Bericht: 28. Linke Literaturmesse Nürnberg

Flyer Linke Literaturmesse

Die Messe fand dieses Jahr unter erschwerten Bedingungen statt. Die Stadt Nürnberg konnte den Organisator:innen nicht rechtzeitig mitteilen, dass die Renovierungsarbeiten am Veranstaltungsort Künstlerhaus noch nicht abgeschlossen waren. So mussten die Verlage und Organisationen an unterschiedlichen Standorten untergebracht werden: Im Design Office und im Baumeisterhaus. Die Vorträge und Veranstaltungen konnten alle im Künstlerhaus stattfinden.

Unser Büchertisch war daher kleiner als im Jahr zuvor.

Am Freitagabend nahmen wir teil an der Podiumsdiskussion:

Keine Vergesellschaftung ist auch keine Lösung! – oder – Was sind heute eigentlich Linke?

Der Ankündigungstext war spannend formuliert: „Aktuelle gesellschaftliche Kämpfe, Bewegungen, organisatorische Ansätze, strategische Eckpfeiler und Grundzüge einer jenseits des Kapitalismus angestrebten Gesellschaft

Die Marktwirtschaft mit westlichen Werten und liberaler Demokratie erodiert, ihr destruktiver Charakter tritt deutlicher hervor. Ökonomische Krisen, soziale Verwerfungen, hohe Mieten, Preise, Energiekosten, Inflation und sinkende Einkommen, wie die Zerstörung des Klimas erschüttern den Status Quo. Kapitalismus, bürgerliche Ideologie und Demokratie werden zunehmend autoritär und aggressiv. Die faschistische AfD marschiert in die Parlamente und ihre Machtbeteiligung scheint eine Frage der Zeit. Gesetze werden verschärft, der Repressionsapparat ausgebaut, Arbeiter*innenrechte und soziale Versorgung abgebaut, Versuche patriarchalen Rollbacks sind allgegenwärtig, das Asylrecht zerstört und rassistische Positionen gesellschaftsfähig. Auch nach außen werden die Interessen von Banken und Konzernen rücksichtslos durchgesetzt. Sanktionen, Wirtschaftskriege, Aufrüstung stehen auf der Tagesordnung.Die Marktwirtschaft mit westlichen Werten und liberaler Demokratie erodiert, ihr destruktiver Charakter tritt deutlicher hervor. Ökonomische Krisen, soziale Verwerfungen, hohe Mieten, Preise, Energiekosten, Inflation und sinkende Einkommen, wie die Zerstörung des Klimas erschüttern den Status Quo. Kapitalismus, bürgerliche Ideologie und Demokratie werden zunehmend autoritär und aggressiv. Die faschistische AfD marschiert in die Parlamente und ihre Machtbeteiligung scheint eine Frage der Zeit. Gesetze werden verschärft, der Repressionsapparat ausgebaut, Arbeiter*innenrechte und soziale Versorgung abgebaut, Versuche patriarchalen Rollbacks sind allgegenwärtig, das Asylrecht zerstört und rassistische Positionen gesellschaftsfähig. Auch nach außen werden die Interessen von Banken und Konzernen rücksichtslos durchgesetzt. Sanktionen, Wirtschaftskriege, Aufrüstung stehen auf der Tagesordnung.

Der Ukraine Krieg, die Zuspitzung der Konkurrenz zwischen den imperialistischen Zentren, lässt einen 3. Weltkrieg möglich erscheinen. Auf der anderen Seite wird das Problem Kapitalismus offensichtlicher, es wird erfahren und erkannt. Doch was sind gesellschaftliche Perspektiven, was ist zu tun?

So oder so – Nix bleibt wie es ist. Doch wohin geht die Reise? Barbarei oder …? Welche Perspektiven, jenseits des Kapitalismus, streben aktive Linke heute eigentlich an? Was sollen Grundzüge einer Gesellschaftsordnung jenseits des Kapitalismus sein? Welche Kämpfe gibt es? Welche organisatorischen Ansätze? Was sind Eckpfeiler linker Strategie, was ist notwendig, um der auf Profit einer Minderheit ausgerichteten, kapitalistischen Ordnung ein Ende zu bereiten? Aus unterschiedlichen Ansätzen nehmen sich die zum Podium geladenen Aktivist*innen, den aufgemachten Fragen an.“ i

Zum Podium eingeladene Aktivist:innen von „Fridays for Future FfM“, „organisierte autonomie“ (OA), „Unsere Zeit und DKP“, „Revolutionärer Aufbau Zürich“ und ein Vertreter der Gewerkschaftslinken referierten und diskutierten zu diesen Themen.

Zu der Frage der Moderatorin, an welchen Kämpfen die Gruppen sich beteiligt haben, referierten Grazia und Martina vom Frauenkollektiv „Revolutionärer Aufbau Zürich“ über den Frauenstreik in der Schweiz 2019 als eine Initialzündung der europäischen Frauenstreikbewegung.

Der Streik brachte auch einen Aufschwung insgesamt in der revolutionären Bewegung der Schweiz, und ihre Aktionen wurden vielfältig unterstützt. Der „RevolutionäreAufbau Zürich“ lehnt eine parlamentarische Arbeit prinzipiell ab und versucht, Theorie und Praxis im Einklang zu bringen. Die Theorie wird auch aus zahlreichen praktischen Erfahrungen gewonnen.

Ihr Fazit: Die ökologische Krise sei einer der Hauptwidersprüche im Kapitalismus. Klima- und Betriebskämpfe müssen zusammen geführt werden. Es müsse eine strategische Allianz ohne die bürgerliche Klasse zwischen der Arbeiter:innenklasse, der feministischen und Klimabewegung geben, um den Kapitalismus zu stürzen und radikal im Sozialismus und Kommunismus zu überführen.

Björn Blach von der DKP betonte die Notwendigkeit der kommunistischen Partei nicht nur bundesweit sondern auch weltweit. Sie biete politische Kontinuität und sei eine Kampforganisation. Die Gewerkschaften seien heute kein Instrument des Klassenkampfes und die Mentalität der Arbeiter:innenklasse „die da Oben machen das für mich“ müsse durch eine Kampforganisation gebrochen werden. Er betonte ebenso den Kampf gegen Kriege.

