DDR – Anspruch und Wirklichkeit

Teil 8

Ökonomie der DDRKursänderungen 1952 – 1953

Vorbemerkung

In dieser Artikelserie stellen wir die Ergebnisse unserer intensiven Auseinandersetzung mit der Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), der DDR und der SED zur Diskussion. Dieses ist der letzte Teil unserer bisherigen Analysearbeit. Bisher stellten wir unseren einzelnen Beiträgen folgenden Aufruf an Euch LeserInnen voran:„Aufgrund der Nachfragen von TA-LeserInnen wollen wir nochmals dazu ermuntern, uns Eure Kritiken, Anmerkungen und Ergänzungen, Gedanken mitzuteilen. Sie sind uns sehr willkommen. Unser Ziel ist, als Ergebnis der Artikelreihe Thesen und ein programmatisches Dokument zu verfassen.“

Natürlich freuen wir uns auch bei diesem letzten Beitrag auf Kritiken und Kommentare von Euch.

In der letzten TA 88 haben wir als Abschluss unserer Arbeit „Thesen DDR – Anspruch und Wirklichkeit“ veröffentlicht.

Sozialismus in der DDR?

Theorie des sozialistischen Aufbaus

Wir beziehen uns in diesem Artikel ganz stark auf die theoretische Schrift von Fred Oelßner, „Die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik“, in der er die zentralen Positionen der SED zum Aufbau des Sozialismus auf den Punkt bringt:

Die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus ist daher eine Periode desKlassenkampfes der sich in den verschiedensten Formen vollzieht und in dessen Verlauf die Arbeiterklasse immer breitere Schichten der Bevölkerung für die Teilnahme am sozialistischen Aufbau gewinnt. Die mit den werktätigen Bauernmassen verbündete Arbeiterklasse nutzt die in ihren Händen befindliche Staatsmacht, die wirtschaftlichen Kommandohöhen und die von ihr erkannten objektiven ökonomischen Gesetze des Sozialismus aus, um die für den Sieg des Sozialismus erforderliche Entwicklung der Produktivkräfte zu sichern, die neue sozialistische Basis zu festigen und zu erweitern und damit den ökonomischen Gesetzen des Sozialismus immer breiteren Spielraum zu verschaffen.“ (Hervh. TA) 1

Diese Worte von Fred Oelßner, ZK-Mitglied und führender SED Wirtschaftstheoretiker zwischen 1949-1958 würden wir fast wortwörtlich bei Stalin oder im „Lehrbuch Politische Ökonomie“, Moskau 1954 finden. So viel zur Theorie.

Wir alle wissen wie sich die DDR entwickelt hat. Die DDR brach 1990 parallel zum Kollaps der Sowjetunion in sich zusammen und wurde durch die kapitalistische BRD übernommen. Der Ruf des Sozialismus wurde schwer beschädigt und in den Augen der Arbeiter:innenklasse auf Jahrzehnte in Misskredit gebracht. Verantwortlich dafür waren auch solche „Sozialisten“ wie Oelßner.

Viele fragen sich:

Wie kam es dazu? Wie konnte die „Überlegenheit“ des Sozialismus – und wir fügen auch die des Kommunismus hinzu – vom Imperialismus dermaßen in Grund und Boden gestampft werden? Wie konnte die Perspektive für den Weltkommunismus einen so immensen Schaden erleiden, von dem sie sich bis heute nicht erholt hat? Welche Fehler hat die SED beim Aufbau des Sozialismus gemacht, dass der Laden ihnen so um die Ohren geflogen ist? Was können wir daraus lernen? Mit unserer DDR-Analyse versuchen wir einige Antworten zu finden.

Das Vorbeten der allgemeinen Prinzipien des Sozialismus-Kommunismus durch Oelßner und anderer SED-Kader verschleiert die Fehler, die vor allem in der praktischen ökonomischen Politik liegen. Insofern ist es wichtig die Ausführungen genau zu studieren und sie mit den allgemeinen Prinzipien des Sozialismus-Kommunismus und den Erfahrungen der sozialistischen Sowjetunion abzugleichen.

