerung Palästinas, aber nicht das Existenzrecht dieses zionistischen Staates in seiner konkreten Ausprägung.

Kommentar TA: Das ist gelinde gesagt ein Widerspruch in sich! Also nach Genosse Gunter gibt es jetzt eine israelische Nation. Warum jetzt? Braucht es genau sieben Jahrzehnte nach der Gründung eines Nationalstaates, um von einer Nation zu reden, warum nicht z.B. nach einer oder zwei Dekaden?

Das zeigt, wie idealistisch und willkürlich er hier mit der marxistisch-leninistischen Theorie der Nation umgeht. Eine „israelische Nation“ hat das Recht auf staatliche Organisation. Aber sie darf nur einen Staat haben, der nicht zionistisch ist!

Nun die MarxistInnen-LeninistInnen gehen nicht von Wünschen sondern von konkreten historischen Gegebenheiten und von der Wirklichkeit aus. Fakt ist, dass nun die spezifische „israelische Nation“ die heutige konkrete Staatsform geschaffen hat und in diesem Staat lebt. Auch wenn wir ihm das Existenzrecht absprechen, existiert dieser Staat doch! Wie andere bürgerliche Staaten auch.

Das Existenzrecht Israels zu negieren, heißt entweder purem philosophischen Idealismus anzuhängen oder aber es ist politische Judenfeindschaft. Alle anderen Siedlerstaaten (z.B. USA, Kanada, Australien), alle faschistischen Staaten (Türkei, Iran etc.) haben ein Existenzrecht. Aber der jüdische Siedlerstaat hat dieses Recht nicht. Warum? Weil sie Juden sind!

Es gibt keine andere Antwort auf diese Frage!

Kritik Genosse Gunter:

4.Klassenkampf und Hauptwiderspruch in Palästina: In These 9 heißt es: „Das Ende des Krieges in Palästina und ein Friedensabkommen zwischen arabischen PalästinenserInnen und dem Staat Israel ist die Voraussetzung für die Entwicklung des Klassenkampfes in Israel und Palästina.“ Das ist ein falscher Ansatz. Der Hauptwiderspruch in Palästina ist nicht der zwischen jüdischer (plus arabischer) Bourgeoisie und jüdischer (plus arabischer) Arbeiterklasse. Die Klassenwidersprüche werden überlagert durch den nationalen Widerspruch zwischen dem unterdrückten palästinensischen Volk und dem zionistischen Staat als Kolonisator und Unterdrücker.

Kommentar TA: Das ist der einzige richtige Ansatz in dieser Frage. Genau deswegen ist ein Ende des Krieges für die Entwicklung des Klassenkampfes sowohl in Palästina als auch in Israel wichtig.

Kritik Genosse Gunter:

Die palästinensischen Massen (arabische Minorität auf israelischem Territorium und in den Expansionszonen, Westjordanland, Gaza) erleben tagtäglich, dass sie in erster Linie unmittelbar der israelischen Kolonialmacht gegenüber stehen. Es handelt sich für sie um einen nationalen Befreiungskampf gegen das Kolonialregime.

Sie können sich mit demokratischen und revolutionären jüdischen Kräften in Israel verbünden (und taten bzw. tun das auch immer wieder, solange die betreffenden jüdischen Genossen noch nicht im israelischen Knast landeten), aber sie führen einen anderen Kampf als den Klassenkampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie in Israel.

Das kann man bedauern, weil der „reine“ und nicht durch koloniale und nationale Unterdrückung „verschmutzte“ Klassenkampf einfacher wäre, aber es ist so. Die Orientierung auf den unmittelbar gemeinsamen Klassenkampf der jüdischen und der arabischen Massen wäre nur dann richtig, wenn in Palästina nicht ein nationaler Widerspruch der Hauptwiderspruch wäre, sondern wenn es sich dabei bloß um einen Nebenwiderspruch handelte, wenn also grundsätzlich, d.h. als Hauptwiderspruch, alle Volksmassen in Palästina (incl. Israel) unmittelbar demselben Feind gegenüber stünden. So ist es aber nicht.

Deshalb ist das Argument ebenso falsch, wie wenn jemand in der Zeit des Apartheid-Regimes gesagt hätte, es sei dem Klassenkampf in Südafrika abträglich, dass die Schwarzen einen nationalen Befreiungskampf gegen das weiße Regime führen, statt auf diesen zu verzichten und sich stattdessen mit der weißen Arbeiterbewegung zum gemeinsamen Klassenkampf zusammenzuschließen.

Kommentar TA: Das Ende des Kriegs von Israel gegen das palästinensische Volk zu wollen, heißt nicht, zur Aufgabe des nationalen Befreiungskampfes aufzurufen.

Unser Aufruf zur Beendigung des Kriegs ist auf der einen Seite der Aufruf zur Intensivierung des Befreiungskampfes, auf der anderen Seite zur Intensivierung des Kampfes gegen den zionistischen kriegsführenden Staat Israel. Für die Beendigung des Kriegs gegen das palästinensische Volk. Ohne das wird es ein Ende des Krieges nicht geben.

Kritik Genosse Gunter:

Ganz im Gegenteil: Erst der Befreiungskampf der Schwarzen hat ermöglicht, dass sich auch in der weißen Arbeiterbewegung die (koloniale) Spreu vom (demokratischen) Weizen getrennt hat. Bezüglich des inneren Kolonialismus in Südafrika gab es diesbezüglich in den 1920er Jahren eine sehr intensive Debatte in der Komintern, die klar entschieden wurde.

Jeder Kampf, d.h. jeder Klassenkampf, jeder nationale oder sonstige demokratische Kampf, muss immer der Beförderung der Weltrevolution untergeordnet werden, aber er muss immer entsprechend der Bedingungen der jeweiligen konkreten Situation geführt werden.

Die These hingegen, die nationale Befreiungsbewegung in abhängigen, neokolonialen oder (wie Palästina) rechtlich oder faktisch kolonisierten Ländern sei dem gemeinsamen Klassenkampf mit Arbeiterklasse und Volk der Unterdrückernation gegen denselben Feind unterzuordnen, ist ein falscher Ansatz, der den nationalen Befreiungskampf an die zweite Stelle setzt und dem Neokolonialismus oder Kolonialismus Vorschub leistet. Der oben zitierte Passus setzt wie folgt fort: „Das (Anm.: d.h. das Ende des Krieges durch ein Friedensabkommen mit Israel) ist unter den heutigen Bedingungen nur in einem imperialistischen Frieden möglich“ – natürlich nur als „Zwischenschritt“ (S. 53) oder „Übergangslösung“ (S. 59), aber doch. Also: Hintanstellen des nationalen Befreiungskampfes der Palästinenser zugunsten eines „imperialistischen Friedens“.

