Hanau – Faschistischer Anschlag und Heuchelei der Herrschenden

Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie wurde auf einen Schlag in Politik und in den Medien, wie vieles andere auch, die faschistische Bluttat in Hanau in den Hintergrund gerückt. Die gleich nach dem Anschlag aufflammende gesellschaftliche Aufmerksamkeit – weggebrochen.

Newroz Duman von der Initiative „19. Februar Hanau“ in einem Interview auf die Frage, wie sich die Corona-Krise auf die Angehörigen und Opfer auswirkt: „Unterstützende Angebote brechen zusammen, ohne dass es einen Notfallplan gibt. Dabei ist eine intensive Unterstützung in den ersten Monaten nach so einem Einschnitt besonders wichtig. Die Zahl der Traumatisierten dürfte insgesamt im dreistelligen Bereich liegen. Es gibt eine ganze Reihe von Hanauern, die knapp überlebt haben. Viele andere haben Verwandte und enge Freunde verloren. Das Virus muss selbstverständlich ernst genommen werden, aber derzeit verdrängt es alles andere – auch die derzeitige Gewalt gegen Flüchtlinge an den europäischen Außengrenzen.“i

Opfer und Angehörige im Zentrum des Geschehens nach dem Anschlag?

Nach dem Massaker Mittwochnacht in Hanau reagierten viele der Zivilgesellschaft und vor allem die direkt Betroffenen mit spontanen Aktionen. Sie verdammen den Anschlag als das was es ist: Ein menschenfeindlicher, rassistischer, faschistischer Anschlag. Aber auch die Stadt- und Landespolitik und der Bundespräsident reagieren – diesmal sehr schnell – mit einer Kundgebung am Donnerstag. Angehörige und überlebende Opfer des Anschlages werden weder auf die Bühne gebeten noch war es ihnen erlaubt, zu sprechen. In Absprache von Stadt und Bundespräsidialamt wurde so gegen die Betroffenen entschieden.

Am Freitag und Samstag organisieren viele antirassistische, antifaschistische, migrantische und linke Vereine, Organisationen sowie Initiativen Demonstrationen und Aktionen. Hier war Raum für das Gedenken an die ermordeten Opfer und für ihre Familien und FreundInnen, für die direkt Betroffenen. Sie standen im Mittelpunkt. Hier solidarisieren sich auch andere Betroffene rassistischer Gewalt. Wie z.B. Candan Özer-Yilmaz, Ehefrau von Atilla Özer, der den Bombenanschlag des NSU in der Keupstraße schwer verletzt überlebt hatte, aber das Trauma nicht überwinden konnte und mittlerweile verstorben ist. Sie fordert, dass „die Deutschen ihre eigene mörderische, rassistische Geschichte kennen, die Namen der Ermordeten wissen und Respekt lernen sollen, bevor sie sich selbst in Trauerbekundungen und Aufrufen gegen Rechts gefallen.“ Grußbotschaften von Überlebenden rassistischer Anschläge, die Mitgefühl, Trost und Unterstützung vermittelten, wurden verlesen.

Am 4. März findet die staatliche „Trauerfeier“ mit Angehörigen und überlebenden Opfern in Hanau statt, die auf öffentliche Plätze übertragen wird. Auf dem Banner der Trauerfeier „Wir trauern um die Opfer des rassistischen Anschlages. … Wir werden sie nicht vergessen“. DieNamen der Ermordeten werden aufgeführt und es folgt der Zusatz: „sowie die Mutter des Attentäters, die ebenso zu den Opfern zählt.ii