Im Lehrbuch der Politischen Ökonomie heißt es: „Die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus beginnt mit der Errichtung der proletarischen Macht und endet mit dem Aufbau des Sozialismus – der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft.“2

Die unbedingte Voraussetzung für die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus ist die siegreiche Durchführung der sozialistischen Revolution, welche die politische Macht der Bourgeoisie stürzt und die politische Macht der Arbeiterklasse errichtet. Denn nur im Besitz der politischen Macht vermag die Arbeiterklasse dem Gesetzt der unbedingten Übereinstimmung der Produktionsverhältnisse mit dem Charakter der Produktivkräfte Geltung zu verschaffen und das kapitalistische Eigentum an den Produktionsmitteln durch sozialistisches Eigentum zu ersetzen.“3

Die wichtigste ökonomische Aufgabe der Übergangsperiode besteht darin die sozialistischen Produktionsverhältnisse in allen Wirtschaftszweigen zu schaffen, zu festigen und zu erweitern. Dies kann nur im unablässigen Klassenkampf geschehen, wobei der Ausgang dieses Kampfes von der Teilnahme der breiten werktätigen Massen am sozialistischen Aufbau bestimmt wird. Der Grundwiderspruch der Wirtschaft der Übergangsperiode, so stellt das sowjetische Lehrbuch fest, ist der Widerspruch zwischen dem gerade entstandenen, jedoch in der ersten Zeit noch schwachen Sozialismus, dem die Zukunft gehört, und dem gestürzten, zunächst noch starken Kapitalismus, der seine Wurzeln in der kleinen Warenproduktion hat und das Vergangene darstellt.“ 4 (Hervh. TA)

Das alles ist allgemein-theoretisch richtig. Aber die Hauptfrage ist, was für eine Staatsmacht war der in der DDR gegründete volksdemokratische Staat?

In unseren Analysen zur DDR haben wir bereits dargelegt, dass die Volksdemokratie keine Diktatur des Proletariats ist, sondern eine Herrschaft in der das Proletariat die Macht gemeinsam mit Teilen der Bourgeoisie ausübt.

Die von Oelßner zusammengefassten Lehrsätze über den Aufbau des Sozialismus, können wir nur unterstreichen. Die zentrale Frage ist allerdings, warum die SED den Aufbau des Sozialismus nicht geschafft hat.

Wir könnten uns zurücklehnen und sagen, dass der Sozialismus sowieso nicht möglich war, weil das Proletariat der DDR nicht die politische Macht in den Händen hatte. Es teilte sich die Macht mit bürgerlichen und kleinbürgerlichen Schichten.

Und die Praxis?

Wir wollen die Frage des Aufbaus des Sozialismus trotz dieses Makels anhand der ökonomischen Politik erläutern. Im Konkreten wollen wir nachfolgend zeigen, wie die SED sich nicht an den Prinzipien des sozialistischen Aufbaus und den Lehrsätzen orientiert hat.

Des Weiteren sollen Grundsätze des Sozialismus kritisch beleuchtet werden:

– Ökonomischen Gesetze des Sozialismus.

– Mehrwertgesetz, Warenproduktion, Handel, Geld

– Leistungslohn – Jeder nach seiner Leistung

Hinkender Vergleich: NÖP-System (Neue Ökonomische Politik) in der Sowjetunion und die DDR

Bei der Begründung der Wirtschaftspolitik 1956 beruft sich Oelßner dem Wortlaut nach auf die Erfahrungen der Sowjetunion.

Die NÖP sei für die Übergangsperiode von Kapitalismus zum Sozialismus auch in den Volksdemokratien richtungsweisend. Die Grundprinzipien der NÖP müssten auch in der DDR befolgt werden. „Die Neue Ökonomische Politik ist die charakteristische Wirtschaftspolitik des Arbeiter-und- Bauernstaates für die ganze Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus.“1 (Hervh. TA) In den Ausführungen von Oelßner ist richtig, dass die Grundprinzipien der NÖP beim Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus in allen Ländern ihre Anwendung finden.

Allerdings müssen wir feststellen, dass die NÖP in der sozialistischen Sowjetunion eine Politik in einem Land war, in dem die Diktatur des Proletariats existierte. In einer Volksdemokratie ist die Machtkonstellation eine andere als in der Diktatur des Proletariats. Diesen wesentlichen Unterschied verschweigt Oelßner. Und er tut so, als ob die Macht in der DDR identisch mit der Macht in der Sowjetunion der NÖP-Zeit sei. Das ist grundsätzlich falsch.