Kommentar TA: DerGenosse versteht einfach unsere Position nicht und unterstellt uns eine Position, die wir nicht vertreten. Er geht davon aus, dass wir die These vertreten: „die nationale Befreiungsbewegung in abhängigen, neokolonialen oder (wie Palästina) rechtlich oder faktisch kolonisierten Ländern sei dem gemeinsamen Klassenkampf mit Arbeiterklasse und Volk der Unterdrückernation gegen denselben Feind unterzuordnen.“

Das ist seine Phantasie und nicht unsere Position.

Kritik Genosse Gunter:

Ich will hier nicht Wortklauberei bezüglich des „imperialistischen Friedens“ betreiben (obwohl mir so eine Formulierung nie in den Sinn käme und nach einigen Jahrzehnten „Friedensabkommen“ mit dem zionistischen Staat allein schon bei diesem Wort das Kotzen kommt) und auch nichts unterstellen, was wahrscheinlich nicht so gemeint ist, aber ich will nochmals auf die Idee hinter dieser Argumentation hinweisen:

Gemeinsamer Klassenkampf der national unterdrückten Volksmassen und der Arbeiterklasse und der Volksmassen der Unter­drückernation verlange nationalen Frieden zwischen ihnen – und das könne eben „unter den heutigen Bedingungen“ nur ein imperialistischer Frieden sein.

Das „vergisst“ wie gesagt, dass der Hauptwiderspruch in Palästina anders verläuft. Auch in Israel und in der Solidaritätsbewegung für die palästinensische Sache muss sich die den Zionismus direkt oder indirekt deckende und ihn vertuschende Spreu vom revolutionären Weizen trennen.

Kommentar TA: Imperialistischer Frieden ist ein Begriff Lenins. Die meisten „Friedensabkommen“ in den imperialistischen Kriegen enden mit einem imperialistischem Frieden.

Danke für die Belehrung, dass der Hauptwiderspruch in Palästina der nationale ist. Wir wussten und wissen es aber. Was wir nicht verstehen ist, wie der Genosse Gunter uns unterstellt, wir würden etwas anderes vertreten.

Kritik Genosse Gunter:

5.„Zwei-Staaten-Lösung“: Der „imperialistische Frieden“ nennt sich heute üblicherweise „Zwei-Staaten-Lösung“. Auf S. 53 heißt es, die „Zwei-Staaten-Lösung“ sei – im Unterschied zur revolutionär-demokratischen Forderung nach einem gemeinsamen demokratischen und laizistischen Staat der Juden und Araber in Palästina – „der einzig gangbare Weg“ (S. 9).

Kommentar TA: Hier wird durch Auslassung unsere Position verfälscht. Damit die LeserInnen das selber beurteilen können, zitieren wir aus unserem Artikel, aus dem Gunter Wortfetzen zitiert, als Ganzes:

Gibt es eine Lösung des Palästinaproblems? Die radikale Lösung des Palästinaproblems ist nur durch demokratische, proletarische Revolutionen sowohl in Israel als auch in Palästina möglich. „Nur wenn die Völker selber reden“, d.h. der bürgerliche Nationalismus keine Wirkungsmöglichkeiten mehr hat, nur wenn der proletarische Internationalismus der ArbeiterInnen, Werktätigen welcher Nationalität auch immer vorherrschend wird, nur dann ist eine radikale Lösung möglich.

Dann können die Völker auch in Frieden zusammen leben, wobei sie die Formen dieses Zusammenlebens gleichberechtigt zusammen bestimmen. Das ist aber ein sehr langer Weg.

Als ein wichtiger Zwischenschritt auf diesem Weg ist eine Zweistaaten-Lösung, die im UN Teilungsplan 1947 vorgesehen war, ein gangbarer Weg. Allerdings wird dieser gangbare Weg vom zionistischen Staat Israel und den hinter diesem Staat stehenden imperialistischen Mächten ständig torpediert.xii

An anderer Stelle, in unseren Thesen wird unter Punkt 9 dazu wieder Stellung genommen:

Aktuelle Lösung Das Ende des Krieges in Palästina und ein Friedensabkommen zwischen arabischen PalästinenserInnen und dem Staat Israel ist die Voraussetzung für die Entwicklung des Klassenkampfs in Israel und Palästina. Das ist unter heutigen Bedingungen nur in einem imperialistischen Frieden möglich. Die Forderung der PLO (Palästinensische Befreiungs-Organisation), in den Grenzen vom 4.Juni 1967 einen palästinensischen arabischen Staat zu gründen, in dem alle jüdischen Siedlungen aufgelöst werden, kann ein Schritt zum vorübergehenden Frieden sein. Eine solche Lösung bietet sowohl den palästinensischen Massen als auch den jüdischen Werktätigen in Israel eine Verbesserung ihrer Lage und Kampfbedingungen.

Aber dies ist keine entscheidende, vorwärts bringende Forderung für die palästinensische Sache. Die 1967er Lösung ist überhaupt der minimalste aber selbst unter zionistischer Besatzung schwer erreichbare Lösungsansatz, der keineswegs das Recht der palästinensischen Nation auf Selbstbestimmung verwirklicht und keine tatsächlich demokratische Lösung der nationalen Frage in Palästina.“xiii

Wie jede/r LeserIn sieht, ist die „Zwei-Staaten Lösung“, die wir vertreten, nicht die imperialistische „Zwei-Staaten-Lösung“ sondern die „Zwei-Staaten-Lösung“ in den Grenzen von 1947. Gunter verfälscht einfach unsere Position.

Kritik Genosse Gunter:

Das ist „realistische“ Kapitulation vor dem Druck der imperialistischen Propaganda. Sie ist indes überhaupt kein gangbarer Weg, sondern nur eine Nebelgranate des Imperialismus. Sie ist ein reaktionäres imperialistisches Konstrukt zur Bekämpfung und Deroutierung des palästinensischen Befreiungskampfes und der Solidaritätsbewegung mit ihm. Fast alle Imperialisten (außer zeitweilig einige „Scharfmacher“) sind für diese „Lösung“ xiv.

Die „Zwei-Staaten-Lösung“ zielt auf die Verewigung der zionistischen Herrschaft über ganz Palästina. Wenn revolutionäre Kräfte darauf hereinfallen, bedeutet dies Kapitulation vor Imperialismus und Zionismus xv. Worin könnte diese „Lösung“ überhaupt bestehen? Alleine schon ein Blick auf den Flickenteppich einer Landkarte Palästinas ließe einen verzweifeln, denn wie soll man auf dem Boden dieser Landfetzen, Bantustans und Mauern einen lebensfähigen Staat bilden? Jetzt kann man natürlich sagen, die heutige Realität interessiert uns nicht, wir beziehen uns auf den UN-Teilungsbeschluß aus 1947 xvi – aber das ist alles graue Vorzeit, von der Geschichte längst hinweggefegt, aus und vorbei. Niemals wird sich der zionistische Staat auf die Grenzen von 1947 zurückziehen.

Kommentar TA: Alles richtig. Aber: Wer landet hier bei der „realistischen Kapitulation“ wir oder der Genosse Gunter? Eher er, der eine revolutionär-demokratische Forderung nicht stellt, weil der zionistische Staat diese nicht erfüllen würde!