In der Veranstaltung versuchen Staatsvertreter, Kaminsky, Oberbürgermeister von Hanau, Bouffier, Ministerpräsident von Hessen, Merkel, Bundeskanzlerin und Steinmeier, Bundespräsident, die Angehörigen und Opfer mit einzubeziehen. Offenbar aufgrund der heftigen Kritik von Angehörigen der vom NSU-Netzwerk ermordeten Opfer am Umgang der Politik mit ihnen, der Erinnerungsarbeit vieler antirassistischer Initiativen wird versucht, diesmal „angemessener“ zu reagieren. So werden die Namen der Opfer des Anschlages immer wieder genannt. Aber auch wenn die „hochrangigen PolitikerInnen“ als „Paten für die betroffenen Familien“ agieren, neben ihnen platziert werden und mit ihnen gemeinsam auf das Podium gehen, um Rosen niederzulegen – eine steife, distanzierte Atmosphäre ist förmlich spürbar. Die neben Steinmeier sitzende Mutter eines Opfers weint und er streift ihr hilflos unempathisch den Arm. Dominiert wird die Veranstaltung von der Selbstdarstellung der Politik. Schon in den „Begrüßungsworten“ ihrer Reden benannten alle drei Politiker, auch namentlich, anwesende „Würdenträger, Staatsrepräsentanten“ und so weiter. Für wen war wichtig, dass Bundespräsident a.D. Christian Wulff oder Fußballer Rudi Völler vor Ort war? Warum wurden nicht die Namen der Angehörigen, der Familien und FreundInnen genannt?

Immerhin wird Angehörigen die Möglichkeit gegeben, zu sprechen über Verlust, Trauer und Solidarität, aber auch über ihre Erwartungen an die Regierung und politisch Verantwortlichen.

Saida Hashemi, Schwester von Said Nesar, „Diese Tat ändert nichts daran, wer wir sind und woran wir glauben. Das ist nicht der erste Anschlag hier in Deutschland, aber wir hoffen und beten dafür, dass das der letzte war. An dieser Stelle geht mein Mitgefühl an alle Opferfamilien dieser schrecklichen Tat und auch an alle Opferfamilien vergangener Anschläge. Wir sind nicht alleine, wir sind stark und halten zusammen!“ Ajla Kurtović, Schwester von Hamza fordert: „Sorgen Sie, … dafür, dass, die Umstände dieses schrecklichen Verbrechens [müssen] restlos aufgeklärt und die entsprechenden Lehren daraus gezogen werden.“iii

Und Kemal Koçak, der die Opfer kannte und an sie persönlich erinnert, klagt ein: „Besonders die Worte, die ich jetzt sage, ist für die Oben, die am großen Hebel stehen. Ich möchte von meiner Seite aus nicht mehr viele, genauso die Angehörigen, nicht mehr viele Wörter hören, sondern wir wollen Taten sehen, dass was passiert, dass so was nicht wieder zustande kommt.“

Deutsche Realität in Hanau?

Die Opfer waren keine Fremden“ – „#hanaustehtzusammen“ – „Wir sind alle gleich“ – „Ein Angriff auf uns alle.“

Leitmotiv der Veranstaltung war „Die Opfer waren keine Fremden.“ In den Reden von Bouffier, Kaminsky und Steinmeier wurde immer wieder beschworen, die Opfer waren HanauerInnen, sie waren „keine Fremden“ und „wir sind alle gleich“. Wohlwissend, dass das eine große Lüge ist!

In diesem Land sind nicht alle Menschen gleich, sondern sie sind unterschiedlich vor allem in ihrer Klassenzugehörigkeit, aber auch in ihrer Kultur, in ihrer Religion, in ihrer politischen Überzeugung, in ihrer Lebensart.

Sie werden von den Herrschenden „im Wertesystem“ der „deutschen Leitkultur“, des Nationalismus und der völkischen „Rasse-Kategorie“ eingeteilt in gute Deutsche und nicht integrierte AusländerInnen, ja in Fremde. Sie sind das Feindbild, das immer und immer wieder herauf beschworen wurde und wird. Von „gut“ bürgerlichen PolitikerInnen wie von Nazi-(Untergrund)Organisationen.

Alle Opfer des faschistischen Anschlags kommen aus Familien mit Migrationsgeschichte: Drei von ihnen, Mercedes Kierpacz, Vili Viorel Pãun, Kalojan Velkov sind Roma, polnisch-deutscher, rumänischer und bulgarischer Herkunft, Ferhat Unvar und Gökhan Gültekin kurdischer, Sedat Gürbüz türkischer, Hamza Kurtović bosnisch-herzegowinischer und Said Nesar Hashemi afghanischer Herkunft.

Einige sind in Deutschland geboren und deutsche StaatsbürgerInnen. Aber egal ob sie rechtlich deutsche StaatsbürgerInnen waren, waren sie für die Herrschenden und die Mehrheitsgesellschaft „Nicht Deutsche“, die Anderen!