In derselben Schrift offenbart sich, die opportunistische Linie Fred Oelßners, aber auch der gesamten Linie der SED beim Aufbau des Sozialismus.

Das Schwergewicht bei der Lösung der Aufgaben in der Übergangsperiode liegt darin, die Umwandlung vornehmlich mit ökonomischen Mitteln zu erzielen. Darum ist die Wirtschaftspolitik der proletarischen Staatsmacht für die Übergangsperiode von entscheidender Bedeutung. Die wichtigste Aufgabe, die durch die Wirtschaftspolitik gelöst werden muss, ist die Entwicklung der ökonomischen Verbindung der sozialistischen Industrie mit der bäuerlichen Wirtschaft und auch den anderen Wirtschaftsformen.

Aus dem Warencharakter der kleinbäuerlichen Wirtschaft ergibt sich der Austausch durch Kauf und Verkauf als die entsprechende Form dieser ökonomischen Verbindung. Daher wird der Zusammenschluss zwischen Industrie und Landwirtschaft mittels des Handels zur ökonomischen Notwendigkeit. Handel bedingt aber Warenzirkulation und Geldzirkulation.

Die Wirtschaftspolitik, die der Ausnutzung der ökonomischen Formen des Handels und der Geldzirkulation zum Aufbau des Sozialismus entspricht, wurde von LENIN bereits im Jahre 1918 begründet und ist in die Geschichte unter der Bezeichnung NÖP – Neue Ökonomische Politik – eingegangen. Sie wurde so genannt, weil sie im Jahre 1921 den sogenannten Kriegskommunismus ablöste, der durch Intervention und Bürgerkrieg notwendig geworden war.“2

In diesem Zitat ist die konkrete Wirtschaftspolitik der SED beschrieben. Oelßner, der die marxistische Lehre vom Staat kennt, spricht von dem Staat DDR, der eine Volksdemokratie war, als „proletarischer Staatsmacht“. Das ist eindeutig eine Verfälschung der Realität. Die Staatsmacht der DDR war keine proletarische, sondern eine volksdemokratische Macht.

In einem solchen Staat von der „sozialistischen“ Wirtschaft, Industrie… zu reden ist eindeutig falsch. Das Staatseigentum ist nicht an sich sozialistisch, Staatseigentum wird nur dann sozialistisch, wenn der Staat vom Proletariat beherrscht wird durch die Ausübung der Diktatur des Proletariats. Also wird der volksdemokratische Staat von Oelßner im Handumdrehen zur „proletarischen Staatsmacht“ erklärt.

War irgendetwas sozialistisch in der DDR-Ökonomie?

Oder die verschiedenen Sektoren der Ökonomie in der Übergangsgesellschaft

Oelßner will die sozialistische Wirtschaft dadurch aufbauen, in dem er die „sozialistische Industrie“, damit meint er die vergesellschafteten, volkseigenen Be­­triebe (VEB), mit „der bäuerlichen Wirtschaft und anderen Wirtschaftsformen“ verbindet.

Die von ihm als „bäuerliche Wirtschaft“ bezeichnete Wirtschaftsform ist in ihrer Masse klassenmäßig eine kleinbürgerliche Wirtschaft. Was „die anderen Wirtschaftsformen“ betrifft sind diese nichts anderes als die an Zahl und Stärke nicht wenigen kapitalistischen Unternehmen.

Wir hatten bereits dargelegt, dass bis zur Verkündung der neuen Parteilinie zum Aufbau des Sozialismus Juni 1952 mit der Schaffung der VEBs zwar der monopolistische Kapitalismus zerschlagen wurde, aber dennoch die kapitalistischen Unternehmen in der Industrie, auf dem Land und im Handel noch stark genug waren, den Plan der SED zu durchkreuzen. Die Schifffahrt, der Handel (ausgenommen der Außenhandel), das Handwerk, und die Landwirtschaft waren zum großen Teil noch immer privatkapitalistisch organisiert. Das bedeutete, dass noch viele Menschen von Eigentumsformen und Erträgen lebten, die der Sozialismus aufheben wollte.

