Fokus Afrika:

In der letzten Folge der Artikelserie „Fokus Afrika“ (Trotz Alledem, Nr. 70) haben wir uns mit Westafrika befasst. In diesem Artikel gehen wir näher auf das politisch und ökonomisch zentrale Land in Westafrika, Nigeria, ein.

Nigeria

Nigeria – Geschichte

Im Gebiet des heutigen Nigeria waren die ältesten und am weitesten entwickelten Kulturen Westafrikas beheimatet. So bildete sich zwischen 500 vor und 200 nach unserer Zeitrechnung die Nok-Kultur im Zentrum Nigerias heraus. Im Norden des Landes breitete sich ab dem 9. Jahrhundert langsam der Islam aus. Mächtige Sultanate, wie Kanem oder das Songhaireich beeinflussten das Gebiet oder beherrschten es in weiten Teilen. Die Staaten der Hausa, wie Kano, Katsina und Zaria, die in Nord- und Zentralnigeria entstanden, waren überwiegend diesen Großreichen tributpflichtig. Im Südwesten des Landes entstanden zwischen dem 11. und 14. Jahrhundert zudem die Königreiche der Yoruba und das Königreich Benin. Gleichzeitig entwickelten sich im Südosten die Reiche der Igbo.

Ende des 15. Jahrhunderts fielen die Portugiesen in das Königreich Benin ein. Mit Kreuz, Schwert und Handel kolonialisierten sie den Süden. Waffen wurden gegen Elfenbein, Palmöl und zunehmend gegen Sklaven ausgetauscht. Im 17. und 18. Jahrhundert war das Nigerdelta Drehscheibe des Sklavenhandels.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kämpften die englischen und portugiesischen Königreiche um die Vorherrschaft über das Gebiet um Lagos. Nach mehreren Kriegen, festigte die britische Weltmacht Ende des 19. Jahrhunderts ihren Einfluss. 1861 wurde Lagos britisches Protektorat. 1885 wurde England auf der „Berliner Kongo-Konferenz“ das Territorium um den Niger zugesprochen. 1897 eroberten die Briten das Königreich von Benin. Das Deutsche Reich musste den Ansatz einer deutschen Kolonie im Mahinland, östlich von Lagos, aufgegeben.

1914 presste der englische Imperialismus seine drei Herrschaftsbereiche – Lagos, Süd- und Nordnigeria – zu einem einheitlichen Kolonialstaat „Colony and Protectorate of Nigeria“ zusammen. Die britischen Kolonien in Afrika wurden mittels einer „Indirekten Herrschaft“ regiert. England übte seine Macht mit Hilfe regionaler Herrschaftsstrukturen aus. Traditionelle Herrscher wurden einbezogen und gegeneinander ausgespielt. Dennoch oder genau deshalb standen grausamste „Strafexpeditionen“ gegen einzelne Dörfer und Dorfgruppen über Jahrzehnte hinweg auf der Tagesordnung.

1893-1906 fand die Ekumeku Rebellion in den westlichen Gebieten der Ibo statt.

1898 entwickelte sich im Delta des Flusses Niger und in den östlich angrenzenden Staaten der Widerstand der Ibo, die sich bis 1918 in einem Guerillakrieg gegen die Kolonialisten wehrten.

1903 kam es zur EGBA Revolte oder Adube Krieg gegen direkte Steuern und Zwangsarbeit.

1912 Gründung der Anti-Slavery and Aborigines Society (Gesellschaft der Ureinwohner gegen die Sklaverei) 1

1926 weigerten sich Marktfrauen Lebensmittel an Europäer zu verkaufen.

Die 1929 von Frauen angeführten Aba Riots gegen hohe Steuerforderungen wurden erst durch einen brutalen Polizeieinsatz der Britischen Kolonialmacht beendet. 2

Ende der Sklaverei? Und kein Ende des Kolonialismus!

Großbritannien schaffte 1833 die Sklaverei ab, Frankreich verbot 1848 die Sklaverei in den Kolonien. Aber nur auf dem Papier. In Wahrheit schloss Großbritannien ab 1900 ein Abkommen mit den Sklavenhaltern: Die ehemaligen Sklaven bekamen einen Lohn, mit dem sie sich dann freikaufen mussten. Erst am 17.Oktober 1936 wurden alle Menschen, die in Nigeria geboren waren oder dorthin als Sklaven zwangsverschleppt worden waren, rechtsgültig als freie Personen anerkannt. Erst dann musste sich niemand mehr freikaufen. Der zweite Weltkrieg und die weltweiten Befreiungskämpfe aber auch der Fünfte Panafrikanische Kongress, der 1945 in Manchester stattfand, verstärkten die antikolonialen Kämpfe auch in Nigeria.

Zwischen 1944 und 1951 wurden die ersten politischen Parteien gegründet, die auf ethnisch-regionalen Zugehörigkeiten basierten. Im Osten des Landes derNational Council of Nigeria and the Cameroons (NCNC)” der Igbos. 1949 der„Northern People`s Congress (NPC)“, als Interessenvertretung der Hausa-Fulani. Im Westen des Landes die Action Group (AG)“ der Yoruba.  3

Andere Organisationen riefen zur Einheit und traten für nationale Selbstbestimmung ein: die Proteste des Lagos Youth Movement gegen die Exmatrikulation von StudentInnen aus verschiedenen Bildungseinrichtungen und die Proteste der Nigerian Farmers’ Union gegen die Produktions- und Preiskontrolle durch Wirtschaftsverbände.4

1945 riefen 17nigerianische Gewerkschaften mit insgesamt ca. 30000 Mitgliedern – das waren zwei Drittel aller damals gewerkschaftlich organisierten ArbeiterInnen der Kolonie – zum Generalstreik auf. Sie forderten höhere Löhne und einen besseren Lebensstandard. Der Streik dauerte 37Tage und endete mit einem Untersuchungsausschuss der Kolonialregierung.