Genau das wird von diesen deutschen Staatsrepräsentanten nicht konkret benannt. Auch in Hanau sind massiv deutscher Nationalismus und Chauvinismus, Angriffe und Beleidigungen, Diskriminierung und Alltagsrassismus Realität für Menschen, die als „nichtdeutsch“ ausgemacht werden.

Wenn sich jetzt deutsche PolitikerInnen auf der Trauerfeier anlässlich eines rassistischen Massenmords hinstellen und verkünden, das ist „ein Angriff auf uns alle“, ist das pure Heuchelei und blanker Zynismus.

Die faschistischen Mordanschläge der letzten Jahrzehnte und jetzt in Hanau sind immer und immer wieder Angriffe auf, die „Anderen“, die in diesem Zusammenhang außerhalb des „Wir“ als „deutschem Volkskörper“ stehen, auf Menschen, die nicht ins deutsch-völkische Weltbild passen. Sie senden die gezielte Botschaft aus: Ihr gehört nicht zu „Uns“, seid hier niemals sicher.

In seiner Rede betont OB Kaminsky darüber hinaus: „Unsere Stadt hat seit Jahrhunderten eine große, gute Tradition im Zusammenleben der unterschiedlichsten Menschen.“ Das ist Geschichtsklitterung. Seit Jahrhunderten sind Antiziganismus, Antisemitismus und Rassismus in der deutschen Geschichte, Kultur und Politik fest verankerte Größen auch in Hanau. Die jeweils herrschenden Klassen haben immer wieder diese Instrumente eingesetzt, um ihre Macht zu festigen und die Unterdrückten gegeneinander aufzuhetzen.

Auf der selben Ebene der Verharmlosung durch PolitikerInnen und Medien liegt die Verortung der faschistischen Mordtaten im angeblichen „Wahn und Irrsinn“ der jeweiligen Täter. Bouffier spricht in seiner Rede in Hanau von „rassistischen rechtsextremistischen Wahnvorstellungen“. Und Kaminsky: „Es ist für mich im übrigen unerheblich, ob der Täter ein einzelner irrer Rassist oder ein rassistischer irrer Einzelner war, entscheidend ist für mich, dass der geistige Nährboden des Hasses auf jeden Fall viele, viel zu viele Gewalttaten in unserem Land hervorbringt.“

Diese „Pathologisierung“, also faschistisches Gedankengut und Verschwörungstheorie zur Krankheit abzustempeln, ist nichts anderes, als die Ursachen von Faschismus zu verleugnen und kleinzureden. Gleichzeitig werden die Nazi-Mörder von der Verantwortung für ihre Taten entlastet. Und natürlich wird auch der gesunde, weise Staat, der die irren Mörder verfolgt, reingewaschen.

Der strukturelle Rassismus in den staatlichen Institutionen folgt immer dem gleichen Muster. Auch im Hanauer Mordfall. Bei der Vorgehensweise der Bearbeitung durch die Behörden, Polizei und BKA sind so viele Parallelen zum Umgang mit den Verbrechen des NSU-Netzwerks.

Auch hier spekulieren Ermittlungsbehörden und BKA von Anfang an, dass der Täter T. Rathjen „nur“ verwirrter Einzelgänger sei. Zunächst lehnten sie „rechtsterroristische“ Motive ab. Nach einem Sturm der Entrüstung, infolge der Veröffentlichung des „Manifests“ von Rathjen müssen sie zurückrudern. Aber selbst wenn BKA-Chef Münch jetzt „klargestellt“ hat, es handle sich um rechtsradikale und rassistische Taten, halten nach wie vor manche „Kreise“ des BKA ihre Theorie vom verwirrten Einzelgänger aufrecht.

Mit welcher Ignoranz und Kaltschnäuzigkeit die Polizei gegenüber den Angehörigen und überlebenden Opfern vorgeht, belegt der Journalist Haschnik im Interview mit Neworz: „Nach unseren Informationen sind vor kurzem plötzlich Polizisten bei Angehörigen aufgetaucht und haben diese ermahnt, Abstand vom Vater des Attentäters zu halten, wenn er wieder nach Hause kommt.“

Faschismus wird als Rechtsruck bagatellisiert!

Wenn wieder eine rassistische Mordtat Leid bei den Opfern schafft, erleben wir nun öfters, dass auch bürgerliche Politiker­Innen sich distanzieren und die Taten verurteilen.