Der Krieg in Gaza und Westjordanland, die Lage im Nahen Osten bringe die Welt an den Rand eines Dritten Weltkrieges. Russland und China seien ein wichtiger Pol in der Neuen Multipolaren Weltordnung, denn sie unterstützen die Befreiungsbewegungen im sogenannten Trikont, v.a auf dem afrikanischen Kontinent und in Lateinamerika. Sein Fazit: Der Kampf für den Frieden stehe heute im Vordergrund.

Torsten Bewernitz, Redakteur für den Express agiert an der Schnittstelle zwischen Gewerkschaftslinken und FAU. Er stellte kurz den Express, die Zeitung der Gewerkschaftslinken, vor, die in diesem Jahr ihren 60. Geburtstag feiere. Ihre Aufgabe sehe er darin, internationale Kämpfe in Deutschland publik zu machen.

Er hob den Kampf der LKW-Fahrer auf der Raststätte Gräfenhausen besonders hervor. Hier kam es zu einer trauten Einheit zwischen ver.di, der IG Metall und der FAU. Die FAU ist ein Zusammenschluss von unabhängigen, basisdemokratischen Gewerkschaften.

Torsten fand wichtig, dass eine Organisation so sein müsse, dass jede alleinerziehende Frau mit Kind, Acht-Stunden-Tag plus zwei Stunden Pendelzeit noch in der Lage sei, sich zu organisieren. Die Linke müsse sich diesen Gegebenheiten anpassen. Die Linke sei heute in einer sehr schlechten Position.

Um deren Lage zu verbessern, sehe er einen Hebel in der Stärkung der globalen feministischen Streikaktionen und die Verbindung zwischen Klima- und Klassenkämpfen.

Sein Fazit: System Change müsse radikal im Sozialismus landen.

Alex Schmidt von FFF betonte den Kampf zur Verhinderung der Klimakatastrophe. Die Bewegung von FFF sei sehr breit aufgestellt und der Klassenkampf stehe nicht im Mittelpunkt dieser Bewegung.

Tim Roth, der die „organisierte autonomie“ repräsentierte, unterstrich die Bedeutung politischer Kampagnen und Kämpfe zu den Themen Mieten, Preise und Gentrifizierung. Die Basisarbeit im Stadtteil sei hierfür zentral. Eine Organisation müsse sich zuerst in Städten oder Gebieten verankern. Die Arbeiter:innen­klasse sei auch in den Stadtteilen zu finden.

Von der Basis aus müsse sich eine Organisation verbreitern. Die OA habe sich von Nürnberg nach Stuttgart ausgedehnt und werde dort versuchen, sich im Stadtteil zu verankern. Tim Roth vertrat – im Gegensatz zur DKP – die Neue Multipolare Weltordnung sei kein Fortschritt sondern ein Kampf um die Neuaufteilung der Welt.

Sein Fazit: Der Kampf für eine freie kommunistische Ordnung müsse geführt werden.

Anschließend konnten aus dem Publikum Fragen gestellt und Statements gegeben werden. Einige Redner:innen vertraten, dass es falsch sei, wenn die Linke immer betone, sie sei so schwach. Man müsse die Kämpfe mit Inhalten füllen und sich von Schlagwörtern wie Kommunismus und Sozialismus verabschieden.

Andere hielten dagegen, dass dies eine ganz falsche Strategie sei. Die Bewegungen und Organisationen müssen einen antiimperialistischen Kampf führen und internationale antiimperialistische Kämpfe müssten vorangetrieben und unterstützt werden.

Wie jedes Jahr sind wir abends in den Stadtteilladen Schwarze Katze zum Ausklang des Tages gegangen.

Am Samstagmorgen öffnete die Messe um 10 Uhr mit Frühstück und gemütlichen Zusammensitzen, mit Bücher und Zeitschriften anschauen und kaufen oder mit Gesprächen mit anderen Organisationen und Gruppen.

Zunächst haben wir an der Veranstaltung von

Manfred Jansen teilgenommen.

Er hat sein im Eigenverlag herausgegebenes Buch vorgestellt:

„Ihr seid Träumer‘, sagte der Traum“.

Linke Literaturmesse Ihr seid Träumer sagte der Traum

Ein Lehrbuch voller tatsächlich gemachter Erfahrungen in betrieblichen und gewerkschaftlichen Kämpfen.

Warenproduzent:innen und die Umstände, unter denen sie leben und arbeiten, bleiben praktisch unsichtbar. Sie sind medial und gesellschaftlich nicht präsent. Manfred Jansen reißt mit seinem Buch diesen Schleier des Schweigens weg und macht den Blick frei auf die Lebenswirklichkeit der Menschen, die mit der Profitproduktion den Lebensnerv der kapitalistischen Gesellschaft ausmachen.

Er beschreibt über zehn Jahre hinweg den Kampf der dreihundertköpfigen Belegschaft eines Metallbetriebs aus der Region Stuttgart: Gegen Massenentlassungen, die Zerschlagung bzw. Schließung des Betriebs, gegen den Angriff auf tarifliche Rechte. Er beschreibt die Arbeiter:innenklasse als kämpfende Klasse.

Detailgenau schildert er die Entwicklung des Bewusstseins in der Belegschaft, im Betriebsrat und im Vertrauenskörper. Über die Jahre führte das zugroßer Entschlossenheit, Kampfbereitschaft und Selbstvertrauen der Belegschaft. Ihre Kampfaktionen sind das Ergebnis dieser jahrelangen systematischen Kleinarbeit und Auseinandersetzung. Auseinandersetzungen verlaufen auch nicht geradlinig, sondern schwankend, zwischen Konfrontation und (Beinahe) Kapitulation. Der Kampf war am Ende erfolgreich.

Ihr seid Träumer“, sagte liebevoll der Traum,

und beflügelte sie zu tun, was unmöglich schien.

„Ihr seid unbestechlich“, sagte das Gewissen,

versah sie mit klarem Standpunkt, klarem Ziel.