Kritik Genosse Gunter:

Eher würde er einen Krieg zur „Endlösung der Palästinenserfrage“ anzetteln. Die „Zwei-Staaten-Lösung“ hat sogar verbale Anhänger unter zionistischen Scharfmachern – allerdings schwebt ihnen eine „Zwei-Staaten-Lösung“ vor, die mehr an so etwas wie ein (inverses) Warschauer Ghetto erinnert als an einen Frieden.

Der langen Rede kurzer Sinn: Es gibt keine demokratische, also auch keine tragfähige Lösung bei Fortbestehen der zionistischen Staatsmacht. Wie es dem „zweiten“, dem palästinensischen Staatsgebilde ergehen würde, wird uns tagtäglich in Gaza, im Westjordanland, in Jerusalem, in immer neuen Siedler- und Expansionszonen vorgeführt. Ohne Zerschlagung dieser Staatsmacht gibt es keine Lösung. Daher ist es die „Zwei-Staaten-Lösung“, die „völlig naiv, illusorisch“ (S. 57) ist, während die Forderung nach einem gemeinsamen demokratischen und laizistischen Staat der Juden und Araber in Palästina die einzige realistische Perspektive darstellt.

Vielleicht könnte man über sie dasselbe sagen wie Brecht über den Kommunismus: Diese Perspektive ist das „Einfache, das schwer zu machen ist“. Aber es ist die einzige Perspektive und die einzige Alternative zur Fortdauer der Barbarei in Palästina. Die „Zwei-Staaten-Lösung“ tut so, als ob es eine demokratische Lösung in Palästina ohne Revolution und bei Fortbestehen des zionistischen Staates geben könnte. Eine solche Lösung gibt es aber nicht. Und wenn einmal im Zuge bzw. im Gefolge von Revolution eine demokratische Lösung möglich sein wird, dann braucht man keine „Zwei-Staaten-Lösung“ mehr.

Kommentar TA: Das ist des Pudels Kern: Genosse Gunter sieht nicht, dass der bürgerliche, zionistische Staat Israel durch den Kampf – sowohl den nationalen Befreiungskampf, den demokratischen Kampf der Massen in Israel gegen den zionistischen Staat als auch die internationale Solidarität der Völker mit diesen Kämpfen – zu bestimmten Zugeständnissen gezwungen werden kann. Er schließt das aus. Das heißt doch, vor der Stärke des Staates Israel einzuknicken?

Andererseits aber wird von einer Bewegung, die nicht einmal imstande sein soll, bestimmte demokratische Forderungen durchzusetzen, erwartet, dass sie den zionistischen Staat Israel durch die Revolution zerschlägt. Das ist eine rechte Politik in der Praxis und Wortradikalismus in der Theorie.

Kritik Genosse Gunter:

Die „Zwei-Staaten-Lösung“ ist aber nicht nur eine Phantasmagorie, sondern heutzutage das beliebteste Instrument imperialistischer Heuchelei und Doppelzüngigkeit bezüglich Palästinas.

Kommentar TA: Nochmal. Der Genosse versteht nicht, dass wir die Zwei-Staaten-Lösung „als eine Übergangslösung“ ansehen, die nichts mit der imperialistischen Zwei-Staaten-Lösung zu tun hat.

Kritik Genosse Gunter:

Kein Staatsbesuch in Israel, ohne dass nicht die „Zwei-Staaten-Lösung“ beschworen würde. Zuerst wird dem zionistischen Staat unverbrüchliche Waffenbrüderschaft gelobt (oft untermauert durch Waffengeschäfte), sein „Recht auf Selbstverteidigung“ hinausgeplärrt, manchmal werden auch pro forma „beide Seiten“ zur „Mäßigung“ ermahnt (wobei der „Selbstverteidigungs“-Terror des zionistischen Staates selbstverständlich davon unbenommen bleibt) und wird mit der „Zwei-Staaten-Lösung“ herumgewedelt.

Das alles zusammen genommen ist ein ideologischer Feldzug zur Unterstützung und Forcierung des zionistischen Staates – während man sich „zu Hause“ als Freund der „Mäßigung“ und des „Friedens“ ausgeben kann. Israel spielt dabei mit, nimmt das Mäßigungsgeplapper gerne in Kauf, auch wenn es manchmal scheinheilig grollt – und ruiniert mit umso mehr Verve systematisch das, was – rein hypothetisch – irgendwann einmal als Karikatur des „zweiten Staates“ in Frage käme. Diese imperialistische Niedertracht muss von allen antiimperialistischen und demokratischen Kräften entlarvt und bekämpft werden.

6.Revolutionär-demokratischer Kampf und die Palästina-Frage: Die Forderung nach einem gemeinsamen demokratischen und laizistischen Staat der Juden und Araber in Palästina wird als unsinnig verworfen, denn sie wäre „nur dann zu erfüllen, wenn dieser Staat als bürgerlicher Staat nicht mehr existiert. Es sind zwar demokratische Forderungen, sie sind aber ohne Revolution nicht zu haben.“

Kommentar TA: Hier wird wieder einfach etwas behauptet, was wir nicht vertreten. Uns werden Positionen untergeschoben, die nicht unsere sind. Wo haben wir denn die Forderung nach einem gemeinsamen demokratischen und laizistischen Staat der JüdInnen und AraberInnen in Palästina als unsinnig verworfen? Genau das Gegenteil ist der Fall. Wir propagieren, dass dies die wirkliche Lösung in Palästina ist. Zu erklären, dass das nur durch Zerschlagung des zionistischen Staates Israel mit der Revolution möglich ist, heißt nicht, diese Forderung und Zielsetzung fallen zu lassen.

Kritik Genosse Gunter:

Die palästinensische Forderung nach einem gemeinsamen demokratischen und laizistischen Staat der Juden und Araber in Palästina wird als absurd abgetan („völlig naiv, illusorisch“)

Kommentar TA: Welche palästinensische Forderung? Die momentan vorherrschende, palästinensische Forderung ist, unseres Wissens nach, die Forderung nach einem palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967, der Auflösung der jüdischen Siedlungen in diesen Grenzen und dem Rückkehrrecht der PalästinenserInnen etc. Es gibt unseres Wissens leider keine starken kommunistischen palästinensischen Kräfte, die über diese Forderungen hinaus gehen.

Ein gemeinsamer demokratischer, laizistischer Staat der JüdInnen und AraberInnen in Palästina, um zum Sozialismus und Kommunismus weiterzugehen, war und ist die Forderung der KommunistInnen für die wirkliche Lösung der Palästinafrage. Es ist absurd uns unterzujubeln, dass wir diese Forderung „völlig naiv und illusorisch“ nennen und ablehnen. Dass dies heute ohne Revolution nicht zu haben ist, bedeutet nicht, dass wir diese Forderung fallen lassen sollen.