Aber wir kennen auch die Hetzreden bürgerlicher Politiker­Innen: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“, „Migration ist die Mutter aller Probleme“, „Das Boot ist voll“, „Kinder statt Inder“ und „Deutsche Leitkultur“. Das Verharmlosen der Faschisierung von Gesellschaft und Staat wird auf allen Ebenen weiter betrieben.

Nicht erst seit gestern, nicht erst seit der „Heim ins Reich“-Führung der DDR durch die Herrschenden der BRD.

Nein, seit Gründung der BRD wüteten auch legal unzählige Parteien mit faschistoiden Programmen und Nazi-Netzwerke hierzulande mit rassistischen, antisemitischen und faschistischen Angriffen und Morden. Bei jedem Mordanschlag, bei jedem Gewaltangriff auf Minderheiten, Menschen, die aufgrund ihres Aussehens, ihrer Religion, ihrer Herkunft nicht ins deutsche Blut-und Boden-Schema passen, verfällt die bürgerliche Politik reflexhaft in die große Heuchelei.

Aber die Wurzeln und Ursachen des Vormarsches des Faschismus werden nicht angetastet. Wie auch? Deutschland, das sich als Großmeister der „Vergangenheitsbewältigung“ beispielsweise des Genozids an den europäischen Juden gefällt, füttert immer wieder selbst mit seiner Politik den Nährboden für faschistische Politik und Gewalt.

Warum wird eine AfD, die eine faschistische Partei ist, nicht verboten? Denn nicht „nur“ der Höcke-Flügel ist faschistisch. Die deutsch-völkisch, rassistische Ideologie durchzieht die ganze AfD.

Natürlich bieten ihre PolitikerInnen ein „breites“ Spektrum an, wie sie sich an ihr Wählervolk wenden und versuchen, neue Wählerschichten zu erschließen. Aber der Grundkonsens ist der faschistische Kern ihrer Politik.

Als „rechtsextremes Problem“ der AfD kommentiert ein TV-Beitrag von „Report München“ folgende Fakten: Der Hanauer AfD-Kandidat für Kommunalwahlen in Hanau, Bahr, hat faktisch die Morde am 19. Februar „gutgeheißen“ und der AfD-Kandidat Nossol in Straubing „promotet die faschistische Gefangenenhilfe“, die das NSU-Mitglied Ralf Wohlleben, unterstützte. Als „Entgleisung“ wird der Antisemitismus des Würzburger AfD-Kreisvorsitzenden Hartmann gewertet.

Er beschwört im Interview: „Wir haben hier in Deutschland ein ganz großes Problem. Wir haben hier die Blöcke, einmal wir die Christen, dann haben wir noch den Block, der sehr viel Einfluss hat. Wirtschaftlich, kulturell. Das sind die Menschen des Blocks der Juden, des jüdischen Glaubens.“iv

Das ist klare, deutlich faschistische Propaganda und Hetze. Die AfD ist der parlamentarische Arm der deutschen Nazi-Bewegungen. OB Kaminsky, der sich jetzt als Vorkämpfer gegen Rassismus präsentiert, hat Förster, Fraktionschef der faschistischen Truppe „Republikaner“ (REP), die im Kreistag mit der NPD zusammenarbeitet, 2019 den „Landesehrenbrief“ verliehen. Förster steht für rassistische Hetzte und teilt z.B. Posts im Netz wie „40Prozentder Flüchtlinge haben Aids“.

Bei den Landtagswahlen 2018 brachte es die AfD in Hanau auf 16,2 Prozent der WählerInnenstimmenv Das alles sind die Zeichen der Faschisierung und weder ein Rechtsruck, noch Rechtsextremismus.

Der Grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer hingegen warnt tatsächlich nach dem Anschlag in Hanau: „Der AfD nicht voreilig die Mitschuld für Hanau geben“. Denn „die Ursachen der Radikalisierung eines vermutlich psychisch gestörten Einzeltäters nachzuvollziehen, wird Zeit brauchen und vielleicht auch nie ganz gelingen.“ Damit wird die Pathologisierung wirklich auf die Spitze getrieben!