Manfred Janssen gelingt ein wichtiger Beitrag zur Beschreibung des Bewusstseinsstands der Arbeiter:­innen­klasse. Dieser Roman ist ein Lehrbuch für den betrieblichen Kampf. Jede/r, der/die in Betrieb und Gewerkschaft arbeitet, sollte es lesen. Wir können das Buch empfehlen. Es kostet 16 € und kann unter der e-mail Adresse buchmj@t-online.de bestellt werden.

Im Anschluss fand unsere Diskussionsveranstaltung im Namen von Trotz alledem! statt:

Nordkurdistan/Türkei Mai 2023 Nachlese: Vor der Wahl ist nach der Wahl- Ergebnisse und Perspektiven und der Bankrott der „Linken“

In den Ausgaben 91 und 92 von Trotz alledem! haben wir eine ausführliche Analyse über die Wahlen und das Ergebnis vorgelegt. Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Nordkurdistan/Türkei im Mai sind entgegen hochgesteckter Erwartungen der „Opposition“ wieder mit einem Sieg von Erdoğan und seiner „Allianz des Volkes“ (Cumhur İttifakı) ausgegangen.

Die Wahl war nicht eine Wahl zwischen „Demokratie gegen die Ein-Mann Diktatur“ wie viele „Linke“, auch in Deutschland behauptet haben. Das war ein Kampf zwischen zwei Fraktionen der faschistischen türkischen Bourgeoisie um die Macht. Die Unterstützung der „Linken“ für Kılıçdaroğlu gegen Erdoğan als Hoffnungsträger angeblicher Demokratisierung war eine Bankrotterklärung. Warum das so war und wie die Perspektiven aussehen, darüber haben wir berichtet und diskutiert!

Eingangs stellten wir uns vor und legten dar, dass wir eine kommunistische Organisation zum Aufbau der Kommunistischen Partei in Deutschland seien. Warum beschäftigen wir uns – als Organisation in Deutschland – mit den Wahlen in der Türkei? Zum einen, weil in unserer Organisation Migrant:innen unterschiedlichster Herkunft, auch aus der Türkei/Nordkurdistan organisiert sind. Zum anderen wurde nach dem Wahlausgang eine rassistische Kampagne in Deutschland gegen hier lebende Migrant:innen aus der Türkei geführt.

Wir fragen uns aber auch, warum der Großteil der Linken in Deutschland und in der Türkei, die HDP und die PKK und einige sozialistische Parteien zur Wahl von Kılıçdaroğlu aufgerufen haben.

Auf verschiedene Fragen bzw. Statements aus dem Publikum antwortete der Referent bzw. Diskussions­teilnehmer:innen.

Frage: Wenn die CHP gewonnen hätte, wäre der Krieg in Syrien dann nicht doch beendet worden?

Antwort: Der Krieg gegen die PKK in Nordkurdistan und in Syrien wäre von einer CHP-Regierung mehr oder weniger genauso wie unter Erdoğan und seiner Regierung weiter geführt worden. Der Rassismus und die Unterdrückung gegen die kurdische Bevölkerung wäre eventuell in einigen Bereichen etwas abgeschwächt worden, aber nicht substantiell. Der Krieg in Syrien ist nicht nur die Politik einer Regierung sondern es ist die Politik des türkischen Staates!

Beitrag: Die Ablehnung von Euch sich an diesen Wahlen zu beteiligen ist falsch. Die Hoffnung der HDP war, dass durch einen Sieg des CHP-Bündnisses die kurdische Bewegung eine Verschnaufpause erhalten würde. Die Verfolgung der HDP würde zurückgefahren und die Repression würde vermindert werden.

Antwort: Das ist eine Wunschvorstellung. Eine CHP-Regierung hätte den am chauvinistischsten auftretenden Politiker der Türkei, Herrn Ümit Özdağ, Zafer-Partei, zum Innenminister erkoren. Das wurde in einem Protokoll zwischen Kılıçdaroğlu und Özdağ vor dem 2. Wahlgang schriftlich festgehalten.

Ebenso, dass im Falle des Wahlsieges von Kılıçdaroğlu die Politik der Einsetzung staatlich bestellter Verwalter anstatt gewählter Bürgermeister, im Falle deren angeblicher Unterstützung von Terrororganisationen, weiter geführt wird. Mit dieser Begründung waren die meisten der gewählten Bürgermeister:innen nach den letzten Wahlen entmachtet und in den Knast gesteckt worden!

Frage: Wie ist das Bewusstsein der Arbeiter:innen in den Wahlen?

Antwort: In der HDP und in dem HDK (Demokratischer Kongress der Völker) fanden sowohl vor als auch nach den Wahlen teils sehr kontroverse Debatten statt. Ein kleiner Teil der kommunistischen Linken, die sich auch in dem HDK beteiligen, hat offen für Wahlboykott unter dem Motto „Keine Stimme für das System!“ geworben. Das Vorgehen der HDP, auf eine/n eigene/n Kandidat:in für die Präsidentschaftswahl zu verzichten, wurde kritisiert.

Beitrag: Die Unterstützung des CHP-Bündnisses war eine richtige Haltung. Die Linke in der Türkei erkennt die Kurden nicht an. Auch die türkischen Arbeiter:innen haben eine chauvinistische Haltung.

Es geht nicht um den Klassenkampf, der nicht geführt wird, sondern wichtig wäre bei den Wahlen gewesen, den kurdischen, nationalen Befreiungskampf für die Verwirklichung des Konzeptes von Abdullah Öcalan zu stärken.

Beitrag: Es ist erstens nicht richtig, pauschal zu sagen „Die Linke in der Türkei erkennt die Kurden nicht an“. Lange bevor die PKK überhaupt entstanden ist, hat Ibrahim Kaypakkaya, der Gründer der TKP/ML analysiert und propagiert, dass es in der Türkei nicht ein „Ostanatolien-“, bzw. „Südostanatolien-“ Problem gibt, sondern eine zentral wichtige „Kurdische nationale Frage“.

Er hat dargelegt, dass eine kurdische Nation existiert, die das Recht auf staatliche Lostrennung hat.