Nigeria – bitterer Weg in die Unabhängigkeit

Am 1. Oktober 1960 erreichte Nigeria die Unabhängigkeit. Erster Präsident wurde Dr. Nnamdi Azikiwe aus der Volksgruppe der Igbo, erster Regierungschef Alhaji Abubakar Tafawa Belawa aus der Volksgruppe der Hausa. Die vom britischen Empire willkürlich gezogenen Kolonialgrenzen machten Nigeria zu einem Vielvölkerstaat. 1963 wurde Nigeria eine föderative Republik. Die Kämpfe der Werktätigen und der Völker für Einheit auf demokratischer Grundlage führten jedoch nicht zur Gleichberechtigung aller Ethnien. Auch heute noch kämpfen die Völker des Südens gegen die Völker des Nordens.

Am 15. Januar 1966 putschten im Süden Nigerias Igbo-Offiziere. Bereits im Juli des gleichen Jahres erfolgte der Gegenputsch, der die Vorherrschaft des Nordens unter Militärdiktator General Yakubu Gowon wieder herstellte. Er schafftedie föderative Republik wieder ab. Durch Pogrome, die Zehntausenden Igbo das Leben kosteten, stabilisierte er seine Herrschaft. 1967 brach der Biafra-Krieg, ein blutiger Bürgerkrieg als Stellvertreterkrieg der verschiedenen Imperialisten, aus.

Am 30. Mai 1967 erklärten die in der Biafra-Provinz lebenden christlichen Igbo ihre staatliche Unabhängigkeit. Verschärft wurde der Konflikt dadurch, dass in der Nähe des Igbo-Siedlungsgebietes im Nigerdelta Erdöl entdeckt wurde. Großbritannien, die ehemalige Kolonialmacht, unterstützte die Zentralregierung. Auch die USA, die sozial­imperialistische Sowjetunion, Spanien, Polen, die Tschechoslowakei, Belgien und die Niederlande lieferten Waffen an Nigerias Zentralregierung. Auf der Seite der Unabhängigkeitsbewegung in Biafra agierten die Volksrepublik China, Portugal, Frankreich und die Schweiz. Der verheerende Krieg dauerte drei Jahre. Eine darauf folgende Hungersnot in Biafra forderte über eine Million Menschenleben, unter ihnen größtenteils Kinder. Weitere 750 000 Menschen der Igbo-Ethnie sollen im Kampf oder durch Massaker der nigerianischen Truppen getötet worden sein.

Zwischen 1966 und 1999 regierten in Nigeria sieben Militär– und nur drei demokratisch gewählte Regierungen (die sogenannte Erste, Zweite und Dritte Republik). Es kam immer wieder zu Gewaltanwendungen, Aufständenund Revolten, die jedoch meist brutal unterdrückt wurden. Z.B.: General Sani Abacha schlug 1991 die Demokratisierungsbestrebungen gewaltsam nieder.

Seit Mai 2015 herrscht der ehe­malige Militärdiktator (1983 bis 1985) Muhammadu Buhari vom All Progressives Congress (ACP). Er ist Muslim und kommt aus dem Norden des Landes, sein Vorgänger Goodluck Jonathan ist Christ aus dem Süden.

Ölboom in Nigeria

Das Erdöl wurde 1958 im Nigerdelta entdeckt und ist seit den 1970er Jahren das wichtigste Exportgut des Landes. Nigeria ist der zehntgrößte Erdölproduzent der Welt und der größte Erdölproduzent Afrikas. Die Erdölförderleistung beträgt zwischen 2,1 und 2,4 Millionen Barrel täglich. Allerdings ist Nigeria abhängig vom Ölexport. Daraus stammen über 90 Prozent der Deviseneinnahmen; 70 Prozent der staatlichen Einnahmen und etwa 14 Prozent des BIP. 5

Zwar verschafft das Öl- und zunehmend auch das Gasgeschäft dem westafrikanischen Staat hohe Exporterlöse, es entstehen jedoch in diesem Sektor kaum neue Arbeitsplätze. Gefördert wird das Erdöl in Joint Ventures mit der „Nigeria National Petroleum Corporation (NNPC)“ im Nigerdelta vor allem von Shell, ExxonMobil, Chevron Texaco, ENI/Agip und Total. 6

Trotz vier Raffinerien im Land, muss Nigeria nach wie vor einen Großteil des Benzins für den Eigenbedarf importieren. Seit Juni 2014 sind die Erdölpreise um die Hälfte gefallen. Die Folgen für Nigerias Wirtschaft und somit für die werktätige Bevölkerung sind extrem hart. Aber noch katastrophaler sind die Auswirkungen der Ölförderung für die Umwelt. Wasser, Böden, Luft und Nahrungsmittel sind hochgradig verseucht. Das Nigerdelta ist eine ökologische Wüste. Bis zu einer Million Menschen sind durch die gravierende Umwelt­zerstörung bedroht.

Im Mai 2010 traten aus einer Pipeline in Akwa Ibom binnen sieben Tagen über 3 000 Barrel Öl aus und zerstörten einen der größten Mangrovenwälder der Erde. 7

Tausende von Umweltflüchtlingen verlassen das Herz des Nigerdeltas. In dieser Region wird bei der Ölförderung mehr Gas abgefackelt als irgendwo sonst in der Welt. Das Nigerdelta produziert mehr Treibhausemissionen als alle Länder des subsaharischen Afrika zusammen. 8

Bei Explosionen von Ölpipelines sind in den letzten Jahren immer wieder zahlreiche Menschen getötet worden. Bewaffnete Milizen kontrollieren teilweisedie Ölgebiete. Die nigerianische Armee geht regelmäßig mit brutalen Einsätzen gegen die Milizen vor.

Zum Schutz ihrer Förderanlagen bedienen sich die globalen Mega-Konzerne auch privater Sicherheitsdienste. Nach den Berichten, die anlässlich des zehnten Jahrestages der Hinrichtung von Ken Saro Wiwa 9 veröffentlicht wurden, ist die Lage im Nigerdelta wesentlich schlimmer als 1995: Mehr Gewalt, mehr bewaffnete Gangs, Milizen und nigerianisches Militär.

Massenarmut, politische und religiöse Gewalt beherrschen den Alltag in Nigeria.

Die Mehrheit der Bevölkerung, die ArbeiterInnen und Werktätigen profitiert nicht vom Öl-Boom. Im Gegenteil: In den Städten haben die enormen Öleinnahmen und die Herausbildung einer neuen reichen Öl-Oligarchie die Preise für Wohnraum und Land in die Höhe schnellen lassen.