Am 20. Februar, einen Tag nach dem Anschlag in Hanau lässt sich Kulturstaatsministerin Grütters auf der internationalen Bühne zur Eröffnung der Internationalen Filmfestspiele in Berlin „feiern“. Standing Ovations für ihre Forderung:

Nicht zuletzt, weil neue politische Kräfte nationalsozialistische Verbrechen relativieren und mit Hetzparolen Ressentiments schüren. Niemals darf es eine wie auch immer geartete, politische Zusammenarbeit mit diesen rassistischen und völkischen Kräften geben“. Aber ihre Partei arbeitet im Parlament, auf kommunaler und sonstiger Ebene mit genau solchen Kräften zusammen. Auch wenn die CDU/CSU ihren angeblichen „Unvereinbarkeitsbeschluss“ dabei vor sich her tragen.

Wir haben uns hier die AfD herausgegriffen, weil sie im bürgerlichen Lager natürlich toleriert und ja, auf Kommunalebene sowie in unterschiedlichen Bereichen mit ihr zusammengearbeitet wird.

Der totale Krieg kehrt nach Hanau zurück“ oder Befreiung vom Faschismus?

Bereits zu Beginn seiner Rede auf der Trauerveranstaltung setzt OB Kaminsky die Bombardierung Hanaus im 2. Weltkrieg durch die Anti-Hitlerkoalition mit dem faschistischen Anschlag 2020 in Hanau gleich:

Wir Hanauerinnen und Hanauer werden in wenigen Tagen an den Morgen des 19.März 1945 erinnern. Wie in jedem Jahr werden die Glocken unserer Kirchen um 4.20Uhr Sturm läuten und damit an den Untergang Hanaus im Bombenhagel erinnern. In dieser Nacht kehrte der totale Krieg, der von Deutschland und leider auch von dieser Stadt ausgegangen ist, nach Hanau zurück. Ich bin mir bewusst, dass jeder historische Bezug auch seine Schwächen hat, aber: Wir Hanauerinnen und Hanauer wissen sehr wohl, wohin Rechtsextremismus, Hass und Rassismus führen: zu Gewalt, zu Tod und unendlichem Leid!“ Dieser Vergleich hat nicht nur „Schwächen“ sondern ist infam.

Kaminsky präsentiert hier ein unsägliches Geschichtsbild ganz in Tradition der Relativierung des Nazifaschismus beispielsweise beim deutsch-nationalistischen Gedenken an den „Bombenterror in Dresden“.

Die deutsche Armee, das deutsche Volk in seiner großen Mehrheit standen bis zum bitteren Endes des Weltkriegs hinter dem faschistischen Nazi-Regime und „kämpften bis zum letzten Atemzug.“

Das „Leid“ der deutschen Hanauer Bevölkerung hat sie zum großen Teil mit verursacht und selbst mit zu verantworten. Alliierte Bombenangriffe auf deutsche Städte zielten auf deren strategische Bedeutung in der Kriegsindustrie und auf Verkehrs- und Transportwege. Ihr Ziel die Zerschlagung des Nazifaschismus.

Im offiziellen Hanauer Geschichtsbild wird das zum Ereignis, zum „Schicksalstag Hanaus“.

Auf der Webseite des Rathauses findet sich kein Hinweise im Zusammenhang mit der „Bombennacht von Hanau“ zum Beispiel auf die „Nutzung des Werks 1942-1945 durch die Vereinigten Deutschen Metallwerke, auch VDM-Luftfahrtwerke und später Continentale Metall-Aktiengesellschaft genannt, zur kriegswichtigen Produktion von Flugzeugfahrwerken. Auf dem Fabrikgelände werden Baracken für Zwangsarbeiter errichtet.“ vi

Die Informationen der Stadtverwaltung lauten beschönigend und menschenverachtend: „Durch den Krieg fehlten Arbeitskräfte in den Betrieben. So wurde auch in Hanau auf Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter zurückgegriffen. Eine Aufstellung aus dem Jahr 1942 weist 24 Arbeitslager im Stadtgebiet von Hanau aus.“vii

Die ganze Wahrheit ist: Zwischen 1942 und 1945 wurden in Hanauer Betrieben fast 15 000 Menschen als ZwangsarbeiterInnen versklavt.viii