Es stand eine Mammutaufgabe vor der SED. Statt diese schwierige Aufgabe klar und deutlich zu formulieren, die Arbeiter:innenklasse für die Lösung dieser Aufgabe in breiten Überzeugungskampagnen zu mobilisieren, wird, wie so oft in der SED-Geschichte, und typisch für revisionistische Parteien, Etikettenschwindel betrieben.

Wo Volksdemokratie drin ist, wird zum Sozialismus umetikettiert, wo antagonistische Klassenwidersprüche sind und Klassenkampf das Gebot der Stunde wäre, werden „befreundete Klassen“ hervorgezaubert, die „gemeinsam den Sozialismus aufbauen“. Qua Deutungshoheit gelingt es der SED jede Aufgabe beim Aufbau des Sozialismus zu lösen, indem die Realität verzerrt, verbogen oder begradigt wird, je nachdem wie es opportun erscheint.

In dem Lehrbuch „Politische Ökonomie“ wird ausgeführt, dass in der sozialistischen Sowjetunion während der Übergangsperiode zur Zeit der NÖP fünf Eigentumsformen bestanden: „1.die patriarchalische bäuerliche Wirtschaft, 2.Die kleine Warenproduktion, 3.Der privatwirtschaftliche Kapitalismus, 4.Der Staatskapitalismus, 5.Der sozialistische Sektor.“3

Zu dem sozialistischen Sektor heißt es: „Der sozia­listische Sektor umfaßt erstens die in Händen des Sowjetstaates befindlichen Fabriken und Werke, das Verkehrswesen, die Banken, die Sowjetgüter, die Handels- und sonstigen Unternehmen und zweitens die Genossenschaften – die Konsumgenossenschaften, die Einkaufsgenossenschaften, darunter als höchste Form die Kollektivwirtschaften. Die Grundlage des sozialistischen Sektors ist die maschinelle Großproduktion. Schon am Anfang der Übergangsperiode begann der sozialistische Sektor, der im Vergleich zu allen anderen Sektoren den höchsten Wirtschaftstypus darstellt, die führende Rolle in der Wirtschaft zu spielen.“4(Hervh. TA)

Darüber hinaus wird darauf verwiesen: „Nicht in jedem Land, das den Sozialismus errichtet, müssen fünf Wirtschaftsformen bestehen. Wie Lenin lehrte und wie es die Geschichte bereits bestätigt hat, bestehen in jedem Land in der Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus folgende Hauptformen der gesellschaftlichen Wirtschaft: der Sozialismus, die kleine Warenproduktion und der Kapitalismus. Diesen Formen der gesellschaftlichen Wirtschaft entsprechen die Klassen: die Arbeiterklasse, das Kleinbürgertum (besonders die Bauernschaft) und die Bourgeoisie. Die Hauptmerkmale der Wirtschaft, der Klassenverhältnisse und folglich auch der Grundlagen der Wirtschaftspolitik der Diktatur des Proletariats in der Übergangsperiode sind allen Ländern gemeinsam, was spezifische Besonderheiten in jedem Lande nicht ausschließt, sondern vielmehr voraussetzt.“5

Wohlgemerkt: Die Diktatur des Proletariats, das Vorhandensein eines „Sowjetstaates“ ist die unbedingte Voraussetzung für die Schaffung und Existenz eines sozialistischen Sektors in der Ökonomie!

Wie wendet nun Oelßner diese Theorie auf die konkrete Übergangsperiode in der DDR an?

Die Produktionsverhältnisse in der Deutschen Demokratischen Republik tragen den Charakter der Übergangsperiode. Sie sind im gegenwärtigen Entwicklungsstadium durch das Vorhandensein von drei Eigentumsformen an den Produktionsmitteln und damit von drei Wirtschaftsformen gekennzeichnet. Es gibt in der DDR:

A) Sozialistisches Eigentum, das aus zwei Arten besteht:

1. Allgemeines Volkseigentum, d. h. Staatseigentum und Kommunaleigentum, das durch den volkseigenen Sektor in Industrie, Landwirtschaft, Verkehr, Handel, Bank- und Versicherungswesen vertreten ist.