Der Prozess der Gentrifizierung wird gnadenlos vorangetrieben: Zwischen 2003 und 2007 wurden in den Slums der Hauptstadt Abuja etwa 800 000 Menschen als „illegale Besetzer“ von ihrem Land vertrieben. Die Bevölkerung der Armenviertel und Slums im ganzen Land ist den steigenden Preisen für Grundnahrungsmittel und Kraftstoff hilflos ausgeliefert, diese führten schließlich im Winter 2008/09 zu einer Hungerrevolte. Etwa zwei Drittel der Bevölkerung lebt in extremer Armut (weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag). 10

Die hohe Inflationsrate von 8Prozent führt dazu, dass die Grundversorgung rapide teurer wird. Nach Angaben der Weltbank sterben im Durchschnitt 124 von 1 000 Kindern, bevor sie fünf Jahre alt werden. Etwa 35Prozent der Bevölkerung haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Mehr als 70Prozent der Menschen verfügen nicht über angemessene Sanitäreinrichtungen.

Nur knapp die Hälfte der Bevölkerung ist an das Stromnetz angeschlossen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, vor allem unter jungen Männern im Norden liegt die Erwerbslosigkeit inzwischen bei weit über 60Prozent. Und das in einem Land, in dem die Hälfte der EinwohnerInnen zwischen 18 und 35Jahren alt ist. 11

Etwa 13Prozent aller Kinder unter 14Jahren müssen arbeiten gehen. 35Millionen Menschen in Nigeria sind Analphabeten. Das ist fast jede und jeder fünfte NigerianerIn. 12

Nigeria – endlose Gewalt

Entführungen und Geiselnahmen im Nigerdelta, Boko Haram, Folter….. das sind aktuelle Schlagzeilen heute aus dem Land. Nigeria gilt als eines der Länder mit dem stärksten Menschenhandel nach Europa. Gehandelt wird dabei v.a. mit Frauen, die in Europa zur Prostitution gezwungen werden, und Kindern, die illegal zur Adoption freigegeben und zur Kinderarbeit oder ebenfalls zur Prostitution gezwungen werden. Junge Frauen sind der Gewalt besonders ausgesetzt. Sie werden in den Armeen, den islamischen Organisationen und Söldnergruppen häufig Opfer sexueller Gewalt.

Im September 2014 und Juni 2015 veröffentlichte Amnesty International Berichte über Menschenrechtsverletzungen durch das Militär und systematische Folterungen in Gefängnissen. Zahlreiche Polizeieinheiten unterhalten Folterkammern. Willkürliche Festnahmen ohne Kontakt zur Außenwelt sind gängige Praxis.

Oppositionelle Meinungsäußerungen sind verboten: Im Juni 2014 verwüsteten Militäreinheiten und Angehörige des Inlandsnachrichtendienstes mehrere Telekommunikationssektoren. Im August wurden Redakteure des Daily Trust in Maiduguri festgenommen und im Oktober ein Journalist vom Fernsehsender African Independent Television. 13

Im ersten Halbjahr des Jahres 2013 sind mehr als 950 Personen in Militärgewahrsam gestorben. 14

Nach wie vor gilt in Nigeria die Todesstrafe. 2007 wurde eine Aussetzung der Vollstreckung der Todesstrafe beschlossen, jedoch 2014 wieder aufgehoben. 1999 wurde in zwölf nördlichen Bundesstaaten die Scharia-Strafgesetzgebung eingeführt. Sie ist eine der extremsten Ausrichtung des patriarchal-imperialistischen Systems. Frauen werden in Schulen, in Krankenhäusern, im Transport, im öffentlichen Leben diskriminiert.

Streik Nigeria

Armes reiches Nigeria

Nigeria ist reich, die meisten Menschen sind arm. Öl und Gas bringen Milliardeneinnahmen, doch davon profitieren vor allem die Kompradorenbourgeoisie im Öl-und Erdgassektor und die nationale Bourgeoisie, die im Nollywood- und Telekommunikationsektor verankert ist. So kommt der reichste Kapitalist Afrikas aus Nigeria mit einem Vermögen von 20,2 Milliarden US-Dollar. 15

Im Norden kommt von dem Reichtum fast nichts an. Die Region ist strukturell völlig vernachlässigt. Mangelnder Zugang zu Wasser, mangelnde Bildungsmöglichkeiten und marodes Gesundheitswesen.

Die brutale Realität: Die Widersprüche zwischen feudal-agrarischer Rückständigkeit und imperialistischer Ausbeutung, die Korruption der Herrschenden, die Massenmorde der Militärs, ethnische Konflikte und die allgegenwärtige Armut. Einen Ausweg aus dieser Not verspricht die islamische Variante des christlichen Fundamentalismus, die sich gegen alles, was aus dem „Westen“ kommt, richtet. So gewann und gewinnt Boko Haram enorm an Zulauf.

Boko Haram –
Spirale aus Gewalt und Gegengewalt

Zu Beginn kämpfte Boko Haram nicht nur für eine islamistische Gesellschaftsordnung, sondern auch gegen Armut, ungerechte Verteilung und Korruption. Die Gruppe rekrutiert ihre Mitglieder überwiegend aus der großen Zahl bitterarmer Jugendlicher aus dem Norden. Waffen aus Libyen, die in der Sahelzone und in der Region des Nordens von Nigeria kursieren, erleichtern es ihnen zudem, sich auszurüsten.

2009 töteten nigerianische Soldaten Mohammed Yusuf, den damaligen Anführer von Boko Haram, und mit ihm 800 seiner Kämpfer. Seitdem ist Abubakar Shekau neuer Anführer. Er erklärte im Oktober 2010 Boko Haram zu einer Sektion von al-Qaida. Anfang 2015 proklamierte Shekau den Beitritt von Boko Haram zum Islamischen Staat (IS). 16

2011 verhaftete die Polizei mehr als 100 Frauen und Kinder von Boko-Haram-Führern.

2013 startete der angekündigte Rachefeldzug: Boko Haram überfiel am 7. Mai die Stadt Bama. 55 Menschen wurden getötet, 12 Frauen und Töchter von nigerianischen Sicherheitskräften gekidnappt. Im selben Jahr wurde für die nördlichen Regionen Yobe, Adamawa und Borno der Notstand ausgerufen. 17

Seitdem nimmt die Spirale von Gewalt und Gegengewalt, von Entführungen und Gegenentführungen täglich zu.

