110 Jahre Leugnung des Völkermordes an den Armenier:innen

In Istanbul wurden vor 110 Jahren, in der Nacht des 24. April 1915, Hunderte armenische Intellektuelle, die kulturelle Elite der armenischen Nation festgenommen. Sie wurden vom osmanischen Staat verschleppt und fast alle ermordet. Die türkisch-osmanische Presse bejubelte die Verhaftungswelle als Aktion zur „Zermalmung des Kopfs der Schlange”. Im Spät-Osmanischen Reich wurden immer wieder Pogrome gegen die nicht islamischen Völker verübt.

Am 24.April 1915 nahm die Verfolgung eine unvorstellbar grausame neue Dimension an. Das war der blutige Auftakt zum Völkermord an eineinhalb Millionen Armenier:innen.

Die islamisch, türkisch-nationalistische „İttihat ve Terakki“-Regierung („Komitee für Einheit und Fortschritt”) setzte die staatlich geplante, systematisch von staatlichen Stellen, Heer und regionalen Banden durchgeführte, ethnische „Säuberung“ in Gang. Auf die Festnahme der armenischen Intellektuellen in Istanbul (Konstantinopel) folgte in Anatolien, vor allem Westarmenien eine blutrünstige Hetzjagd auf das armenische Volk.

Unter der islamischen, türkischen und kurdischen Bevölkerung wurde chauvinistischer, religiöser Hass gegen Armenier:innen und alle nicht muslimischen Völker geschürt. Die staatlichen Instanzen stachelten sie zum Mord an ihren armenischen Nachbarn, zum Raub von deren Hab und Gut an.

Die in der osmanischen Armee dienenden armenischen Männer wurden entwaffnet und wie alle anderen armenischen Männer zur Sklavenarbeit gezwungen. Sie wurden unter menschenunwürdigen Bedingungen zu Tode geschunden. Die Überlebenden dieser Torturen wurden entweder direkt von den Soldaten der osmanischen Armee bestialisch massakriert; oder zur Ermordung örtlichen, bewaffneten türkisch und kurdischen Banden überlassen. Armenische Frauen, Kinder und Greis:innen wurden aus ihren Häusern gezerrt, in langen Kolonnen auf eine „Reise in das Nichts”getrieben, wie es der damalige Innenminister Talat Pascha in einem Telegramm ausdrückte. Armenische Frauen wurden auf diesen Todesmärschen von Soldaten und marodieren­den Banden vergewaltigt, gefoltert und ermordet. Zahllose Armenier:innen verhungerten und verdursteten in der syrischen Wüste Deir az-Zor, „dem Nichts”.

Heldenhafter Widerstand armenischer Gemeinschaften und Widerstandskämpfer:innen, wie auf dem Musa Dagh, konnten die Mordmaschinerie nicht aufhalten. Nur sehr wenige, mutige türkische, kurdische Werktätigen sind dem armenischen Volk beigestanden. Die überwiegende Mehrheit der türkischen und kurdischen Werktätigen hat bei diesem Völkermord mitgemacht. Sie tragen eine historische Mitschuld an diesem Genozid und müssen sich dieser auch endlich stellen. Eines der autochthonen Völker Anatoliens wurde aus Anatolien vertrieben und in der syrischen Wüste vernichtet. Seine Kulturzeugnisse, Architektur, Hand- und Kunstwerke, Literatur, Musik wurden zerstört und versucht aus der Geschichte auszulöschen. Diesen Völkermord haben im Osmanischen Reich nur einige, wenige zehntausende Armenier:innen überlebt. Elternlose armenische Kinder wurden von türkischen und kurdischen Familien aufge­nommen und zwangsassimiliert.

In der offiziellen, osmanischen und später der türkischen Sprachregelung wurde der Genozid an den Armenier:innen als „Umsiedlung“ verbrämt und als „kriegsbedingte Maßnahme“ gerechtfertigt. 1914 war das Osmanische Reich an der Seite Deutschlands und Österreich-Ungarns in den ersten imperialistischen Weltkrieg gezogen. An dem vom türkisch-osmanischen Staat verübten Völkermord an den Armenier:innen, tragen alle imperialistischen Großmächte Frankreich, England, Italien, Russland eine Verantwortung, vor allem aber die deutsche Großmacht. Hohe Generäle der deutschen imperialistischen kaiserlichen Armee nahmen im Generalstab der osmanischen Armee Führungspositionen ein. Sie waren über jeden Schritt in diesem Völkermord informiert, involviert und haben ihn aktiv unterstützt.

Da alle imperialistischen Mächte für diesen Völkermord Verantwortung tragen, wurde er lange Zeit einfach dem „Vergessen” und Verdrängen übergeben. Auf Druck der Siegermächte England und Frankreich musste das Osmanische Reich im besetzten Istanbul Sondertribunale (1919-1920) errichten. Darin wurden nur einige osmanische Militärs und Verwalter wegen „Kriegsvergehen“ schuldig gesprochen. Von Völkermord war keine Rede, die politisch-militärisch Verantwortlichen und Befehlshaber wurden nicht zur Rechenschaft gezogen.