Kritik Genosse Gunter:

Es wird hier eine grundsätzliche Frage des revolutionär-demokratischen Kampfes angesprochen. Darf oder soll man etwas fordern, was politisch über den bürgerlichen Staat hinausweist, im gegebenen Fall über den zionistischen? Fast alle radikaleren revolutionär-demokratischen Forderungen sind „ohne Revolution nicht zu haben“. Erheben wir sie etwa deshalb nicht?

Wir haben 2018 gemeinsam die Frage des revolutionär-demokratischen Kampfes diskutiert, auch die Frage des Rechts der Nationen auf Selbstbestimmung und auch, wie diese Frage in den (nationalen und internationalen) Gesamtzusammenhang der Revolution gestellt werden muss. Lenin zieht in diesem Zusammenhang gegen den imperialistischen Ökonomismus“ zu Felde – wobei dieser sich oft mit „realistischem“ Einschwenken auf angeblich „gangbare“ reformistische Luftprojekte paart (wie die „Zwei-Staaten-Lösung“).

Wenn man für die „Zwei-Staaten-Lösung“ ist, dann ist man entweder ein Imperialist und Zionist, dem es sowieso nur um die Verteidigung und Rechtfertigung Israels geht, oder man ist ein „imperialistischer Ökonomist“, der das Recht des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung für „völlig naiv, illusorisch“ hält. So jemand müsste sich allerdings fragen, ob tatsächlich die proletarische Revolution, für die wir alle ohne Bedenken bezüglich deren „Realismus“ energisch eintreten, „realistischer“, weniger „naiv“ und weniger „illusorisch“ ist als ein gemeinsamer demokratischer und laizistischer Staat der Juden und Araber in Palästina.

Kommentar TA: Täglich grüßt das Murmeltier! Noch einmal: Wir sind für die demokratische Revolution. Bis dahin sind wir auch für eine Zwei-Staaten-Lösung als Zwischenschritt, um Frieden unter den Völkern herzustellen und den Fokus auf den Klassenkampf zu legen.

Wir sind nicht für die „Zwei-Staaten-Lösung“ der Imperialisten!

Es ist die Aufgabe der KommunistInnen, aufzuzeigen und zu verteidigen, dass die Zwei-Staaten-Lösung von 1947 nichts zu tun hat mit der heutigen Zwei-Staaten-Lösung der Imperialisten. Die erste verteidigen wir auch heute, als Übergangslösung. Die zweite lehnen wir ab als Heuchelei und imperialistischen Betrug.

Der Vorschlag der PLO für einen palästinensischen Staat in den Grenzen von 1967 und die Auflösung der jüdischen Siedlungen ist nicht ausreichend, ist aber auch etwas anderes, als das, was die Imperialisten heute als Zwei-Staaten-Lösung preisen.

Kritik Genosse Gunter:

7.Die Shoah als Grund für das „Existenzrecht des Staates Israel“? Neben der fehlenden „Gangbarkeit“ führt TA als weiteren Grund dafür an, warum die Forderung nach einem gemeinsamen demokratischen und laizistischen Staat der Juden und Araber in Palästina „völlig naiv, illusorisch“ sei, nämlich dass der Staat Israel ein „Produkt der Shoah (sei), wo das kollektive Gedächtnis mit diesem Trauma lebt“.

Kommentar TA: Das ist wieder eine Verdrehung unserer Position. Gunter behauptet, wir würden vertreten, die „Forderung nach einem gemeinsamen demokratischen und laizistischen Staat der Juden und Araber in Palästina“ sei „völlig naiv, illusorisch“, nämlich dass der Staat Israel ein „Produkt der Shoah (sei), wo das kollektive Gedächtnis mit diesem Trauma lebt“.

Was wir aber völlig „naiv und illusorisch“ nennen, ist nicht diese Forderung, sondern: „Was wir an der BDS-Kampagne falsch finden und kritisieren ist etwas anderes. Die BDS-Kampagne, geht davon aus, dass Israel durch eine internationale Isolierung dazu gezwungen werden kann, die Forderungen der Kampagne zu erfüllen. Das ist völlig naiv, illusorisch, wenn die InitiatorInnen und UnterstützerInnen der Kampagne daran glauben.“xvii

Das ist, was wir völlig naiv und illusorisch finden. Aber nicht die Forderung nach einem gemeinsamen demokratischen und laizistischen Staat der JüdInnen und AraberInnen in Palästina. Weiter heißt es in unserem Artikel:

Aber wenn sie nicht daran glauben, dann ist die Kampagne objektiv ein Fake. Die Massen werden getäuscht. In einem Staat wie Israel, der in seiner Entstehung auch ein Produkt der Shoah ist, wo das kollektive Gedächtnis mit diesem Trauma lebt, sind diese Forderungen nur dann zu erfüllen, wenn dieser Staat als bürgerlicher Staat nicht mehr existiert.

Das sind zwar demokratische Forderungen, sie sind aber ohne Revolution nicht zu haben. Vor allem nicht durch äußeren Druck. Der äußere Druck erzeugt nichts anderes, als dass die ZionistInnen das ganze Volk hinter sich sharen! Nur durch Klassenkampf und Revolution in Israel selbst sind diese Forderungen durchsetzbar.“xviii

Wir haben nicht gesagt, dass der Staat Israel „ein Produkt der Shoah ist“, wie der Genosse Gunter es verkürzt darstellt. Sondern wir haben geschrieben, dass der Staat „in seiner Entstehung AUCH ein Produkt der Shoah ist“.

Das ist etwas anderes, als der Genosse behauptet. Hier wird erstens der Staat Israel in seiner Entstehung und der Staat Israel in seiner späteren Entwicklung getrennt! Zweitens wird Israel nicht als Produkt der Shoah, sondern auch als ein Produkt der Shoah eingeschätzt. Im Namen der Kritik, durch Unterlassungen, falsches Zitieren, Zitate aus dem Zusammenhang zu reißen etc. und den Kritisierten Positionen unterzujubeln, die nicht ihre Positionen der Kritisierten sind, ist eine falsche Methode. Der Genosse macht das in seiner Kritikschrift mehrfach, was für uns überraschend und enttäuschend ist.

Kritik Genosse Gunter:

Der Staat Israel ist aber in erster Linie ein Produkt des Imperialismus, nicht der Shoah.

Kommentar TA: Der Staat Israel ist in erster Linie ein Produkt des Wunsches und des Kampfes der JüdInnen für einen eigenen Staat. Natürlich haben die verschiedenen imperialistischen Mächte, vor allem England, versucht, diesen Wunsch und Kampf einer in vielen Ländern der Welt unterdrückten nationalen Gruppe, Minderheit für ihre Zwecke zu verwenden. Das geschieht aber unter den Bedingungen des Imperialismus mit allen nationalen Bewegungen.