Am 14. April 2014 entführten Boko Haram Einheiten in Chibok, einem Dorf im Bundesland Borno im Nordosten Nigerias, mehr als 200 Mädchen aus dem Schlafsaal ihrer Schule. Dieser brutale Angriff hat eine globale Medienkampagne ausgelöst, die von den Imperialisten benutzt wurde, um ihren sogenannten Anti-Terrorkrieg zu legitimieren. Ende Januar (2015) beschloss die Afrikanische Union die Aufstellung einer regionalen Einsatztruppe gegen Boko Haram. Ihr sollen Einheiten aus Nigeria, dem Tschad, Niger, Kamerun und Benin angehören. Die angestrebte Gesamt­stärke liegt bei 8 700 Soldaten.

Anfang Februar 2015 stimmte Nigeria dann der Bildung einer solchen militärischen Einheit zu. Auch südafrikanische Söldner kämpfen mit Unterstützung der USA und Frankreich gegen Boko Haram und seine Anhänger­Innen.

Die Eingreiftruppe eroberte einige Orte im Nordosten Nigerias zurück. Seit dem Amtsantritt von Muham­madu Buhari im Mai 2015 haben die Anschläge von Boko Haram wieder zugenommen. Mehr als 1 000 Menschen sind seitdem Opfer seiner Gewalt geworden. Zwischen Mitte und Ende November 2014 sind laut Unicef 500 000 Kinder vertrieben worden, mehr als 1,4 Millionen Kinder sind auf der Flucht vor der Gewalt in Nigeria. 18

Reaktionäre Ausrichtung von Boko Haram

Boko Haram zwingt entführte Frauen und Mädchen zur Heirat, bildet sie zu Selbstmordanschlägen aus, zwangsrekrutiert Männer und foltert Menschen, die in von ihnen kontrollierten Gebieten leben und gegen ihre Regeln verstoßen. Ihre Politik ist faschistisch-reaktionär.

Sowohl von Boko Haram als auch von der nigerianischen Armee geht eine exzessive Gewalt gegeneinander und vor allem gegen die Zivilbevölkerung aus. 2014 kursierte ein Video im Internet, auf dem Soldaten der nigerianischen Armee und eine Bürgermiliz mit Vergnügen Menschen, die sie als Boko-Haram-Terroristen verdächtigen, die Köpfe abhacken. 19

Diejenigen aus Militär und herrschenden Cliquen, die von Nigerias enormen Investitionen in Militär und Sicherheitskräfte profitieren, ziehen jedenfalls einen großen Profit aus diesem Konflikt. Dabei brauchen die Werktätigen und Völker in Nigeria weder Kapitalismus und Gewalt noch christlichen oder islamischen Fanatismus.

Solange dieses brutale Ausbeutersystem bestehen bleibt, werden – auch reaktionäre – Organisationen und Parteien gegen Hunger und Unterdrückung und gegen imperialistische Kriege und Ausbeutung kämpfen.

Militär und Militarisierung

Nigeria dominiert militärisch die gesamte Region. Das Land verfügt mit über 80 000 SoldatInnen über die größten Truppen in der Region. Die Truppen nehmen an internationalen Einsätzen der UN, der AU und der ECOWAS teil. Derzeit beteiligen sich knapp 3 000 NigerianerInnen an internationalen Einsätzen, davon etwa 2 500 Soldaten. Schwerpunkte bilden dabei die Einsätze in Liberia (UNMIL) und Darfur (UNAMID). 20

Einsätze der ECOMOG, der militärischen Eingreiftruppe der ECOWAS, verliefen ganz gemäß der Interessen Nigerias. 21

Regionale Wirtschaftsmacht

Nigeria dominiert auch wirtschaftlich die gesamte Region. Eine Reform der Berechnung des Bruttoinlandsprodukts durch das nigerianische Statistikamt katapultierte Nigeria im April 2014 mit einem Schlag statistisch zur größten Volkswirtschaft Afrikas (hinsichtlich Wertschöpfung nach BIP). 22

Die Faktoren, die dazu führten, dass Nigeria Südafrika als größte Volkswirtschaft Afrikas ablöste, sind die Unterhaltungsindustrie (Nollywood), die Informationstechnologie und der Handel.

„Nollywood“, die nigerianische Kino- bzw. Video-Industrie, versorgt den großen nationalen Markt und erreicht über Satellitenfernsehen auch andere afrikanische Staaten und die afrikanische Diaspora. Gemessen an der Zahl der produzierten Filme ist Nollywood (nach Bollywood/Indien) heute der zweitgrößte Filmproduzent der Welt. Jährlich werden ca. 2000 Filme hergestellt und erzielen einen Jahresumsatz von 2,75Milliarden US Dollar. 23

2013 trug der Telekommunikationssektor rund 8,6Prozent zur wirtschaftlichen Gesamtleistung des Landes bei. Vorreiter ist der Mobiltelefonmarkt: 2013 gab es in Nigeria bereits mehr als 126Millionen Mobilfunkanschlüsse. 24

Ex Präsident Jonathan hat weitaus mehr Facebook-Freunde als Angela Merkel. 25

Der größte Wirtschaftssektor Nigerias ist die Erdöl- und Erdgasindustrie, auch wenn sie nur noch rund 14Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht.

Dennoch ist Nigeria ein agrarisches Land. Über 70Prozent der ArbeiterInnen sind in der Landwirtschaft tätig und erwirtschafteten 2013 etwa 35,4Prozent des BIP. Produziert werden Nahrungsmittel für den Eigenbedarf sowie Cash Crops (Kakao, Erdnüsse, Kautschuk, Cassava, Yam) für den Export. In den letzten Jahren wuchs dieser Sektor mit zehn Prozent überdurchschnittlich. Das liegt zum einen daran, dass viel Geld aus der Entwicklungshilfe in Düngemittel (für europäische Konzerne) ausgegeben wird, zum anderen wird Land in großem Stil an „Land Grabber“ (illegale Aneignung von Land) verkauft.