Im Gegensatz dazu, wird laut Internetportal der Stadt Hanau, alljährlich nicht an den 8.Mai als Tag der Befreiung vom Nazi-Faschismus gedacht. Der Hauptfriedhof von Hanau spiegelt erschreckend dieses Geschichtsbild wieder. Ein imposantes „Ehrenmal“ und ein großflächiges „Ehrenfeld 1939/45“. ix

Auf Tafeln sind die Namen der deutschen Opfer der Luftangriffe, die 2017 großzügig ergänzt wurden um die Namen der „bei den Luftangriffen getöteten Fremd- und Zwangsarbeiter“, und die Namen der „Gefallenen des 2.Weltkriegs“, das heißt der Nazi-Eroberungs- und Mord-Armee-Angehörigen verzeichnet. Unterschiedslos. Also auch ein Ehrenmal für die Nazi-Täter und Mörder. So wird dem SS-Rotten-Führer Karl Rienkens zweimal gedacht, einmal auf der Ehrentafel und einmal auf dem Ehrenfeld! Ganz am anderen Ende des Hauptfriedhofs, in einer verlassenen Ecke das „Gräberfeld der Zwangsarbeiter“. Auf den verwitterten Steinen ist zu lesen „12 unbekannte Polen“ oder „Veronika Rasch Polin 1923 2.3.1944“.

Der Vergleich der „Bombardierung Hanaus“ mit dem „rassistischen Anschlag am 19. Februar“ zeigt ein unsägliches Geschichtsverständnis, das wir anprangern und mit dem unbedingt gebrochen werden muss.

Was tun?

Um die heutige anschwellende Faschisierung tatsächlich wirksam zu bekämpfen sind vor allem Antirassismus und Antikapitalismus die Herausforderung an uns! Denn der Faschismus ist ein Produkt des Kapitalismus! Der Rassismus ist heute das Hauptinstrument der Herrschenden um die Faschisierung voranzutreiben.

Grundlegend werden wir nur dann etwas ändern, wenn wir gegen diesen bürgerlichen Staat kämpfen, für eine andere Gesellschaft, die jede Form von Unterdrückung unmöglich macht. Organisieren wir uns für den Sozialismus und Kommunismus!

Wir haben ein Familienmitglied verloren, wir haben Freunde verloren, wir haben Bekannte verloren, wir haben treue Kunden verloren, wir haben Mitmenschen verloren und die Stadt Hanau hat Mitbürger und liebevolle Menschen verloren. Zu diesen Menschen, die in dieser Nacht ihr junges Leben verloren haben …

Mercedes Kierpacz:

Eine junge Frau, die versucht hat mit zwei Kindern das Leben zu meistern. Sie hat immer ihre Meinung gesagt und hatte trotzdem ein großes Herz. 

Ferhat Unvar:

Ein junger selbstbewusster Mann, der klare eine Vorstellung vom Leben hatte und ein weiches Herz besitzt. Er sagte immer zu mir: „großer Bruder Kemal, wir stehen immer zusammen, egal was passiert.“ Heute bist du nicht mehr da. 

Said Nesar Hashemi:

Ich werde sein Lächeln und seinen respektvollen Umgang mit allen Menschen niemals vergessen. Seine Bestellung war immer drei Mal Capri Sonne und eine Naschtüte. Er hat einen Platz in meinem Herzen. 

Hamza Kurtović:

Er hatte immer ein Lächeln auf dem Gesicht und er hat gerne geteilt. Er hat seinen Freunden immer Getränke und Süßigkeiten gekauft. Er war ein menschlicher Engel.

Gökhan Gültekin:

Wir nannten ihn alle nur liebevoll „GoGo“ und ich könnte so viel über ihn erzählen. Die Zeit hier würde niemals reichen. Jedes Treffen und jedes Telefonat hat er mit den Worten: „Möge Gott dich schützen.“ beendet. Er hatte die tiefe Erkenntnis, dass das Schicksal kommt wie es kommt. Du fehlst mir so sehr und ich werde dich niemals vergessen.

Kaloyan Velkov:

Ein äußerst sympathischer Mensch, der immer und überall gegrüßt hat und ich bin ihm oft begegnet. Du lässt eine Lücke unter den Menschen.

Sedat Gürbüz:

Und von ihm erzählt man, dass er ein absolut hilfsbereiter Mensch und anständiger junger Mann war. Wir werden dich auch vermissen.