Kritik Genosse Gunter:

Die Shoah hätte nicht zum Staat Israel führen müssen, wie auch der Völkermord an den Armeniern nicht zur Gründung eines armenischen Kolonialstaates z.B. rund um den Berg Ararat (wegen der Noah-Legende xix) oder in Uganda (wegen eines imperialistischen Kolonisierungsplans xx) mit Ermordung und Vertreibung von gleich einmal einer Million dort lebender Menschen führte.

Kommentar TA: Die Diskussion so zu führen, „die Shoah hätte nicht zum Staat Israel führen müssen“, geht von der Prämisse aus, wir würden das behaupten. Das ist aber nicht wahr. Wir haben nicht mehr und nicht weniger gesagt, als dass der Staat Israel bei seiner Entstehung auch ein Produkt der Shoah ist. Wer kritisieren will, soll sagen: Nein, das stimmt nicht, die Shoah hat bei der Gründung des Staates keine Rolle gespielt etc.

Das kann kein Mensch behaupten, der nicht mit Scheuklappen herumläuft. Über Geschichte kann man nicht mit hätte, könnte, wollte etc. diskutieren. Fakt ist, dass nach dem zweiten Weltkrieg in Palästina, und nicht anderswo, ein Drittel der Bevölkerung JüdInnen waren, die ihre quasistaatlichen Institutionen geschaffen hatten. Die massenhafte Emigration von JüdInnen nach Palästina und ihr Wille, dort ihren eigenen Staat aufbauen zu wollen, hängt natürlich auch mit der Shoah zusammen.

Kritik Genosse Gunter:

Das Trauma der Shoah, wird gesagt, würde eine Lösung in Gestalt eines gemeinsamen demokratischen und laizistischen Staates der Juden und Araber in Palästina verunmöglichen.

Kommentar TA: Wo haben wir das gesagt? Den ganzen Absatz, auf den sich diese Kritik bezieht, haben wir oben wiedergegeben. Und übrigens ist die Forderung der BDS-Kampagne nicht für einen „gemeinsamen, demokratischen, laizistischen Staat der Juden und Araber in Palästina“. Sondern für die „Beendigung der Besatzung und Kolonisierung des 1967 besetzten arabischen Landes und Niederreißung der Mauer“. Wir sagen, wir finden diese Forderungen richtig. Aber es ist illusorisch, daran zu glauben, dass diese Forderungen durch internationale Isolierung durchsetzbar sind. Was ist daran falsch?

Kritik Genosse Gunter:

Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Ein Trauma kann man so oder so überwinden, das Trauma der Shoah kann man in demokratischer Richtung überwinden oder in reaktionärer Richtung, indem man gegen die Palästinenser ebensolche rassistische und faschistische Ideologie und Praktiken reproduziert, wie man sie seinerzeit – als von den Nazis verfolgte Juden – selbst erlebt hat. Die israelischen Volksmassen müssen, Hand in Hand mit den Palästinensern, mit dem Rassismus und den faschistischen Herrschaftsmethoden ihres Staates aufräumen und das Kolonialsystem, das dieser ausübt, brechen. Das ginge nicht, wegen der Shoah?

Kommentar TA: Wer sagt das denn? Wir nicht.

Aber die Position von Gunter, „das Trauma der Shoah kann man überwinden … in reaktionärer Richtung, indem man gegen die Palästinenser ebensolche rassistische und faschistische Ideologie und Praktiken reproduziert, wie man sie seinerzeit – als von den Nazis verfolgte Juden – selbst erlebt hat.“ ist grundfalsch.

Diese Gleichsetzung des faschistischen, deutschen, imperialistischen Nazi-Reichs mit dem Staat Israel mit „ebensolcher Ideologie und Praktiken“, insbesondere bezogen auf die überlebenden Opfer der Shoah (sie reproduzieren diese gegen die Palästinenser) ist zynisch und letztlich eine Verharmlosung des deutschen faschistischen Imperialismus. BDS (Deutschland) lehnt im Übrigen richtigerweise eine solche Gleichsetzung des Staates Israels und des „NS-Staates“ ab.

Kritik Genosse Gunter:

Wenn nicht einmal das geht, wie soll dann eine proletarische Revolution gehen? Um ihrer Selbstbefreiung willen müssen die jüdischen Volksmassen in Palästina dieses Trauma überwinden und mit ihm das zionistische Regime, das das Shoah-Trauma dazu ausnützt, die eigenen Gräueltaten zu rechtfertigen.

Kommentar TA: Völlig richtig!

Kritik Genosse Gunter:

8.Wem dient die Tirade gegen die BDS-Kampagne? Zuerst wird immerhin festgehalten, dass es sich bei etlichen Forderungen der Kampagne (wo es eher um allgemein gehaltene Losungen geht) um „demokratische Forderungen (handelt), die jeder demokratisch gesinnte Mensch, egal welcher Nationalität, verteidigen sollte“.

Dann aber wird auf die namengebenden Forderungen der BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestition, Sanktionen) losgeprügelt: „Politischer Schwachsinn“ sei das und die BDSler sollten sich lieber“ mit etwas Sinnvollerem beschäftigen“ (S. 57). Sie würden sich Illusionen machen, „dass Israel durch eine internationale Isolierung dazu gezwungen werden kann, die Forderungen der Kampagne zu erfüllen“. Zwar ist schwer vorstellbar, dass sich ein denkender Mensch tatsächlich solche Illusionen macht – nämlich dass das ohne gewaltigen Aufschwung des Befreiungsbewegung der Palästinenser und der demokratischen Kämpfe in Israel ginge, aber sei‘s drum.

Kommentar TA: Der Genosse übersieht einfach, welchen Anspruch die BDS-Kampagne hat. Wir haben das Dokument zitiert, dort heißt es unmissverständlich: „Wir unterstützen daher den Aufruf der palästinensischen Zivilgesellschaft aus dem Jahre 2005 zur gewaltfreien und weltweiten BDS Bewegung die durch Boykott, Desinvestment und Sanktionskampagnen Israel veranlassen will, seine Kolonialpolitik aufzugeben.“

Mit seiner Kritik an uns sagt Gunter faktisch, dass die BDSlerInnen wohl keine „denkenden Menschen“ sind! Selbstkritisch merken wir an, unsere Begrifflichkeit „politischer Schwachsinn“ in der Polemik gegen die BDS-Bewegung ist nicht hilfreich und falsch.

Kritik Genosse Gunter:

Sehr wohl geht es allerdings auch heute darum, durch bestimmte Losungen und Forderungen auf nationaler und internationaler Ebene den zionistischen Staat in der demokratischen Öffentlichkeit zu desavouieren, zu seiner Isolierung beizutragen und ihn so zu schwächen. Natürlich kann man jede solche Forderung so oder so stellen. Man kann die Staatsmacht beknien, man kann sie aber auch attackieren.