2. Genossenschaftliches Eigentum, das durch die Konsumgenossenschaften, die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, die bäuerlichen Handelsgenossenschaften, andere bäuerliche Genossenschaften (Molkereigenossenschaften u.a.), Fischereigenossenschaften, Handwerksgenossenschaften vertreten ist.

Diese beiden Eigentumsformen bilden den sozialistischen Sektor. Sie umfassen in der Industrie etwa 85Prozent der Produktion, in der Landwirtschaft etwa ein Drittel der Anbaufläche. Eisenbahnen, Banken, Versicherungen, und Außenhandel gehören völlig zum sozialistischen Sektor.“6

Auf den ersten Blick sieht das sehr danach aus, als ob alle theoretischen Begründungen die selben sind, wie sie im Lehrbuch der Politischen Ökonomie dargelegt sind. So ist es aber nicht.

Wir stellen fest, dass im Jahr 1956 als diese Schrift von Oelßner verfasst wird, die DDR immer noch eine Volksdemokratie ist und keine Diktatur des Proletariats. Es hat bis dahin keine komplette Machtübernahme durch die Arbeiter:innenklasse stattgefunden. Die politische Macht wird nach wie vor von verschiedenen Klassen, Arbeiter:innenklasse, Bourgeoisie und den Bauern und Bäuerinnen ausgeübt. Es ist keine Demokratie, die nur die Arbeiter:innenklasse und Werktätigen begünstigt und keine Diktatur, die die Bourgeoisie als Klasse unterdrückt. Was Sinn und Zweck der Diktatur des Proletariats ist. Die Wirtschaftspolitik belegt unsere Behauptung. Hier findet der berühmte Etikettenschwindel statt.

Zweitens wird von Oelßner das genossenschaftliche Eigentum ganz salopp zum sozialistischen Sektor zugehörig erklärt. Ohne – wie im Lehrbuch „Politische Ökonomie“ ausgeführt – darauf aufmerksam zu machen, dass es verschiedene Formen der Genossenschaften gibt, deren höchste Form die „Kollektivwirtschaften“ sind.

Die niedrigen Formen der Genossenschaften werden in einer Diktatur des Proletariats zwar zum sozialistischen Sektor gezählt. Allerdings mit dem Bewusstsein, das es eine enorme Aufgabe ist, diese erst einmal zu Kollektivwirtschaften zu entwickeln, in denen am Ende weder Privat-, noch Gruppeneigentum an Produktionsmitteln existiert! Es ist allerdings nicht nur für die Genossenschaften falsch, sie ohne jede weitere Erklärung zum „sozialistischen Sektor“ zu rechnen. Falsch ist überhaupt vom sozialistischen Sektor zu reden, in einem Land in dem das Proletariat, selbst wenn es „führend“ an der Macht beteiligt ist, gleichzeitig aber auch Teile der Bourgeoisie an der Macht mitbeteiligt sind.

Staats- und Landes- (Kommunales) Eigentum ist nicht an sich sozialistisch. Auch in einem Land, in dem die Bourgeoisie an der Macht ist, gibt es Staatseigentum! Staatseigentum oder Kommunales Eigentum ist nur dann sozialistisch, wenn das Proletariat in einem Staat über die alleinige politische Macht verfügt.

Aber Oelßner ist ein versierter revisionistischer Theoretiker. So versucht er seiner revisionistischen Theorie doch einen marxistischen Mantel umzuhängen. An derselben Stelle relativiert er seine Behauptung: „Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Genossenschaften zum Teil selbst noch Übergangscharakter haben: So können z.B. die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in der DDR keineswegs mit den Kollektivwirtschaften in der Sowjetunion gleichgestellt werden, da sie Boden bearbeiten, der nach wie vor Privateigentum der Genossenschaftsbauern ist.

Dementsprechend wird ein Teil des Einkommens nicht nach dem sozialistischen Gesetz der Verteilung nach Arbeitsleistung, sondern entsprechend dem eingebrachten Bodenanteil als eine Art absoluter Grundrente verteilt. Trotzdem gehören die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften zweifellos zum sozialistischen Sektor unserer Wirtschaft. Es gibt in unserer Republik auch noch rein kapitalistische Genossenschaften; von diesen wird später die Rede sein.“7

Wie Oelßner frei und fest nach seiner eigenen Widerlegung behaupten kann, dass das Genossenschaftseigentum trotzdem zum sozialistischen Sektor der Wirtschaft gehört, bleibt uns ein Rätsel. Der Wunsch stand hier Pate.