Die unterentwickelte Landwirtschaft ist nicht in der Lage, den Nahrungsmittelbedarf zu decken. Jährlich muss das Land rund vier Milliarden US-Dollar für den Import von Reis ausgeben.

Der Industriesektor (Stahl, Zement, Düngemittel) macht ca. 23,7 Prozent des BIP Nigerias aus. 26

Vision 2020

Das Regierungsprogramm Vision 2020 verfolgt das Ziel, Nigeria bis 2020 unter den Top20 der Volkswirtschaften der Welt zu platzieren. Mit einem Wachstum des BIP von mehr als sechs Prozent/Jahr gehört Nigeria zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften des Kontinents.

Nigeria verfügt über einen immensen Rohstoffreichtum: Erdöl- und Erdgasvorkommen, Diamanten, Zinn, Eisen-, Blei- und Zinkerz, Kohle, Kalk, Gesteine, Phosphat und Ackerland (zum Verkauf an die Land Grabber). 27

Nigeria verfügt mit geschätzten 5,3Billionen Kubikmetern über die achtgrößten Erdgasreserven weltweit.

Seit 1999 hat sich Nigeria nach Südafrika, Namibia und Sierra Leone zum viertgrößten Diamantenexporteur Afrikas entwickelt.

Nigeria und die imperialistischen Großmächte

Konservativen Schätzungen zufolge verfügt das Land über Rohölreserven von 35Milliarden Barrel. Bei einem (aktuell sehr niedrigen) Barrelpreis von etwa 40 Euro, begreift man schnell, warum das Interesse an Nigeria so hoch ist. Aber nicht nur Erdöl und Diamanten stehen in den Interessen ganz oben. Direktinvestitionen sollen den Einfluss und die Kontrolle auf Unternehmungen in Nigeria verstärken. Zum Zufluss von Direktinvestitionen nach Nigeria haben wir in Trotz Alledem, Nr. 70 bereits Zahlen genannt.

Die meisten Investitionen kamen 2013 aus den USA, aus Südafrika und aus Großbritannien in den Sparten Technologie, Medien und Telekommunikation, dem Einzelhandel und Konsumgüter an zweiter Stelle, sowie Finanzdienstleistungen.

Investitionen im Bereich Infrastrukturmaßnahmen sind extrem lukrativ. Eine besondere Rolle im Bereich der Infrastruktur spielen die großen Städte, wie Lagos. So gehört der Bau einer U-Bahn für Lagos zu den aktuell zehn größten Infrastrukturprojekte in Afrika. 28

Die künstliche Halbinsel „Eco Atlantic City“ vor Nigeria ist ebenfalls eines der größten Infrastrukturprojekte auf dem afrikanischen Kontinent. 29

Nigeria ist ein riesiger Markt: Wachsende Automobilbranche, Städtebau, steigender Strombedarf, dazu sein Reichtum an Rohstoffen und eine junge Bevölkerung. 70 Prozent der NigerianerInnen sind jünger als 30 Jahre, die Hälfte davon sogar jünger als 19 Jahre. 30

Das alles zusammen lässt die Investorenherzen höher schlagen.

Die wichtigsten Exportländer 2014 waren Indien (14,8 Prozent), Brasilien (9,7), Spanien (8,2), Niederlande (8,0) und die USA mit 6,6 Prozent. China bleibt an der Spitze der Herkunftsländer von Importen nach Nigeria (30,6 Prozent), USA (11,7), Indien (5,7), Frankreich (3,9) und Großbritannien mit 3,6 Prozent. 31

Den Neokolonialismus, die Ausbeutung von Mensch und Natur in Westafrika haben wir in der Trotz Alledem, Nr. 70 bereits ausführlich dargelegt. Wir haben über die Investitionen und Interessen Großbritanniens, Chinas, den USA, Frankreichs, der Türkei und Deutschlands geschrieben. Das ist in Nigeria genauso, wie in den anderen Ländern Westafrikas. Wir werden daher nur einige Beispiele nennen und konzentrieren uns schwerpunktmäßig auf Deutschlands imperialistische Interessen.

Großmacht China

Legt man eine Karte der chinesischen Investitionen in Afrika über eine Karte der Bodenschätze des Kontinents, überlappen sich beide: Die meisten Investitionen gingen in den Sudan, nach Angola und Nigeria. Das sind die Länder, die über die größten Erdölvorkommen verfügen. China investiert in Rohstoffausbeutung, Finanzen und Infrastruktur. Die Eisenbahnlinie Lagos-Kano (ca. 1 300 km) wurde 2013 mit chinesischen Investitionen erneuert. 32

Als größtes Auslandsprojekt Chinas mit rund 12 Milliarden US-Dollar plant das staatliche Bahnunternehmen China Railway Construction Corp (CRCC) eine 1 400 Kilometer lange Bahnverbindung an der Küste Nigerias. Die Bahnverbindung soll Lagos mit der südöstlich gelegenen Hafenstadt Calabar verbinden. Für den Bau wurden in China entwickelte Technologie und Geräte im Wert von vier Milliarden US-Dollar nach Nigeria geschickt. 33

Das Hydrokraftwerk Adamwa State mit einem Investitionsvolumen von zwei Milliarden US-Dollar wird von China finanziert. 34

Großmacht USA

Wie überall auf dem afrikanischen Kontinent setzen die USA auch in Nigeria auf die militärische Karte. So haben sie Militärexperten nach Nigeria entsandt, um zum einen den Kampf gegen Boko Haram zu forcieren. 35 Zum anderen haben die USA militärische Unterstützung im Kampf gegen die „Bewegung für die Emanzipation des Niger-Deltas“ zugesagt. 36

Das ist aber nur ein Vorwand. In Wahrheit geht es den USA um den Erhalt ihrer Neokolonie im Konkurrenzkampf gegen die Großmacht China und die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien.