Man kann Forderungen revolutionär oder reformistisch stellen. Manche dieser Forderungen mögen eher sinnvoll sein, andere weniger. Z.B. ist ein Boykottaufruf an deutsche Konsumenten, keine israelischen Kiwi zu kaufen, zwar „berechtigt“ (da nicht nur auf geraubtem Land, sondern auch mit geraubtem Wasser produziert…), aber – wie aller Konsumentenboykott – wenig nützlich; die Boykottforderung an die deutsche Regierung hingegen oder auch ein Aufruf an die Hafenarbeitergewerkschaft bezüglich Waffenexport nach Israel oder die nach einem Boykott von Wasserableitungsprojekten, die den Palästinensern noch das letzte Wasser rauben, dagegen sehr sinnvoll.

Auch wenn die BDS-Kampagne einige illusionäre Flausen im Kopf und keine klare Position zur Frage der Staatsmacht und des demokratischen Kampfes hat – warum muss man derart gegen sie geifern? Außerdem: Was immer der BDS an Fehlern und „politischem Schwachsinn“ anhaften mögen, es ist nichts im Vergleich zu der Verirrung, sich für die imperialistische „Zwei-Staaten-Lösung“ stark zu machen.

Kommentar TA: Die berechtigte Kritik an BDS von uns ist „geifern“! Uns imperialistischen Ökonomismus anzudichten, aufgrund von Auslassungen in Zitaten, sich auf entstellte Positionen zu berufen und uns dann damit zu beschuldigen, wir würden uns „für die imperialistische „Zwei Staaten Lösung stark (zu) machen“, wie das genannt werden soll, sollen die LeserInnen selber entscheiden.

Kritik Genosse Gunter:

Vollständig daneben sind auch die auf den Klassenkampf in Deutschland bezogenen Argumente, die von TA gegen die BDS-Kampagne vorgebracht werden: Man dürfe vom deutschen bürgerlichen Staat nichts fordern, was „nur erfolgreich sein kann, wenn andere bürgerliche Staaten diese Kampagne unterstützen und mitmachen“, denn das sei „ein Aufruf an die Bourgeoisie, an die herrschende Klasse dieses Landes, sich gegen die israelische Bourgeoisie zu stellen“. Na und?

Sind wir nicht auch z.B. gegen den Vietnamkrieg und speziell gegen die Politik unserer Regierungen aufgetreten, obwohl diese Kampagnen nach dieser Logik „ein Aufruf an die Bourgeoisie, an die herrschende Klasse (unserer Länder) war, sich gegen die amerikanische Bourgeoisie zu stellen“.

Kommentar TA: Wir haben in Vietnam-Kampagnen unsere Forderungen als Losungen gerufen „USA/SA/SS“, „Raus aus Vietnam“, „Sieg im Volkskrieg“ etc. Amerikanische Soldaten, die in Europa den Kriegsdienst in Vietnam verweigerten, haben wir praktisch unterstützt unterzutauchen etc. Wirkliche RevolutionärInnen haben in keiner Kampagne Positionen eingenommen, die den eigenen Staat als etwas Besseres als einen anderen bürgerlichen Staat darstellen!

Allerdings gab es in den revolutionären Reihen auch fehlerhafte Positionen, die auf der Grundlage „USA – Hauptfeind der Völker der Welt“ vergessen haben, dass der Hauptfeind im eigenen Land steht!

Kritik Genosse Gunter:

Ich erspare mir, die Absurdität dieser Argumentation zu kommentieren und alle Kampagnen der letzten Jahrzehnte aufzuzählen, in denen wir selbstverständlich faschistische Regime, imperialistische Aggressionen, Invasionen, Bürgerkriege, reaktionäre Bewegungen usw. kritisiert haben und in diesem Zusammenhang selbstverständlich auch Forderungen an die eigene Regierung gestellt haben – hauptsächlich zu dem Zweck, diese so besser entlarven zu können (und nicht aus der Hoffnung, sie würden – bei dem gegebenen Verhältnis der Klassenkräfte – unseren Forderungen entsprechen).

Kommentar TA: Was ist aber, wenn tatsächlich erwartet und erklärt wird, dass diese Forderungen durch die eigene Bourgeoisie erfüllt werden?

Kritik Genosse Gunter:

Weiter geht‘s bei TA: „Damit sagen wir in jedem gegebenen Land dem Proletariat und den Werktätigen, ‚unsere Bourgeoisie‘ ist auf jeden Fall besser als die israelische!“ Wieso denn? Das sagen wir damit überhaupt nicht! „Auf einmal ist die deutsche Bourgeoisie in Deutschland ein Faktor im Kampf für die Demokratie in Israel. Der deutsche Imperialismus ist bei dieser (BDS-)Kampagne nicht der Hauptfeind, sondern etwaiger Bündnispartner!“

Also: Wenn man den deutschen Imperialismus bekämpft, indem man an ihn Forderungen richtet, die gegen seine pro-zionistische Politik gerichtet sind, schürt man Illusionen, er wäre ein Bündnispartner gegen den zionistischen Staat? Dann dürfte man an keine imperialistische Regierung mehr irgendwelche anti-imperialistischen Forderungen richten.

Wenn wir damals, bleiben wir beim Beispiel Vietnam, von der eigenen Regierung verlangten, sie dürfe den US-Krieg nicht weiter direkt oder indirekt unterstützen, das südvietnamesische Quislingregime nicht länger anerkennen, Überflugrechte usw. für das US-Militär nicht mehr gewähren, sie müsse Vertreter Nordvietnams und der vietnamesischen Befreiungsbewegung empfangen und normale diplomatische Beziehungen unterhalten, US-Deserteuren Aufenthaltsrecht gewähren usw. usf. – dann „(sagten) wir in jedem gegebenen Land dem Proletariat und den Werktätigen, ‚unsere Bourgeoisie‘ ist auf jeden Fall besser als die amerikanische“? Das ist wirklich ganz großer Quatsch mit sehr an den Haaren herbei gezogenen Argumenten.

Kommentar TA: Es kommt bei solchen Forderungen darauf an, ob man diese Forderungen tatsächlich für die Entlarvung der eigenen Bourgeoisie stellt oder nicht! Ob man bei der Aufstellung solcher Forderungen zugleich die eigene Bourgeoisie direkt entlarvt, oder nicht.

Bei der BDS-Kampagne wird das nicht gemacht. Auch bei der Vietnam-Kampagne gab es Leute in der BRD, die im Namen des Kampfes gegen den US-Imperialismus vor allem für die „Souveränität Deutschlands“, das heißt des deutschen Imperialismus auf der Weltbühne gekämpft haben. Ein Teil dieser Leute landete später bei den Faschos, wie der ehemalige Anwalt Horst Mahler! Ein anderer Teil später bei der Drei-Welten-Theorie!

Kritik Genosse Gunter:

In Frankreich sind übrigens seit 2015 Aktivitäten im Sinne von BDS (also Forderungen nach Boykott, Desinvestition, Sanktionierung … Israels) unter schwere Strafen gestellt, es laufen seither Dutzende Gerichtsprozesse, es wurde schon eine Reihe von Militanten zu Haftstrafen verurteilt, es gibt laufend gerichtliche und administrative Verbote und Polizeieinsätze gegen BDS-Aktivitäten. Die französische Bourgeoisie scheint offensichtlich nicht der Meinung zu sein, dass sie durch die BDS-Kampagne „auf jeden Fall besser“ wegkäme als die israelische und dass sie deren „Bündnispartner“ sei.