Es war Hitler, der sich 1939 auf den „vergessenen” Völkermord berief, als das Nazi-Reich den Völkermord an den europäischen Jüd:innen und den Vernichtungsfeldzug gegen die osteuropäischen Völker plante und umsetzte: „Nur so gewinnen wir den Lebensraum, den wir brauchen. Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?“

Für die auf den Trümmern des Osmanischen Reiches, 1923 gegründete, kemalistische Republik Türkei existierte keine „Armenierfrage”. Die Politik der türkischen herrschenden Klassen beruhte und beruht noch immer auf der Leugnung des Völkermordes an den Armenierinnen, der Vertreibung der Pontus-Griechen, sowie auf der nationalen Unterdrückung der kurdischen Nation, nationaler, religiöser Minderheiten wie der wenigen überlebenden Armenier:innen, Assyrer:innen, Araber:innen, Roma/Sinti etc.

In den 1970er und 1980er Jahren brachen bewaffnete armenische Diaspora-Organisationen wie ASALA (Armeni­sche Geheime Armee für die Befreiung Armeniens), durch Attentate auf türkische Diplomaten im Ausland, das anhaltende Schweigen über diesen Völkermord und zwangen die türkischen Regierungen sich zu erklären. Die türkische Geschichtsschreibung lautete bis dahin: „Aufgrund der Wirren des ersten Weltkrieges brachen armenische Aufstände in Ostanatolien aus; armenische Banden überfielen türkische Dörfer, und mordeten türkische Bauern; armenische Banden haben in Zusammenarbeit mit Russland, die osmanische Armee an der Ostfront bedroht: Bei diesen Kriegsereignissen wurde auch die armenische Zivilbevölkerung betroffen. Um die Lage an der Ostfront zu bereinigen, und die Zivilbevölkerung zu schützen wurde die Umsiedlung der armenischen Bevölkerung beschlossen. Dabei kam es aufgrund der schweren Kriegsumstände zu einigen, nicht wünschenswerten Ereignissen. Aber der von einigen Türkeifeinden erfundene Völkermord ist nichts als eine Lüge.“

Als dies nicht mehr ausreichte, hat die türkische Bourgeoisie durch ihre AKP-Regierung, Anfang der 2000er Jahre ihre Position umformuliert. Seitdem lautet die offizielle Verteidigungslinie: „In der Geschichte beider Völker seien unerwünschte Ereignisse geschehen. Die Bewertung der historischen Fakten solle aber den Historikern überlassen werden.“

2013 hat der damalige Ministerpräsident, heutige Präsident, Erdoğan zum ersten Mal sein „Beileid auch den in den unerwünschten Ereignissen gestorbenen armenischen Brüdern” ausgesprochen. Aber auch in den Schulbüchern werden weiter alle bisherigen Verleumdungen, Lügen und Geschichtsfälschungen über den Völkermord auf. Bis auf den heutigen Tag ist die armenische Gemeinschaft/Nationalität in Nordkurdistan/Türkei Rassismus, türkischem Chauvinismus, Verfolgung und Diskriminierung ausgesetzt. Hrant Dink, Streiter für die Völkerversöhnung und für die armenische Identität, wurde 2007 eines seiner Opfer. Auch im 21. Jahrtausend ist das Bekenntnis zum armenischen Volk tödlich. Und der Völkermord geht weiter. Der faschistische, türkische Staat forciert mit seinem aserbaidschanischen „Bruderstaat“ die Vertreibung der Armenier:innen aus ihrer Heimat. 2023 musste die gesamte armenische Bevölkerung aus Berg-Karabach (Arzach) ihr Land, Hab und Gut verlassen und in die Republik Armenien fliehen.

Türkische und kurdische Arbeiter:innen,
Werktätige und Revolutionär:innen…

Erkennt die Mitverantwortung an dem Völkermord an den Armenier:innen! Kämpft gegen den türkischen Staat für die Erreichung der Forderungen:

Völkermord anerkennen! Sofort – ohne Bedingung – mit allen Konsequenzen:

• Vollständige Gleichberechtigung, Anerkennung und Unterstützung der armenischen Community in Nordkurdistan/Türkei!

• Verbot jeglicher Form des anti-armenischen Rassismus und Chauvinismus!

• Rückkehrrecht für alle Nachkommen der vertriebenen Armenier:innen aus der Diaspora oder aus Armenien!

• Recht auf Selbstbestimmung und auf Lostrennung für Westarmenien!

• Aufklärung in Bildung und Erziehung über die Völkermordpolitik des türkischen Staates!

• Rückgabe geraubter Häuser, Grund und Boden und anderes Eigentum!

• Reparationszahlungen für alle beschlagnahmten Vermögenswerte!

• Entschädigungen an die Republik Armenien und eine gleichberechtigte, demokratische nachbarschaftliche Zusammenarbeit!

Nur über diesen Weg wird eine wirkliche Geschwisterlichkeit mit dem armenischen Volk in Nordkurdistan/Türkei; mit Armenien, und den Armenier:innen in der Diaspora entstehen können!

Deutschlands Verantwortung: In der Resolution des Deutschen Bundestages zum 90. Jahrestag des Völkermordes an den Armeniern im Jahr 2005 wird bewusst nicht von Völkermord gesprochen. Damit übernimmt der deutsche Staat keine Verantwortung für die Mittäterschaft des Deutschen Reiches. Er umgeht die Anerkennung von Entschädigungsforderungen und alle daraus resultierenden Konsequenzen.

Wir Kommunist:innen in Deutschland fordern von dem BRD-Staat:

Sofortige und bedingungslose Anerkennung des Völkermordes mit allen Konsequenzen.

April 2025

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