Aufstrebende Macht Indien

Indien hat die USA als Hauptabnehmer des nigerianischen Erdöls abgelöst. 37

Die Ajoakuta Stahlfabrik mit einem Investitionsvolumen von 240 Millionen US-Dollar wird von einem indischen Investor getätigt. 38

Ehemalige
Kolonialmacht Großbritannien

Sie verlor nach dem 2. Weltkrieg ihre führende Rolle, während andere europäische Länder, vor allem aber die USA, zu wichtigen Handelspartnern Nigerias avanciert. Heute ist Großbritannien jedoch wieder zum drittgrößten Investor (vor allem im Bereich Finanzen) in Westafrika und Nigeria aufgestiegen. Nigerias Militärdiktatoren studierten fast allesamt in Großbritannien und brachten dort ihre Familien und ihr Vermögen unter.

Ehemalige
Kolonialmacht Frankreich

Seit der Kolonialzeit war und ist der französische Imperialismus darauf aus, die ehemalige britische Kolonie zu schwächen. Zum einen, weil Nigeria in der Region Westafrika übermächtig dominant ist, zum anderen weil Nigeria von der imperialistischen Konkurrenzmacht Großbritannien kolonialisiert wurde, und nicht von Frankreich selbst, das in dem Gebiet Westafrika eine Vormachtstellung hatte. Während des Biafra-Bürgerkriegs sah Frankreich eine Chance und unterstützte die Separatisten über die Elfenbeinküste und Gabun mit Waffen, Söldnern und Geld. Im Kampf gegen Boko Haram sieht Frankreich heute wieder eine Chance, Einfluss auf Nigeria zu nehmen. Von seinen Militärstützpunkten in den ehemaligen Kolonien fliegt Frankreich Aufklärungsflüge.

Zu spät gekommene“
Großmacht Deutschland

Handel: Nigeria ist der zweitwichtigste Handelspartner Deutschlands in Afrika südlich der Sahara und Deutschlands wichtigster Handelspartner in Westafrika. 39

Im Jahr 2014 importierte Deutschland aus Nigeria Waren im Wert von 3,95Milliarden Euro und liegt damit an neunter Stelle der nigerianischen Exporte. 40

Deutschland bezieht 12,8 Prozent seiner landwirtschaftlichen Produkte aus Westafrika, sowie knapp 5 Prozent seiner Öl- und Gaseinfuhren, davon 87 Prozent aus Nigeria und fast 3 Prozent seiner Erze.  41

Deutschland exportierte 2014 Waren im Wert von 1,39Milliarden Euro nach Nigeria: Maschinen, Fahrzeuge, chemische und elektrotechnische Produkte und liegt damit an zehnter Stelle. 42

Direktinvestitionen: Der Bestand an Deutschen Direktinvestitionen lag 2010 bei 77 Millionen Euro, 2011 bei 59 Millionen Euro und 2012 bei 152Millionen Euro. 43

Bilaterale Reisetätigkeit: Im Juli 2011 reiste Bundeskanzlerin Merkel gemeinsam mit einer Wirtschaftsdelegation nach Nigeria. Im April 2012 kam Ex-Präsident Jonathan nach Deutschland. 44 Der neu gewählte Präsident Buhari trat seine erste Reise außerhalb Afrikas am 7./8. Juni 2015 zum G7-Gipfel in Elmau/BRD an. 45

Energie: Im Mittelpunkt der Gespräche zwischen Merkel und Buhari stand der Ausbau der deutschen Wirtschaftsbeziehungen, insbesondere in den Bereichen Energie und Sicherheit. Die Nigerianisch-Deutsche Energiepartnerschaft wurde vorangetrieben. Seitdem wurde eine ganze Reihe von Projekten im Bereich der Erneuerbaren Energie beschlossen. Z.B.: Im April 2012 erhielt die SIEMENS AG den Auftrag für den Bau eines Gasturbinenwerkes.

Deutsche Neokolonialisten in Nigeria: Ca. 70deutsche Unternehmen arbeiten in Nigeria, vor allem als Zulieferer in den Sektoren Maschinenbau, der Automobilherstellung sowie für chemische und elektrotechnische Güter. 46

Seit 1984 gibt es eine Delegation der Deutschen Wirtschaft der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) in Lagos, die das Ziel verfolgt, eine Deutsche Auslandshandelskammer (AHK) zu gründen. 47

Zwangsknechtung durch die EU

Aktuell gibt es Pläne für eine Trans-Sahara-Pipeline von Nigeria über Niger nach Algerien, um den europäischen Markt zu versorgen. Die Kosten für den Bau werden auf 10 Milliarden US-Dollar geschätzt. Sowohl Russland (Gazprom) als auch die EU haben Interesse an dem Projekt geäußert. 48

Als Nigeria seinen Markt für chinesische Importe öffnen musste, gingen 80Prozent der einheimischen Textilfirmen Pleite. Eine Viertelmillion Nigerianer­Innen verlor ihre Arbeit.

Als Nigeria seinen Markt für europäische Agrarprodukte öffnen musste, 49 wurden afrikanische Agrarprodukte zunehmend verdrängt.

Z.B.: Tomaten aus Italien und Spanien werden mit billigen Arbeitskräften – zumeist Flüchtlinge aus dem afrikanischen Kontinent – geerntet und als subventioniertes (und deswegen billigeres) Tomatenmark nach Afrika exportiert.

Fazit

Mit dem Wirtschaftsboom steigt in Afrika die Zahl derer, die zur Mittelklasse gezählt werden. Trotzdem hat sich das Klassenverhältnis kaum verändert. Die Reichen werden reicher und die Armen ärmer.

Investoren überschwemmen das Land und feiern das Wirtschaftswachstum und das BIP-Wunder Nigerias.

Umweltkatastrophen made by den imperialistischen Metropolen und Konzernen führen zu dramatischer Klimaveränderung: Dürren, Überschwemmungen und Hunger sind die Folgen.

Die Rebellen der „Bewegung für die Emanzipation des Niger-Deltas“(MEND) führen seit Jahren einen Guerillakrieg gegen die internationalen Ölkonzerne und die Marionetten an der Regierung. Trotz eines offiziellen Verbots des Abfackelns von Gas 50 wenden Shell und andere Unternehmen in Nigeria weiterhin diese Fördermethode an. Aufgrund der hohen Emission von Treibhausgasen kommt es zum immensen Anstieg von Krankheiten, Verschmutzung des Wassers und Missernten.