Entscheidend ist, dass das Land (Grund und Boden) in den Genossenschaften der DDR das verbriefte Privateigentum der Bäuer:innen war. Damit ist ein wichtiges Produktionsmittel, nämlich der Boden, Privateigentum und darf nicht zum sozialistischen Bereich gerechnet werden. Gehen wir davon aus, dass die Volksdemokratie der Nutzung des Grundes und Bodens enge Grenzen gesetzt hat und außerdem die Bäuer:innen sich in Genossenschaften organisiert haben, bleibt es aber trotzdem auch eine Tatsache, dass der Grund und Boden weiterhin Privateigentum der Bauernschaft war.

Überschrift des Plakates lautet: Dem Sozialismus gehört die Zukunft. Beispielhaft ist auf diesem Werbeplakat die Hervorhebung der LPG (Landwirtschaftliche Produktionsge-nossenschaften) als Hebel zum Aufbau des Sozialismus. Eine Bäuer:in mit Kopftuch und weidenden Kühen vor einem Bauernhof fordert auf: Werktätige Einzelbauern werdet Mitglieder der LPG. Allerdings hatten in diesen LPGs die Bäuer:innen nach wie vor Eigentum an ihren eigenen Hof, Grund und Boden, sowie Maschinen/Inventar. Die LPGs waren ein Zusammenschluss für gegenseitige Hilfe bei der Produktion. Das waren keine sozialistischen Landwirtschaftsbetriebe.

Wie wir später noch sehen werden, verkauft die SED die Bauernwirtschaften, die in den Genossenschaften Privateigentum am Boden besitzen sowie darüber frei verfügen und die Erträge nach eingebrachtem Bo­­denanteil verteilen, als Teil des sozialistischen Wirtschaftssektors.

Warum? Das liegt wie in vielen anderen gesellschaftlichen und politischen Bereichen auch an folgendem:

Weil die SED sich nicht der Realität stellt und nicht bereit ist, einen Klassenkampf für die Diktatur des Proletariats mit Zielrichtung des Aufbaus des Sozialismus zu führen. Stattdessen versucht sie die Klassen zu versöhnen, die Widersprüche zu verkleistern, sich und der Arbeiter:innenklasse in die Tasche zu lügen.

Weiter führt Oelßner zur Arbeit und zum Privateigentum in seiner Schrift aus:

B) Zweitens gibt es in der Deutschen Demokratischen Republik auf Arbeit beruhendes Privateigentum an Produktionsmitteln, das auf den folgenden drei Gebieten besteht:

1. den privaten Wirtschaften der Klein- und Mittelbauern,

2. den Wirtschaften der Handwerker,

3. den kleinen Betrieben der privaten Einzelhändler, die keine Produktionsmittel, aber private Zirkulationsmittel besitzen und von ihrer eigenen Arbeit leben.

Diese drei Gruppen bilden die kleine Warenwirtschaft. Sie hat in der DDR noch sehr beträchtlichen Umfang. In der Landwirtschaft umfasst die kleine Warenproduktion mehr als die Hälfte der Gesamtproduktion. Das Handwerk umfasst etwa 250000 Betriebe (mit rund 800000 Beschäftigten),die 1954 einen Gesamtumsatz von über 6,5 Milliarden Mark erzielten. Im Einzelhandel gab es 1954 rund 170000 Privatgeschäfte.

Der Umfang des Handwerks und der Einzelhandelsgeschäfte hat seit der Einführung des Neuen Kurses zugenommen.

Der private Einzelhandel konnte von 1953 auf 1954 seinen Umsatz um 18Prozent erhöhen, das Handwerk steigerte seine Erzeugung in der gleichen Zeit um 15Prozent.8 (Hervh. TA)

Ein Sozialismus, in dem der kapitalistische Sektor ungemein stark ist, und viel wichtiger, weiterhin stärker wird! Das zeigen diese von Oelßner wiedergegebenen Zahlen. Interessant ist aber hier auch, dass diese „kleinbürgerliche Wirtschaft“ nicht zum kapitalistischen Sektor gezählt wird!