Kommentar TA: Nicht nur in Frankreich, auch in Deutschland werden staatliche Stellen, vor allem aber Antideutsche gegen die BDSlerInnen aktiv. Der zionistische Staat Israel versucht alles, um diese Bewegung zu vernichten.

Wir sind natürlich bei diesen Angriffen gegen die BDSlerInnen auf der Seite der BDSlerInnen. Das heißt aber nicht, dass wir uns mit unserer Kritik an ihren falschen Positionen und Illusionen zurückhalten.

Kritik Genosse Gunter:

9.Der Staat Israel – eine bürgerliche Demokratie nur gegenüber den jüdischen BürgerInnen des Landes? Auf S. 53 heißt es bei TA, der Staat Israel sei eine „reaktionär-bürgerliche Demokratie nur für die jüdischen BürgerInnen dieses Staates“. Nicht einmal das ist wahr bzw. nur, solange sie nicht radikal gegen ihn auftreten, ansonsten sie mit faschistischen Methoden unterdrückt werden (auch jüdische Organisationen, Bewegungen und Personen). Das ist glatte Unwahrheit und Verhöhnung aller der jüdischen Menschen, die in diesem Land wegen der geringsten „Vergehen“ gegen Zionismus, Rassismus und Faschismus oder wegen ihres demokratischen Engagements für die Sache der Palästinenser verfolgt werden und im Gefängnis landen!

Kommentar TA: Der Genosse hat ein falsches Verständnis von der bürgerlichen Demokratie. Jeder bürgerlich demokratische Staat geht gegen seine „radikalen“, revolutionären, kommunistischen GegnerInnen, selbst wenn sie „gleichberechtigte Staatsbürger“ sind, auch mit faschistischen Methoden vor. Das haben wir in der BRD z.B. zu Zeiten der RAF-Verfolgung erlebt. Wir erleben das z.B. im Vorgehen des französischen Staates gegen die Gelbwestenbewegung etc. Was den Staat Israel von anderen bürgerlich demokratischen Staaten unterscheidet, ist, dass er sich quasi im permanenten Kriegszustand befindet. Insofern ist sein Vorgehen gegen die radikale jüdische Opposition mit faschistischen Methoden der „Normalzustand“ in einer bürgerlichen Demokratie.

Kritik Genosse Gunter:

10. Kein Einknicken vor der imperialistisch-zionistischen „Antisemitismus“-Hetze! Keinesfalls ist jeder, der das „Existenzrecht des Staates Israel“ nicht anerkennt, ein versteckter Antisemit. Noch viel weniger gilt das, wenn einer bloß die imperialistische „Zwei-Staaten-Lösung“ nicht befürwortet. Genau das wird aber von TA auf S. 53 suggeriert. „Politischen Strömungen und Parteien, die das Existenzrecht des Staates Israel nicht anerkennen“ wird dort unterstellt, dass für sie zugleich „alle jüdischen Menschen Feinde sind“.

Die „dünne, aber fundamental wichtige Trennlinie zwischen Antizionismus und Antijudaismus“, meint TA, verschwände auf diese Weise. Nur eine „dünne Trennlinie“ unterscheidet jemanden, der gegen den zionistischen Staat ist, von jemandem, der gegen „die Juden“ ist?

Kommentar TA: Gegen den zionistischen Staat Israel zu sein und das Existenzrecht eines jüdischen Staates in dem Gebiet überhaupt zu bestreiten, sind zwei Paar Schuhe.

Die JüdInnen in Palästina haben das Recht auf staatliche Existenz. Genauso wie die Palästinenser­Innen das Recht auf staatliche Existenz haben. Die JüdInnen in Palästina haben dieses Recht in Form des zionistischen Staates 1948 in die Tat umgesetzt. Die palästinensische Befreiungsbewegung führt seit der Gründung des Staates Israel einen nationalen Befreiungskampf für ihr Recht auf einen Staat Palästina.

Der zionistische Staat Israel versucht mit allen Mitteln, die Gründung eines palästinensischen Staates zu verhindern. Der Kampf des palästinensischen Volkes für den eigenen Staat gegen den zionistischen Staat Israel ist ein gerechter Kampf.

Das Recht der JüdInnen auf den eigenen Staat in Palästina nicht anzuerkennen, in diesem Sinne das Existenzrecht Israels abzulehnen, ist aber falsch.

Dieses Absprechen des Existenzrechts Israels geht sehr oft mit Feindlichkeit gegenüber JüdInnen einher. In dem Sinne gibt es eine sehr dünne Trennungslinie zwischen Antizionismus und Antisemitismus.

Kritik Genosse Gunter:

Zwar handelt dieser Passus von den Palästinensern, aber diese Propaganda gehört zum Standardrepertoire der Bourgeoispropaganda auch bei uns:

Wer auch nur die leiseste substantielle Kritik an Israel vorbringt, wird mit dem Vorwurf des Antisemitismus angeschüttet. Das ist das blanke Einknicken vor dem Zionismus. Es handelt sich hierbei mitnichten um eine „dünne Trennlinie“, sondern vielmehr um ideologisch und politisch vollständig entgegengesetzte Positionen.

Das ist wie wenn jemandem, der das Regime kritisiert, das sich mit dem Namen Erdoğan verbindet, unterstellt würde, er sei ein Türkenhasser und nur eine „dünne Trennlinie“ sei zwischen Kritik an bzw. Kampf gegen dieses Regime und rassistischer Hetze gegen Türken.

Kommentar TA: Das ist auch ein gutes Beispiel: Auch bei der Kritik an dem Erdoğan-Regime gibt es, wenn man nicht aufpasst, eine dünne Trennungslinie zwischen der berechtigten Kritik und der rassistischen Islamfeindlichkeit oder „Türkenfeindschaft“.

Wir kennen zum Beispiel die „Kritik“, sprich faschistische Hetze des „Sozialdemokraten!!!“ Sarrazin! Oder die „Kritik“ des österreichischen Kanzlers!

Abschließend denken wir, viele Fragen sind noch offen und es gibt eine Menge zu diskutieren. Mit den GenossInnen der IA.RKP, mit denen uns eine fruchtbare politische, internationalistische Zusammenarbeit und Praxis verbindet, werden wir diese Debatte sicherlich gemeinsam weiterführen.