Zweitens ist es falsch, pauschal zu behaupten, „Die türkischen Arbeiter:innen haben eine chauvinistische Haltung“. Für die Mehrheit trifft das zu. Es gibt aber durchaus eine Minderheit, die in dieser Frage die Staatshaltung nicht mitträgt.

Drittens ist es falsch sich auf Apo berufend bei den Wahlen für Kılıçdaroğlu Werbung zu machen. Apo hat sich klar für einen „Dritten Weg“, unabhängig von dem, den die sich bekämpfenden Cliquen der Herrschenden favorisieren, ausgesprochen. Die HDP hat sich klar bei den Präsidentschaftswahlen gegen den dritten Weg entschieden. Und sich für eine der sich bekämpfenden Seiten der Herrschenden entschieden!

Frage: Wie ist die Zustimmung der Bevölkerung zum Krieg?

Antwort: Sowohl AKP-Anhänger:innen und ihr Bündnis wie auch die CHP und ihr Bündnis befürworten in ihrer großen Mehrheit den Krieg gegen das kurdische Volk, in Nordkurdistan/Türkei, in Syrien und im Irak.

Frage: Welche Kapitalfraktionen vertritt die CHP, welche die AKP?

Antwort: Die CHP steht für die angestammte, „alte“ kemalistische Kapitalfraktion Istanbul/Izmir; während die AKP, insbesondere die seit den 1980er Jahren auftretende und erstarkende, sich unter der AKP- Herrschaft vordrängelnde „neue“ Kapitalfraktion vor allem aus Mittelanatolien stammend, vertritt. Die erstere ist kulturell „laizistisch und westlich“ orientiert, die zweite kulturell „islamisch und eher gegen den Westen aufgestellt“.

Beide Fraktionen wollen, dass sich die Türkei zu einer imperialistischen Macht entwickelt. Aber die ersteren können sich eine Türkei ohne Westbindung nicht vorstellen, während die zweiten sich eine vom Westen und auch dem Osten unabhängige imperialistische Türkei zum Ziel gesetzt haben. Daran arbeiten sie. Das ist auch der Grund, warum Erdoğan von den westlichen Imperialisten als Gefahr gesehen und verteufelt wird.

Anschließend waren wir beim Vortrag von

Aert van Riel über sein Buch: „Der verschwiegene Völkermord Deutsche Kolonialverbrechen in Ostafrika“,

PapyRossa Verlag, 2023.

der verschwiegene Voelkermord

Heute ist van Riel Referent für Antirassismuspolitik beim Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Zum Inhalt heißt es auf der Buchrückseite:

Vergessen, verdrängt, verschwiegen: Wer erinnert sich im heutigen Deutschland noch an jene Verbrechen, die das Kaiserreich in der Kolonie Ostafrika beging. Im dreijährigen Maji-Maji-Krieg, ab 1905 im heutigen Tansania ausgefochten, schlug die Kolonialmacht den Widerstand nieder und löschte im Kriegsgebiet etwa ein Drittel der Bevölkerung aus. In Kämpfen getötet, von den Kolonialtruppen ermordet oder der Strategie der ‚verbrannten Erde‘ zum Opfer gefallen: Tansanische Historiker gehen von 250000 bis 300000 Toten aus.

Anders als in Deutschland finden in Tansania regelmäßig Gedenkveranstaltungen statt, die Kämpfer gelten als Helden. Die Verbrechen als Völkermord zu brandmarken, ist in Deutschland noch immer umstritten. In Tansania dagegen ist strittig, welche Forderungen an die Bundesrepublik zu richten sind. Zu den Quellen des Bandes gehören Gespräche, die Aert van Riel mit Diplomaten, Wissenschaftlern und Aktivisten führte. Um die Ursachen für den unterschiedlichen Umgang mit der Kolonialgeschichte aufzuzeigen, nimmt der Band auch neokoloniale Abhängigkeiten in den Blick.“

Trotz der immensen Flut an Informationen im Vortrag von Aert van Riel bleibt noch Zeit für Fragen. Meistens ging es um Julius Kambarage Nyerere, erster Ministerpräsident Tansanias. Er versuchte eine Art afrikanischen Sozialismus zu praktizieren, den er „Ujamaa“ nannte. Mit dieser Staatsform, die auf den Prinzipien der afrikanischen Gemeinschaft fußte, wollte er die Armut bekämpfen und Tansania unabhängig von der kapitalistischen Entwicklung des Westens machen. Die Landwirtschaft sollte Motor der wirtschaftlichen Entwicklung sein. Auch kämpfte er für die Idee eines Panafrikanischen Staates.

Julius Kambarage Nyerere wurde im Mai 1961 der erste Ministerpräsident des zunächst mit einem Autonomiestatus versehenen Landes und wurde nach Erlangung der vollständigen Unabhängigkeit 1962 zum Staatspräsidenten und Regierungschef der als Präsidialdemokratie verfassten Republik Tanganjika gewählt. Nach dem Zusammenschluss mit der damaligen Volksrepublik Sansibar und Pemba im Jahr 1964 blieb er bis zu seinem Rücktritt 1985 Präsident der nunmehr Vereinigten Republik Tansania. Heute ist die Präsidentin Samia Suluhu Hassan an der Macht.

Sie vertritt die Einheitspartei Chama Cha Mapinduzi (CCM; aus dem Swahili: „Partei der Revolution“), die 1977 auf Initiative Nyereres aus der Fusion der TANU mit der Afro-Shirazi Party (ASP) Sansibars hervorgegangen war. Tansania hat eine Einwohner:innenzahl von 61 741 120 auf einer Fläche von 945 087 Quadratkilometern. Als Amtssprache hat sich Swahili durchgesetzt.

Es kam die Frage auf, welche Herrschaftsform heute das Regierungssystem in Tansania bestimme. Der Referent erklärte, dass noch immer die Partei von Julius Nyerere, die CCM, an der Macht sei. Sie sei aber heute eine bürgerlich-kapitalistische Partei.

Weitere Fragen wurden zu der traumatischen Aufarbeitung dieses brutalen Kolonialregimes gestellt und wie es dazu kam, dass Tansania von einer deutschen Kolonie zu einer britischen Kolonie wurde.