Protest Nigeria

Januar 2012: Der Generalstreik gegen die abgeschafften Kraftstoff-Subventionen dauerte acht Tage, mehr als 50000 Leute sind täglich auf die Straße gegangen. Schätzungsweise haben achtMillionen ArbeiterInnen an diesem Streik teilgenommen. Nachdem Ex-Präsident Jonathan den Benzinpreis wieder senken musste, riefen die beiden größten Gewerkschaften, NLC (Nigerian Labour Congress) und TUC (Trade Union Congress), dazu auf, die Proteste zu beenden. SchülerInnen und StudentInnen versuchten noch eine Zeit lang, die Bewegung aufrecht zu erhalten, gaben aber schließlich auf. 14 Menschen wurden durch Polizeigewalt bei den Protesten getötet. 51

Mitte April 2012 streikten Ärzte im Bundesstaat Lagos. Im Mai wurden 788 Ärzte fristlos gekündigt, weil sie sich am Streik beteiligt hatten. In ganz Nigeria solidarisierte sich das medizinische Personal in den staatlichen Krankenhäusern. Sie forderten eine Wiedereinstellung der Ärzte und eine Angleichung der Löhne an die Lohnskala der Ärzte.

Im November 2014 streikten die Beschäftigten im Gesundheitswesen des nigerianischen Bundesstaats Enugu. Sie forderten ihre ausstehenden Löhne für die Monate, in denen sie gestreikt hatten und die Durchsetzung eines Tariflohns für die Beschäftigten im Gesundheitswesen. 52

Trotz dieser extrem miesen Bedingungen kämpft ein Teil der Werktätigen in Nigeria gegen Verarmung, ein Teil der Völker Nigerias kämpft gegen Neokolonialismus. Diese Kämpfe müssen wir mit all unserer Kraft unterstützen.

Nigeria – Basisinformationen – Zahlen
Nigeria liegt am Atlantischen Ozean und grenzt an Benin, Niger, Tschad und Kamerun. Es umfasst ein Gebiet von 923 768 Quadratkilometern. Zum Vergleich: Deutschland hat eine Fläche von 357 170 Quadratkilometern. Südöstlich verläuft der Strom Niger, südwestlich der Benue, die im Nigerdelta in den Golf von Guinea münden. Das Nigerdelta gehört zu den größten Flussdeltas der Erde und dehnt sich auf einer Fläche von ca. 70 000 Quadratkilometern aus. Das entspricht ungefähr der Größe Bayerns. 53
Nigeria ist Afrikas bevölkerungsreichstes Land, mit mehr als 181 Millionen EinwohnerInnen nimmt das Land Rang acht unter allen Ländern der Erde ein (nach China, Indien, EU, USA, Indonesien, Brasilien und Pakistan). 54
In Nigeria ist die Urbanisierung rasant vorangeschritten, 47,8 Prozent der Bevölkerung leben in Städten, in Lagos mehr als 13 Millionen Menschen, in Kano 3,58 Millionen, in Ibadan etwas mehr als drei Millionen und in Abuja, der Hauptstadt, etwa 2,5 Millionen. Das sind faktisch Stadtkonglomerate mit überdimensionalen Slumvierteln. 55 250-400 ethnische Gruppen leben in Nigeria, die größten und politisch einflussreichsten Völker sind Hausa und Fulani (Fulbe), sie machen zusammen 29 Prozent aus, Yoruba 21 Prozent im Südwesten, Igbo (Ibo) im Süden 18 Prozent und Ijaw im Süden 10 Prozent. Hinzu kommen weitere Minderheiten, wie Kanuri (4 Prozent), Ibibio (3,5 Prozent) und Tiv (2,5 Prozent). Nigeria ist ein Schmelztiegel drei verschiedener Traditionen: der westlichen, der islamischen und der afrikanischen Kultur. Etwa 50 Prozent sind Muslime (ihre Anzahl ist damit größer als in jedem arabischen Land, außer Ägypten), etwa 40 Prozent sind Christen und 10 Prozent sind AnhängerInnen von Naturreligionen. 56
Nigeria hat sich mit fünf Staaten der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS), die nicht Mitglied der frankophonen west-afrikanischen Wirtschafts- und Währungsunion UEMOA sind, zur west-afrikanischen Währungsunion WAMZ zusammengeschlossen. Deren Ziel war die Schaffung einer Zentralbank und einer ge­­meinsamen Währung, dem Eco, bis 2015. Als größte Volkswirtschaft südlich der Sahara mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 520 Milliarden US-Dollar dominiert Nigeria die gesamte Region. 57
Zum Vergleich das BIP der anderen fünf Länder der WAMZ: Gambia 824 Millionen US-Dollar, Ghana 38,6 Milliarden US-Dollar, Guinea 6,77 Milliarden US-Dollar, Liberia 2Milliarden US-Dollar, Sierra Leone 3,78 Milliarden US-Dollar. 58
Nigeria ist Mitglied in zahlreichen internationalen Organisationen, wie der Organisation Erdöl-exportierender Länder (OPEC), der Arabischen Liga, Commonwealth of Nations, der G77, Gruppe der 77 und G15, Gruppe der fünfzehn (Lose Bündnisse verschiedener „Entwicklungsländer“), sowie Gründungsmitglied der NePAD.59
Im Januar 2014 übernahm Nigeria einen nicht ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen für zwei Jahre.
Beim HDI (Index für menschliche Entwicklung) liegt Nigeria in der Rangliste auf Platz 152 von 187 Ländern.

Missionierung gegen Islamisierung

Nach Einführung der Scharia nahm der Einfluss christlich-fundamentalistischer Sekten und Kulte zu. Sie propagieren, über Armut, Not und Elend hinwegzusehen, den Reichtum des christlichen Südens (als gottgegeben) hinzunehmen.

Die Evolutionslehre wird als Blasphemie abgetan, Kondome (im HIV-geplagten Nigeria) abgelehnt und Homosexualität als widernatürlich gegeißelt.

Im Januar 2014 trat ein Anti-Homosexuellen-Gesetz in Kraft. Es ist das weltweit repressivste Gesetz gegen Homosexualität, es bestraft nicht nur Sex, sondern auch Treffen, Küsse und die Teilnahme an Eheschließungen – selbst im Ausland. Bereits wenige Tage nach Inkrafttreten des Gesetzes wurden Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender und Intersexuelle (LGBTI) schikaniert, erpresst und mit dem Tode bedroht.