Wir rufen natürlich auch unsere TA-LeserInnen auf, sich daran zu beteiligen!

i Kritik an den „Thesen zur Palästina-Israel-Frage „ und an „Palästina: Gretchenfrage jeder demokratischen Politik“ („Trotz Alledem“ Nr. 80) (g, ia.rkp, 03042019)

ii gunter, ia.rkp, 03042019

iii TA 33/34, 2004, S. 16

iv TA 33/34, S. 15

v TA 33/34, S. 36/37

vi Ich erinnere mich, dass wir in den 1970er Jahren Beziehungen u.a. zum Kommunistischen Bund Galiläa, bestehend vor allem aus jüdischen plus einigen arabischen Israelis, hatten, der diese Phantasmagorie einer Nation 1948 kritisierte und wissenschaftlich widerlegte. Es dauerte nicht lange, bis die Organisation verboten und zerschlagen und auch ihre jüdischen Mitglieder in den Kerkern der angeblich „reaktionär-bürgerlichen Demokratie nur für die jüdischen BürgerInnen dieses Staates“ (S. 53) verschwunden waren.

vii Von 1882 bis 1933 waren in einigen Wellen 200 000 nach Palästina eingewandert (hauptsächlich aus Polen und dem zaristischen Russland), 1934 bis 1938 weitere 200 000 aus West- und Mitteleuropa, weitere 80 000 während des Zweiten Weltkriegs, dann bis 1948 relativ wenige, weil England, dessen Mandatsgebiet Palästina war, die Zuwanderung im Hinblick auf die beabsichtigten Teilungspläne Palästinas bremste. Die große Masse, nämlich nochmals 700 000, wanderte zwischen 1948 und bis 1951 ein.

viii Quelle: Zentrales Statistisches Büro Israels 2003, zitiert nach Ha‘aretz 06.05.03 bzw. http://israel.nahost-politik.de/israel-nachrichten/news/bevoelkerung.html

ix Übrigens: Wie würde sich die Frage in Südafrika stellen? Bei Ende des Apartheid-Regimes 1993 standen 30,7 Millionen Schwarzen 5,2 Millionen Weißen gegenüber, also ein solider weißer Block und wesentlich mehr als die 650 000 Juden 1948 in Palästina, in besonderen Siedlungsgebieten konzentriert (eigenes Gebiet!), mit einer besonderen weißen Kultur, einer gemeinsamen Sprache, einer gemeinsamen Wirtschaft (indem sie die gesamte Kolonialwirtschaft beherrschten) und – anders als die jüdische in Israel – zweifellos eine historische Siedler- und Kolonialistengemeinschaft bildend. War das eine Nation und wenn ja, hätte sie (wenn sie das gewollt hätte und nicht darauf spekuliert hätte, ihre Kolonialprivilegien weitgehend ohnehin behalten zu können) das Recht auf einen eigenen Staat gehabt, d.h. auf einen kolonialistischen Pfahl im Fleisch Südafrikas?

x Israelische Nation ist etwas anderes als jüdische Nation. Die in Israel lebenden Juden machen laut Ha‘aretz (siehe Fußnote 7) „38% des Weltjudentums“ aus. Sie konnten nach 1948 auf Basis der israelischen Staatlichkeit im Lauf der Jahrzehnte eine Nation bilden. Die anderswo auf der Welt lebenden Juden bilden natürlich keine Nation und sie bilden auch keine gemeinsame Nation mit der israelischen; Israel ist natürlich nicht der „Nationalstaat des (weltweiten) jüdischen Volkes“ – wie es in dem unlängst beschlossenen ultrareaktionären Gesetz gleichen Namens heißt.

xi Die Frage der arabischen Nation diskutieren wir hier nicht, weil sie hier nichts verloren hat. Ähnlich wie z.B. auch bei der kurdischen besteht immer die Frage, ob nicht verschiedene Teile einer Nation, die sich in verschiedenem gesellschaftlichem Umfeld und verschiedenen Staatlichkeiten befinden, als Nation allmählich auseinander driften.

xii TA 80, S. 53-54

xiii TA 80, S. 59

xiv Auch wenn immer wieder zeitweilig irgendwelche „Extremisten“ gegen die „Zwei-Staaten-Lösung“, also offen für die absolute faschistische Herrschaft Israels über den ganzen Nahen Osten und seine weitere Expansion eintreten, ist das nicht die vorherrschende imperialistische Strömung. Wobei die Betonung auf „offen“ liegt, denn faktisch unterstützen sie alle diese Herrschaft (wenn auch manchmal mit jämmerlicher Miene). Die Behauptung (S. 54), die Politik Trumps sei eine „Umkehr von der Politik Obamas“ ist aus der Luft gegriffen. Hat etwa Obama irgendetwas realiter gegen den expansionistischen Siedlungsbau unternommen oder sonst irgendwie den zionistischen Staat auszubremsen versucht? Na ja, schreibt TA, aber er war immerhin für die „Zwei-Staaten-Lösung“, während Trump anscheinend dagegen ist. Ich ziehe daraus einen ganz anderen Schluss: Was sagt uns das über die „Zwei-Staaten-Lösung“, wenn sie auf dasselbe hinausläuft wie die Politik des Radaubruders Trump?

xv Auch in diesem Punkt übrigens ein seltsamer Widerspruch, weil TA bei aller Entschiedenheit, mit der die „Zwei-Staaten-Lösung“ propagiert wird, zugleich schreibt: „Eine Lösung für das friedliche Zusammenleben beider Völker wäre ein dualer demokratischer Staat, in dem sowohl die arabische als auch die jüdische Bevölkerung gleichberechtigt zusammen leben“ (These 4). So ist es und das kommt genau in der Forderung nach einem gemeinsamen demokratischen und laizistischen Staat der Juden und Araber in Palästina zum Ausdruck. (Über die Ausgestaltung des „dualen“ Systems müsste man noch diskutieren, denn das kann viel und sehr Verschiedenes bedeuten.)

xvi „Der Teilungsplan der UN wurde von der Sowjetunion unterstützt … Die Haltung der SU war und ist auch im Rückblick richtig.“ (These 5) Man müsste so sagen: Die Absichten, die die SU 1947 verfolgte, waren in der Tat „fortschrittlich und demokratisch“ – nur verfolgte der westliche Imperialismus vollständig entgegengesetzte Absichten und Ziele. Im Rückblick hat sich leider herausgestellt, dass es ganz anders kam als erhofft und man möglicherweise einen Fehler gemacht hatte.

xvii TA 80, S. 57

xviii TA 80, S. 57

xix Jeder hat seine Legende, der eine die der Abstammung der Armenier von Noah, der auf dem Ararat gestrandet wäre, der andere die der Abstammung der Juden vom Stamme Juda.

xx Wieso Uganda? Auf Uganda richteten sich die ersten zionistischen Staatsgründungspläne im 19. Jhdt. Großbritannien hatte das dem Theodor Herzl, der Gallionsfigur des Zionismus, angeboten, es wurde von ihm zunächst auch angenommen, dann aber von der zionistischen Bewegung doch verworfen. Später bot das britische Kolonialregime – unter inzwischen völlig veränderten geostrategischen Bedingungen und aus anderen Kalkülen – dem Zionismus Palästina als neue „Heimat“ an, um ein imperialistisches Siedlerbollwerk im Nahen Osten zu errichten.