Wir haben das Buch gleich nach der sehr eindrücklichen Veranstaltung gekauft. (Zum weiteren Inhalt siehe Kasten nächste Seite)

Die nächste Veranstaltung, die wir besuchten, war die Diskussion mit

Walter Listl: „Arme Welt gegen reiche Welt – Die neue Linie des internationalen Klassenkampfes“.

ISW Armut

Listl bezog sich hier auf den isw-Report 135 des Autors Conrad Schuhler. Kernthese ist, dass der USA-China-Konflikt der entscheidende Großkonflikt des 21. Jahrhunderts ist. Können die USA ihren relativen Abstieg aufhalten und kann sich der weltpolitische Aufstieg Chinas friedlich vollziehen?

Es geht um einen Konflikt zwischen den westlich-kapitalistischen Ländern angeführt von den USA und den Schwellen- und Entwicklungsländern, die sich zum großen Teil um China scharen.

Der Referent begann seinen Vortrag damit, dass die berühmte Feuerbachthese von Marx heute abgeändert werden müsse. Marx sagte: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern.“ Listl meinte, heute müsse es heißen: „Man muss die Welt erst analysieren“. Seine Hauptthese, der China-USA Komplex sei heute im Weltgeschehen entscheidend.

Es findet ein regelrechter Rüstungs-Tsunami statt. Im Ukraine-Krieg seien die USA die Hauptgewinner. Die NATO sei gestärkt aber die EU geschwächt. Beleg dafür seien die Deindustrialisierung der EU, die enorme Verarmung innerhalb der EU, die politisch-militärische Abhängigkeit der EU von den USA.

Das Hauptziel der USA sei, die Ukraine zum westlichen Bollwerk zu entwickeln und das ist ihr weitgehend gelungen. Dagegen hat Russland in diesem Krieg viel verloren. Die Bilanz sind Tausende Tote und Verletzte. Hass ist geschürt worden. Das Ziel der Entnazifizierung und Entmilitarisierung der Ukraine sei nicht erreicht worden.

Sein Fazit: Die vorprogrammierte nukleare Katastrophe werde sowohl von den USA, als auch von Russland in Kauf genommen und sei zynisch.

Der Vortrag war sehr kurz und knackig und so konnten Fragen und Statements folgen:

Ist die Multipolare Weltordnung eine Alternative? An dieser Frage entlang hangelten sich die meisten Redebeiträge.

Der Referent betonte, dass im August 2023 das Treffen der BRICS in Südafrika eine Gefahr für die USA darstellte. Auf dem BRICS-Gipfel in Johannesburg luden die bisherigen Mitglieder sechs neue Staaten zur Mitgliedschaft ein: die Vereinigten Arabischen Emirate, Äthiopien, Argentinien, Iran, Ägypten und Saudi-Arabien. Sie sollen zum 1. Januar 2024 Mitglied werden und künftig an den Gipfeltreffen teilnehmen.

Nach welchen Kriterien die sechs Länder ausgewählt wurden, ist ziemlich unklar. Die BRICS haben die Macht, eine Entdollarisierung zugunsten der Länder des globalen Südens herbeizuführen. Aber die Aufnahme neuer Länder in die BRICS, wie Iran oder Saudi-Arabien, bringe keinen Fortschritt für die Arbeiter:­innenklasse. Die Frage war, was verbindet die neuen BRICS-Mitglieder überhaupt. Dazu meinte der Referent, es sei vordergründig der Überdruss von der Macht und dem Anspruch der USA, die Welt zu beherrschen und der Welt ihren Stempel aufzudrücken.

Einige Diskussionsbeiträge:

Frage: Was ergibt sich daraus für die Friedensbewegung?

Antwort Referent: Es gibt zwei Punkte, mit der sich die Bewegung auseinandersetzen muss:

Die AfD vertritt heute scheinbar richtige Positionen.

Der Linke Lafontaine tritt für eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik ein. Was bedeutet das?

Beitrag: Von Multipolarer Weltordnung zu sprechen ist falsch, besser pluripolar (Chavez Venezuela).

Frage ist, welchen Klassencharakter haben die einzelnen Blöcke.

Der Begriff „Stellvertreterpolitik“ im Ukrainekrieg ist falsch, richtiger ist die Formulierung, Krieg der Nato gegen Russland. Die USA als Gewinnerin des Krieges zu sehen, ist falsch. Putin hat gesagt „die USA macht Fehler, weil sie ihre europäischen Verbündeten zermalmen“.

Beitrag DKP:Die DKP vertritt nicht die Position, Russland sei sozialistisch. Aber auch nicht imperialistisch. USA sind dagegen klar imperialistisch. Es geht um die Vollendung des antikolonialistischen Befreiungskampfes im Bündnis der Staaten des globalen Südens gemeinsam mit China gegen die westliche imperialistische Welt.

China unterstützt afrikanische Länder wie Burkina Faso oder Chile gegen die Einmischung der USA. China als imperialistisch einzuschätzen, ist Quatsch. China macht das alles unter fairen Bedingungen. China hat keine anderen Länder versklavt. Es muss eine Mehrproduktion auf der Welt geben, die ja mit Ausbeutung einhergeht, aber ohne Mehrproduktion keine Entwicklung. Plan der KP China ist der Aufbau des Sozialismus bis 2043. Sie behaupten nicht, sie sind schon ein sozialistisches Land. Die ganze Ökonomie ist verstaatlicht, es gibt kein Privateigentum und damit auch keine kapitalistischen Strukturen mehr.

Beitrag:In den Händen des Staates, heißt ja nicht gleich das ist eine gute oder gar sozialistische Eigentumsform. Es kommt darauf an, wem der Staat gehört, wessen Staat der Staat ist, welche Klasse herrscht.

Beitrag:Die Weltsituation wird bestimmt von zwei imperialistischen Polen. Der eine Pol ist China, eine sozialfaschistische und imperialistische Großmacht plus die imperialistische Großmacht Russland und ihre Verbündeten, die um die Hegemonie in der Welt kämpfen, gegen die westlichen Großmächte USA, G7 mit ihren Verbündeten. Die Friedensbewegung muss sich von beiden Polen klar trennen.