Frage der „Genossenschaften“

Hier zeigt sich bei Oelßner darüber hinaus ein falsches Verständnis über das Ei­­gentum der verschiedenen Genossenschaften. Ge­nossenschaften sind Gruppen von Menschen, die sich zum Zweck wirtschaftlicher Tätigkeit zu­­sammenschließen.

Sie haben in der Breite und Tiefe unterschiedliche Formen. Auch im Kapitalismus existieren Genossenschaften.

Die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPGs) wie sie in der DDR bestanden, haben den Grund und Boden, das Inventar und die Erträge nicht kollektiviert. Im Gegenteil, jeder Kollektivbauer und jede Kollektivbäuerin besaßen ihren Grund und Boden, ihr Inventar und die Erträge wurden entsprechend des eingebrachten Grundes und Bodens verteilt.

Wir können sagen, dass die LPGs eher Kooperationsgenossenschaften waren, und zwar mehr Kooperation als Genossenschaft. In der Ökonomie der sozialistischen Sowjetunion können wir dagegen die höchste entwickelte Form der Kollektivwirtschaften sehen.

In den sowjetischen Kollektivwirtschaften wurden der Grund und Boden, das Inventar und die Erträge zusammengelegt und die Mitglieder der Genossenschaften nach ihrer Arbeitsleistung bezahlt. Das ist zwar noch nicht sozialistisch, weil es sich um Gruppeneigentum handelt und sehr begrenzt auch Privateigentum existierte.

Aber die Form war auch nicht mehr kapitalistisch, weil die Hauptproduktionsmittel nicht Privateigentum waren. Zum „sozialistischen Sektor“ gehört das Gruppeneigentum aber erst durch das Vorhandensein der Diktatur des Proletariats als Staatsmacht. Der Unterschied liegt auf der Hand.

Es ist augenscheinlich, dass die sowjetischen Kollektivwirtschaften die weitest mögliche Form der Kollektivierung waren. Der nächste Schritt wäre gewesen, aus den Kollektivwirtschaften sozialistische landwirtschaftliche Betriebe zu machen, in denen die ehemaligen Kollektivbäuer:innen als Werktätige ihren Dienst verrichtet hätten und entsprechend ihrer Leistung entlohnt worden wären. Das wäre der richtige sozialistische Weg gewesen, wäre die SU nicht von den Chruschstschow-Revisionisten übernommen worden.

Davon waren die LPGs der DDR noch sehr weit entfernt. Soweit, dass wir der Meinung sind, dass es falsch war, sie zum sozialistischen Sektor zu zählen. Es scheint so, dass diese Tatsache dem „Theoretiker“ Oelßner auch bekannt war. Aber seine Aufgabe war es, dies zu verdecken.

Definition Oelßners des kapitalistischen Sektors in der DDR

C) Endlich gibt es das kapitalistische Eigentum, das auf sechs Gebieten besteht:

1. kapitalistische Industriebetriebe,

2. große Handwerksbetriebe kapitalistischen Charakters,

3. Großbauern-Wirtschaften,

4. kapitalistische Unternehmen im Groß- und Kleinhandel,

5. kapitalistische Verkehrsunternehmen (im Wasserstraßen- und Kraftverkehr),

6. kapitalistische Genossenschaften.

Diese sechs Gruppen bilden den kapitalistischen Sektor. Ihr Anteil an der gesamten Wirtschaft ist noch immer recht beträchtlich. Im Jahre 1954 betrug der Anteil der privatkapitalistischen Betriebe an der industriellen Bruttoproduktion der Republik 15Prozent. Sie erhöhte in diesem Jahre ihre Erzeugunggegenüber 1953 um 18Prozent.