1 africavenir.org/fileadmin/downloads/e_dossiers/Widerstand.pdf, eingesehen Juli 2015

2 ifeas.uni-mainz.de/Dateien/AP129.pdf, eingesehen November 2015

3 liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat/, eingesehen Oktober 2015

4 ifeas.uni-mainz.de/Dateien/AP129.pdf, eingesehen November 2015

5 auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Wirtschaft.html, eingesehen Oktober 2015

6 liportal.giz.de/nigeria/wirtschaft-entwicklung/,
eingesehen Juni 2015

7 Wikipedia/Nigeria, eingesehen September 2015

8 Le Monde diplomatique vom 13.03.2009, monde-diplomatique.de/artikel/!704568, eingesehen Januar 2015

9 Der nigerianische Umweltaktivist und Schriftsteller Ken Saro Wiwa gründete 1989 die Bewegung Mosop (Movement for the Survival of the Ogoni People), die sowohl die nigerianische Regierung als auch die durch Shell verursachten Umweltschäden im Land der Ogoni bekämpfte. Ken Saro Wiwa wurde verhaftet, und zum Tode verurteilt. Am 10. November 1995 wurde er mit acht weiteren Mitstreitern der Mosop in Port Harcourt ermordet.

10 bmz.de/de/was_wir_machen/laender_regionen/subsahara/nigeria/zusammenarbeit/, eingesehen Oktober 2015

11 handelsblatt.com/politik/international/terror-in-nigeria-zwei-drittel-aller-nigerianer-leben-in-bitterster-armut/95849 06-3.html, eingesehen Oktober 2015

12 ddc.arte.tv/in-einem-bild/das-menschenrecht-auf-bildung, eingesehen Oktober 2015

13 amnesty.de/jahresbericht/2015/nigeria, einesehen Dezember 2015

14 Le Monde diplomatique vom 08.01.2015, monde-diplomatique.de/artikel/!242034

15 nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=20471, eingesehen Dezember 2015

16 Le Monde diplomatique vom 12.03.2015, monde-diplomatique.de/artikel/!212101

17 Le Monde diplomatique vom 08.01.2015, monde-diplomatique.de/artikel/!242034, eingesehen Juni 2015

18 welt.de/politik/ausland/article146548404/Mehr-als-1-4-Millionen-Kinder-fliehen-vor-Boko-Haram.html, eingesehen November 2015

19 Le Monde diplomatique vom 08.01.2015, monde-diplomatique.de/artikel/!242034

20 auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Aussenpolitik.html, eingesehen Juli 2015

21 ECOMOG-Truppen intervenierten bisher in der Elfenbeinküste (2002), Guinea-Bissau (1999), Sierra Leone (1997) und Liberia (1990-1997).

22 Allerdings ist das Pro-Kopf-Einkommen von Südafrika nach wie vor mehr als doppelt so hoch wie das von Nigeria.

23 Kmu.admin.ch/kmu-betreiben/03454/03668/index.html? lang=de, eingesehen Dezember 2015

24 liportal.giz.de/nigeria/wirtschaft-entwicklung/, eingesehen Oktober 2015

25 afrikaverein.de/uploads/media/Afrika_Trendstudie__2025.pdf, eingesehen Juli 2015

26 auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Wirtschaft.html, Stand Juni 2015

27 cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ni.html, eingesehen November 2015

28 afrikaverein.de/uploads/media/AV-Hintergrundpapier_Infrastruktur.pdf, eingesehen Juni 2015

29 3sat.de/mediathek/index.php?mode=play&obj=33459, 13.11.2012

30 3sat.de/mediathek/index.php?mode=play&obj=24174, Bericht vom 01.04.2011

31 wko.at/statistik/laenderprofile/lp-nigeria.pdf, Stand Oktober 2015

32 afrikaverein.de/uploads/media/AV-Hintergrundpapier_Infrastruktur.pdf, eingesehen Juni 2015

33 WirtschaftsBlatt.at, China baut Eisenbahn in Afrika für 12 Milliarden Dollar, 20.11.2014, eingesehen Dezember 2014

34 Afrika im Fokus 2013 , Chancen und Projekte , Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing mbH, www.gtai.de , Oktober 2013, S. 33

35 liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat/, eingesehen Oktober 2015

36 Junge Welt 15.08,2013, Nr. 188, S. 6

37 auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Wirtschaft.html, Stand 2015

38 Afrika im Fokus 2013 , Chancen und Projekte , Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing mbH , www.gtai.de , Oktober 2013, S. 33

39 destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2014/08/PD14_277_51.html, Stand 06.08.2014

40 auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Bilateral.html, Stand Juni 2015

41 destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2014/08/PD14_277_51.html, Stand 06.08.2014

42 auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Bilateral.html, Stand Juni 2015

43 ahk.de/fileadmin/ahk_ahk/GTaI/nigeria.pdf, Stand November 2014

44 liportal.giz.de/nigeria/geschichte-staat/, eingesehen Oktober 2015

45 auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Bilateral.html, Stand Juni 2015

46 Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft e.V., Hintergrundpapier Nigeria Oktober 2015, S. 2)

47 auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Bilateral.html, Stand Juni 2015

48 Wikipedia engl/Nigal, eingesehen November 2015

49 Die Freihandelsabkommen EPA und die Folgen für Westafrika siehe Trotz Alledem, Nr. 70

50 Abfackeln ist der Prozess der Verbrennung von überschüssigen Dämpfen aus einer Erdölbohrung

51 Le Monde diplomatique vom 07.05.2015, monde-diplomatique.de/artikel/!868612

52 rf-news.de/2014/kw47/17.11.14-2013-nigeria-unbefristeter-streik-im-gesundheitswesen, eingesehen November 2015

53 Wikipedia/Nigeria, eingesehen

November 2015

54 cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ni.html,
Stand 2015

55 cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ni.html,
Stand 2015

56 cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/ni.html,
Stand 2015

57 auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Nigeria/Wirtschaftsdatenblatt_node.html, Stand 2015

58 Zahlen Auswärtiges Amt Deutschland

59 afrikaverein.de/uploads/media/Afrika_Trendstudie_2025.pdf, eingesehen Juli 2015