Das Argument, China habe keine Militärbasen auf der ganzen Welt verteilt und daher sei es sehr friedlich und gehöre in die Kategorie der Entwicklungsländer, ist völlig falsch.

Imperialismus heißt nicht nur Gewalt, sondern auch die Infiltration der Ökonomie in anderen Ländern mit friedlichen Mitteln ist möglich und eine wichtige Option für China. Es gibt nicht nur Kolonialismus sondern auch Neokolonialismus durch ökonomische Infiltration. Nur weil die Großkonzerne Staatseigentum in China sind, heißt das nicht, dieses ist automatisch sozialistisch. Über die „Entwicklungspolitik der KP Chinas“ hat Ding Xiaoqin (Professor an der Uni Für Finanzen und Ökonomie Shanghai) einen Vortrag auf XXIII. Rosa Luxemburg Konferenz 2018 gehalten. ii

Er skizzierte die verschiedenen Phasen der Entwicklungspolitik der chinesischen Regierung. Er sprach dabei von der Etappe ab 2006 als „Verantwortliche Großmachtpolitik!“ Das ist die niedliche Umschreibung der neokolonialistischen Politik der Großmacht China.

Beitrag: Ich war auf jeder Rosa Luxemburg-Konferenz und es gab auf keinen Fall einen solchen Beitrag über die Politik Chinas, wie hier behauptet wird.

Den Samstagabend haben wir mit unseren Genoss:­innen der IA.RKP in reger Diskussion verbracht.

Was kostet eine Frau?

Was kostet eine Frau?

Eine Kritik der Prostitution“, Herausgeber:innen „Feministisches Bündnis Heidelberg“.

Am Sonntagmorgen besuchten wir die Vorstellung dieses Buches von zwei Mitherausgeberinnen. Sie hielten zwei ausführliche und spannende Vorträge über die unterschiedlichen und vielfältigen Beiträge in diesem Sammelband.

Theoretische Analysen sind enthalten ebenso wie Zeugnisse von Aussteigerinnen „aus der Prostitutions-Hölle. Zentraler Ausgangspunkt der teils hochtheoretischen Ausführungen ist eine materialistische Analyse der Prostitution. Schon im Untertitel „Eine Kritik der Prostitution“ wird auf den zentralen Widerspruch in der Einordnung der Prostitution unter kapitalistischen Herrschaftsverhältnissen verwiesen.

In ihrem Artikel „entwickelt Hanna Vatter ‚eine marxistische Lesart der Prostitution‘ anhand der sie‚ die Frau als Ware im Neopatriarchat‘ analysiert. Ihrem Ansatz zufolge handelt es sich bei Prostitution um eine „lohnförmig organisierte Tätigkeit“, bei der die Frau „die Ware Sex [produziert], die in der aktuellen Warenzirkulation männerbündisch organisiert gehandelt wird“. iii

Innerhalb der feministischen Bewegung existieren teils auch gegensätzliche Herangehensweisen. Die Mär von der selbstbestimmten und unabhängigen Sexarbeiterin, die angeblich durch die „liberale“ Prostitutionsgesetzgebung einen Job wie jeden anderen ausführt, wird mit der brutalen Wirklichkeit von „Freiern“, männlicher Gewaltherrschaft die Frauen als Ware kaufen, ausbeuten, misshandeln und ja auch töten, konfrontiert.

Prostitution ist keine „Dienstleistung“ sondern ein extremes Gewaltverhältnis in der patriarchalen Gesellschaft. Alle Bestrebungen die Prostitution für Frauen zu „humanisieren“ sind einfach Fake. Das Abzocken der Frauen beim Sexkauf durch fiskalische Abschöpfung der sogenannten Vergnügungssteuer vom Staat in Bordellen und bei den Frauen selbst ist nur ein Beispiel.

Gesetzgebung und Praxis in Deutschland mit der Prostitution werden verglichen mit dem sogenannten Nordischen Modell, das auf einem Sexverkaufverbot beruht. Wir können leider nicht umfassend auf die zahlreichen Gesichtspunkte eingehen. Auch wenn wir das Buch noch nicht gelesen haben, scheint es uns sehr spannend zu sein, wenngleich auch manchmal sehr kompliziert verfasst.

Anzumerken ist noch, wir waren wirklich enttäuscht, dass es leider am Ende der Veranstaltung kaum den Raum für eine Diskussion gab. Das war sehr schade, da durchaus Nachfragen wie auch gegensätzliche Positionen zu diesem Thema im Publikum geäußert wurden.

Sonntagmorgen fand um 11 Uhr das Verleger:innen-Treffen statt. Dieses Mal haben 50 Verleger:innen teilgenommen. Die Diskussion drehte sich im Wesentlichen um zwei Punkte:

* Die Erklärung: Wir sind alle ANTIFAschismus. Am 11. Oktober hat die Polizei die Wohnungen von sechs jungen Menschen in Nürnberg durchsucht. Der Vorwurf: Durch das Sprühen von antifaschistischen Graffiti im Großraum Nürnberg sei die Antifa „verherrlicht“ worden. Auf Grundlage dieses Vorwurfs konstruiert die Generalstaatsanwaltschaft München eine kriminelle Vereinigung nach § 129. iv

Wir, Trotz alledem! haben die Erklärung unterschrieben.

Alleantifa.noblogs.org/

* Im zweiten Punkt ging es um eine Teilnahmen an der Linken Literaturmesse von Jörg Finkenberger mit seinem Heft und Blog „Das große Thier“.

Er veröffentlicht im ça ira-Verlag. Diesen Verlag haben wir, die Verleger:innen vor Jahren aus der Linken Literaturmesse ausgeschlossen. Er hat sich unsolidarisch gegenüber Andersdenkenden gezeigt und die Organisator:innen bei der Stadt pauschal als Antisemiten diffamiert. Wer die Polizei und die Handlanger des Staates zur Hilfe holt gegen uns Alle, hat hier einfach nichts verloren.

Wir haben es den Organisator:innen überlassen, einen Weg zu finden, dass Jörg Finkenberger im nächsten Jahr teilnehmen kann. Dazu gehört eine klare Distanzierung gegen die Diffamierung der Organisator:innen der Linken Literaturmesse als Antisemit:innen

Es war eine gute Entscheidung, die alle mittragen konnten, trotz unterschiedlichster Ausgangsposition.