Vili Viorel Pãun:

Wir haben ihn als einen netten und freundlichen Kunden kennengelernt. Jedes Treffen im Kiosk war von Respekt und Höflichkeit geprägt.

Fatih Saraçoğlu:

Die liebsten und engsten Menschen, erzählen von einem freundlichen, anständigen und höflichen Mitmenschen.

Wir werden euch wirklich alle vermissen und ihr alle hinterlasst eine große Lücke im Leben von Hanau.

Aus der Rede von Kemal Koçak auf der Trauerveranstaltung.

Stellungnahme der Initiative „19. Februar Hanau“ zur rechtsextremen Motivation sowie zur Informationsblockade bezüglich der rassistischen Morde in Hanau

Was wir wissen:

*Tobias Rathjen, der Mörder von Hanau, hatte bei seiner Tat am 19. Februar 2019 eine Waffe der Marke Czeska dabei, die er sich 12 Tage vorher bei einem lokalen Waffenhändler ausgeliehen hatte.

*Auf der Webseite des Täters war ein weißer Wolf mit blauen Augen abgebildet.

*Rathjen war in den letzten Jahren u.a. in Wyoming in den USA und in mehreren europäischen Ländern unterwegs und hat – wie unlängst vom Spiegel gemeldet – zweimal an „Gefechtstrainings“ in der Slowakei teilgenommen.

Wir wissen noch nicht:

*ob – und wenn ja, wen – Rathjen am 19.02.2020 mit der Czeska erschossen hat.

*ob er sich als „einsamer Wolf“ im nazistischen Konzept des „führerlosen Widerstandes“ verortet oder zumindest darauf bezogen hat.

*ob er allein in der Slowakei war und ob er wie auch immer geartete Kontakte zu Rechtsextremen in Europa und/oder den USA hatte.

Wir fragen uns:

*Ist es ein Zufall, dass Rathjen eine Czeska – die Mordwaffe des NSU – ausgeliehen und womöglich auch eingesetzt hat?

*Ist es ein Zufall, dass er ein Symbol für seine Webseite verwendet hat, das eine historische wie auch aktuelle Geschichte des Nazismus hat?

*War Rathjen – jenseits seiner Slowakei-Besuche – nur auf Urlaubsreisen in den anderen europäischen Ländern und in Wyoming?

Und wir fragen uns natürlich: Warum geben die zuständigen Behörden seit nahezu sechs Wochen keinerlei Informationen zum aktuellen Ermittlungsstand heraus? Nichts zu ballistischen Untersuchungen, nichts zu Rathjens Webseite und nichts zu seinen Auslandsaufenthalten. Eine faktische Informationsblockade, während aus dem BKA angebliche Zwischenberichte in die Medien kommen, die die rassistische Motivation der Morde relativieren, um dann wieder dementiert zu werden.

Wir versprechen:

wir werden nichts vergessen und gemeinsam mit Angehörigen und FreundInnen der Opfer auf einer lückenlosen Aufklärung der Morde und deren Hintergründe bestehen. 

Initiative 19. Februar Hanau am 7. April 2020

https://19feb-hanau.org

i Frankfurter Rundschau, 19.03.2020

ii Die Nennung von Frau Rathjen als Opfer des offensichtlich rassistisch motivierten Anschlags finden wir nicht richtig. Über die Motive des Täters seine Mutter zu ermorden, ist bisher nichts bekannt. Sie in eine Reihe mit den Opfern des rassistisch-faschistischen Anschlages zu stellen und zu nennen, halten wir für völlig unangebracht.

iii www.hanau-steht-zusammen.de/trauerfeier/

iv report München 10.03.2010

v Frankfurter Rundschau, 20.02.2020

vi Gutachterliche Stellungnahme zur Konversion des Bautz-Geländes www.hanau.de/mam/Stadtentwicklung/b-plaene/ 904.3-b-11-denkmalschutzgutachten.pdf

vii www.hanau.de/stadtentwicklung/geschichte/hanau_1933_-_1945/index.html

viii http://www.steffes-eschborn.de/historisches/ns-zeit_zwangsarbeiter/main-kinzig-kreis/main-kinzig-kreis.html, FR 12.05.2000

ix Informationsblatt des Magistrats der Stadt Hanau