Die 28. Linke Literaturmesse war insgesamt mal wieder toll. Die Herzlichkeit, das Organisationstalent, das Gemeinsame ob aller Unterschiede, Kritik und Selbstkritik – Einfach Klasse! Danke an alle Organisator:innen. Wir werden weiterhin dran teilnehmen.

Aktivist:innen und Leser:innen bei und um Trotz alledem!

„Der verschwiegene Völkermord Deutsche Kolonialverbrechen in Ostafrika“, Aert van Riel , Auszüge

„... Nduna Mkomanile wird als mutige Frau beschrieben, die half, das »Maji«, das Kiswahili-Wort für »Wasser«, unter den antikolonialen Befreiungskämpfern zu verteilen. Es handelte sich um eine Art Zauberwasser, das zwar nicht, wie es die Verteiler der Flüssigkeit versprochen hatten, dazu führte, dass sich die deutschen Gewehrkugeln in Wasser verwandelten, aber es machte den Ostafrikanern im Kampf gegen die übermächtigen Deutschen und deren Verbündeten Mut …“ (Einleitung)

… Die meisten Menschen starben nicht während der Kampfhandlungen, sondern durch eine Hungersnot und Epidemien nach dem Maji-Maji-Krieg. Verantwortlich hierfür war die deutsche Strategie der ‚verbrannten Erde’ in Ostafrika. Mit diesem Begriff wurde etwa 35 Jahre nach der gewaltsamen Niederschlagung der Erhebungen im heutigen Tansania auch das Vorgehen der Wehrmacht während ihres Rückzugs aus der Sowjetunion beschrieben, nachdem sie schwere militärische Niederlagen gegen die Rote Armee hatte hinnehmen müssen.

Die »verbrannten Erde« symbolisiert die totale Zerstörung, um den Gegner zu schwächen. Das ist allerdings nicht der einzige Grund. Hinzu kamen der rassistische Wahn und der Hass auf die Zivilbevölkerung, die sich gegen die Eindringlinge gewandt hatte. Auch hier gibt es Parallelen zwischen dem deutschen Vorgehen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Afrika und nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Jahr 1941. Im Zweiten Weltkrieg verloren etwa 27 Millionen Sowjetbürger wegen des deutschen Vernichtungskrieges ihr Leben. Sie wurden ausgehungert, starben auf den Schlachtfeldern, in den Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nazis oder bei Massakern. 1939 lebten insgesamt etwa 190 Millionen Menschen in der Sowjetunion…“ (Ebenda, S. 7)

Der nach diesem Zauberwasser benannte Maji-Maji-Krieg von 1905 bis 1908 gilt als einer der größten Kriege, die in Afrika während der Zeit des Kolonialismus ausgefochten wurden.

„… Allein die hohen Opferzahlen geben einen Hinweis darauf, wie groß die Verbrechen waren, die im Namen des Deutschen Reiches im heutigen Tansania begangen wurden. Sie waren höher als in Südwestafrika, wo die Deutschen auf dem Gebiet des heutigen Staates Namibia einen Völkermord (Anm von TA: an den Herero und Nama) verübten. Dies geschah in den Jahren 1904 bis 1908, also etwa zur gleichen Zeit, in der in Ostafrika der Maji-Maji-Kriegtobte.“ (Ebenda, S. 8 ff)

… Der Historiker Bertram Mapunda, damals Direktor des Fachbereichs für Geschichte an der Universität Dar es Salaam, erklärte im Jahr 2004: »Die Deutschen würden uns gerne glauben machen, dass es eine Horde Wilder gab, die barbarische Handlungen gegen sanftmütige weiße Menschen begangen haben. Wir müssen aber die grausamen und barbarischen Handlungen untersuchen, welche die Deutschen gegenüber den Afrikanern verübten. Wir konzentrieren uns auf die afrikanische Perspektive. Ich sehe diesen Trend als eine Rückgewinnung unserer Geschichte und unseres Erbes.«

Damit brachte er den tansanischen Ansatz bei der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte auf den Punkt…“ (Ebenda, S. 40)

… Untersuchungen des tansanischen Historikers Gwassa aus den 1960er und 1970er Jahren zeigen, dass einige ethnische Gruppen besonders stark unter der Vernichtungsstrategie des Kaiserreichs litten. Die Matumbi, die sich als erste gegen die Kolonialmacht erhoben hatten, haben im Maji-Maji-Krieg und in der Nachkriegszeit etwa die Häfte ihrer Bevölkerung verloren. Die Deutschen gingen nach dem Krieg von 18000 bis 20000 Opfern aus.

Gouverneur Gustav Adolf von Götzen, schrieb dazu lapidar in seinen Erinnerungen: »Dass Matumbi in den Monaten, die dem Aufstand folgten, von einer schweren Hungersnot heimgesucht wurde, war nur allzu begreiflich, wenn man bedenkt, dass der Aufstand alle Kulturen vernichtet hatte. Auch von der Bevölkerung war wohl die Hälfte dem Aufstand zum Opfer gefallen.« Auffällig an der Geschichtsschreibung der Kolonisatoren ist, dass sie die Verantwortung für Tod und Zerstörung allein bei den Maji-Maji-Kriegern sahen. Nach Angaben von Gwassa fielen zudem Zehntausende Angehörige der Ngoni während des Krieges und in der Folgezeit den Grausamkeiten zum Opfer…

… Der Hungertod war Teil des Plans der deutschen Kolonialverwaltung. Diese legte fest, dass nur arbeitsfähige Einheimische Nahrungsmittelhilfe erhalten sollten. Wer zu schwach war, um die schwere körperliche Arbeit auf den Plantagen oder den Straßenbaustellen zu leisten, den überließen sie einem grausamen Schicksal….“ (Ebenda, S. 43 ff) (Hervorh. TA)

Auszug Artikel TA 78, Mai 2018, S. 31 – „XX.III Internationale RL-Konferenz Afrika: Amandla! Awethu!

Eindrücke – Ausblicke…

Chinas Afrikapolitik: Geschwister-Hilfe oder
„verantwortungsvolle Großmachtpolitik und neokoloniale Unterdrückung?

Sebastian Carlens, Redakteur der jungen Welt, stellt auf dem Podium den nächsten Referenten zum Thema Afrika vor: Ding Xiaoqin, Professor an der Shanghai University of Finance and Economics sowie Generalsekretär der World Association for Political Economy. Carlens hebt hervor, westliche bürgerliche Politiker unterstellen, China betreibe eine gezielt geplante, neokoloniale Politik in Afrika. Die junge Welt und ihre Journalisten vertreten dagegen die grundfalsche Einschätzung, China sei ein sozialistischer Staat und daher sei seine Politik in Afrika sozialistische Bruderhilfe: „wie die Zusammenarbeit mit Kuba und China zeigt, Beispiele für internationale Beziehungen, die auf Kooperation und gegenseitiger Achtung basieren.v

Ding Xiaoqin teilt unter dem Motto „Entwicklung ohne Einmischung“ die Kooperation zwischen China und Afrika in drei Phasen ein.

Phase 1: 1949 – 1979 Mao Zedong-Ära: Ziel: Unterstützung der nationalen Befreiungsbewegungen

Der Referent führt aus: Dieerste Phase wurde 1956 von Mao Zedong nach der Bandung Konferenz initiiert. Ziel war, die nationalen Befreiungsbewegungen in Afrika zu unterstützen und die Kräfte des westlichen Kolonialismus und Imperialismus zu bekämpfen. Bis 1974 war diese Unterstützung „kostenlos“, d.h. es wurde keine Gegenleistung dafür eingefordert. Ab dem Folgejahr hat China den afrikanischen Ländern Teile seiner Unterstützung in Rechnung gestellt. Dafür haben die afrikanischen Länder China politisch unterstützt, um einen Sitz bei der UN zu erlangen.

Bereits hier zeigt sich, dass Ding Xiaoqin entweder mangelndes Geschichtsverständnis oder -wissen hat oder bewusst einige Stellen im historischen Kontext verdreht.

Phase 2: 1980 – 1999 Deng-Xiaoping-Ära: Wandel der politischen Hilfe in wirtschaftliche Zusammenarbeit

In dieser Zeit war, laut Ding Xiaoqin, Ziel der chinesisch-afrikanischen Kooperation „Gleichheit und gegenseitiger Nutzen“. Dabei ermutigte China seine wirtschaftlichen Unternehmen aktiv an der Wirtschaftskooperation mit Afrika teilzunehmen, auch eine schicke Umschreibung für Sozialimperialismus.

Phase 3: Seit 2006 Konzept der „verantwortungsvollen Großmacht

In dieser Phase legt China ein besonderes Augenmerk auf Investitionen in öffentliche Infrastrukturprojekte, die Entwicklung landwirtschaftlicher Technik sowie den Erfahrungsaustausch und die Ausbildung von lokalen Fachkräften.

Seitdem das chinesisch-afrikanische Kooperationsforum (Focac, Forum on China-Africa Cooperation) im Jahr 2000 gegründet wurde, nimmt das Handelsvolumen zwischen China und Afrika stetig zu. Von Januar bis Oktober 2017 betrug das gesamte Handelsaufkommen 139,6 Milliarden US-Dollar. Seit 2000 ist der Anteil des Handels mit Afrika am gesamten Außenhandel Chinas von 2,1 Prozent auf 4,3 Prozent angestiegen, mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 31,5 Prozent. Die Summe der chinesischen Investitionen stieg von einer Milliarde US-Dollar im Jahr 2004 auf 35 Milliarden US-Dollar im Jahr 2015 mit einer jährlichen Wachstumsrate von 40 Prozent. Gleichzeitig hat China in Afrika mehr als 20 Handels- und Wirtschaftssonderzonen eingerichtet. Internationale Kritik dahingend, China betreibe in Afrika Neokolonialismus, Ressourcenausbeutung und Expansionismus, wiegelt Ding Xiaoqin unter der Überschrift „Probleme und Fehler“ ab.

Er gesteht „selbstkritisch“ ein, ein Grund für die rasche Entwicklung der Handelskooperation zwischen China und Afrika liegt darin, dass „Chinas starkes Wirtschaftswachstum nach Energie und Ressourcen verlangt“, dass „Afrika sich an reichen Ressourcenvorkommen und einer vorteilhaften demographischen Struktur“ erfreue und der afrikanische Konsummarkt „billige chinesische Produkte benötigt“.vi

Eines der Probleme sieht Ding Xiaoqin im unausgeglichenen Handel zwischen China und Afrika. Afrikas Hauptexportartikel nach China sind Ressourcen, wohingegen Chinas Hauptexportprodukte nach Afrika verarbeitete Produkte sind.

Kein Wort davon, dass zum Beispiel die Textilindustrie von Sambia aufgrund der billigeren chinesischen Importe zusammenbrach.

Weitere Probleme schiebt Ding Xiaoqin auf private Unternehmen. Heute investieren ungefähr 10 000 chinesische Unternehmen in Afrika, 90 Prozent davon befinden sich in privater Hand, auch wenn vom Ausmaß der Investitionen her die staatseigenen Konzerne nach wie vor führend sind. Sein Argument: „Aus politischen, sicherheitstechnischen und anderen Gründen ist das Risiko, in Afrika zu investieren, größer. Dadurch verfolgen diese kleineren Unternehmen eher kurzfristige Interessen und werden ihrer gesellschaftlichen und sozialen Verantwortung teilweise nicht gerecht. Manche privaten Geschäftsleute sind zudem weniger qualifiziert“. vii Klar, kein Wort über das hässliche Gesicht der neokolonialen Ausbeutung afrikanischer Werktätigen und Naturzerstörung durch die chinesische Großmacht.

i linke-literaturmesse.org/

ii XXIII. Internationale Rosa Luxemburg Konferenz, 13.1.2018, Die Broschüre, verlag 8. Mai, S. 37 ff

iii lRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel Besprochene Bücher / Literaturhinweise

iv Alleantifa.noblogs.org/

v jW, Spezial, S. 1

vi jW, Spezial, S. 7

vii ebenda