Die großbäuerlichen Wirtschaften liefern noch etwa 20Prozent der Warenproduktion bei der Pflichtablieferung. Im Großhandel sind noch mehr als 8000 private Betriebe vorhanden.“1

Ganz schön viel Kapitalismus, möchte man meinen. Die Kapitalisten – ohne die Kleinbourgeoisie, die klassenmäßig auch zur Kapitalistenklasse gehört! – sind mit 18Prozent an der Industrieproduktion beteiligt. Sie haben ihren Anteil um drei Prozent erhöht. Hier ist von einem Zurückdrängen des kapitalistischen Sektors überhaupt nichts zu spüren. In der Landwirtschaft sieht es nicht besser aus.

Allein die großen kapitalistischen Bauernwirtschaften sind mit 20 Prozent Pflichtablieferung bei der Produktion dabei. Wir müssen uns ihren Anteil an der landwirtschaftlichen Produktion größer vorstellen, weil diese Großagrarier einen Teil ihrer Produkte frei verkaufen konnten. Wir haben festgestellt, dass die LPGs eher Kooperationen als Genossenschaften waren und keinesfalls für den Sozialismus gewonnen waren.

Durch die Aussicht auf Vorteile, Subventionen vom volksdemokratischen Staat und höhere Gewinne wurden „manche“ Bauernwirtschaften in die LPGs eingegliedert. Aber ist das schon Sozialismus? Solange dieses private Eigentumsformen sind, solange den Produkten dieser Genossenschaften Warencharakter anhaftet, solange der Warentausch, also Warenverkauf, in dieser Ökonomie vorherrscht können wir diese „Kollektiv“-Wirtschaften nicht zum sozialistischen Sektor zählen.

Die Aufteilung des Mehrprodukts erfolgt kapitalistisch, nach der Größe des Eigentums und nicht sozialistisch nach der Arbeitsleistung.

Der Geist des Kapitalismus, der Geist des Privateigentums wirkt bei den Menschen weiter. Nichts sitzt tiefer als die Jahrtausende alte Warenproduktion und der Handel.

Beim Übergang zum Sozialismus geht es nicht nur darum, die richtigen sozialistischen Wirtschaftsformen zu finden und sie zu etablieren. Es geht auch nicht darum vor allem die Produktion zu erhöhen, wie und woher sie auch kommen mag. Es geht zugleich darum, die Menschen von den alten Ansichten und Gewohnheiten zu befreien, eine neue Haltung zum Eigentum, zur Produktion und zur Arbeit zu schaffen.

An dieser Stelle ist es auch angebracht zu erwähnen, dass die Chruschtschow-Revisionisten der KPdSU das sozialistische Rad der Sowjetunion zuerst hier auf dem Land zurückgedreht haben. Überwältigt von der hochproduktiven kapitalistischen Einzelfarmwirtschaft der USA und mit der neuen Koexistenz-Politik mit dem Imperialismus war eine der ersten Maßnahmen Chruschtschows, die Kollektivwirtschaften genau in diese kapitalistische Richtung zu entwickeln.

Die Kollektivwirtschaften durften wieder Maschinen und Traktoren der Maschinen- und Traktorenstationen (MTS) kaufen. Volkseigentum wurde zum Gruppeneigentum. Dabei waren die MTS einst der Grundpfeiler des sozialistischen Aufbaus auf dem Lande. Das private Unternehmertum wurde gefördert und die MTS zerschlagen. Die Revision des Sozialismus auf dem Lande nahm Fahrt auf.

In unserem letzten Artikel zur Ökonomie der DDR „Ökonomie SBZ und DDR 1945 – 1949“ 2 haben wir folgende Zahlen genannt:

Der volksdemokratische Sektor in der Industrie machte ca. 50 Prozent der Produktion aus. Wie konnte die SED ihre Wirtschaft so schnell in eine sozialistische umwandeln? Durch Etikettenschwindel. Zum einen wandelte sie die volksdemokratische Wirtschaft quasi über Nacht in die sozialistische um. Zum anderen zählte sie die Kooperations-Genossenschaften einfach zum sozialistischen Sektor und erhielt so die 85 Prozent.

Um das Bild der Ökonomie der DDR zu vervollständigen beziehen wir uns weiter auf Oelßner. Im folgenden Zitat können wir noch einmal die Bandbreite „kapitalistischer Genossenschaften“ sehen, die Oelßner als Punkt 6 des kapitalistischen Sektors in der DDR aufführt:

Noch heute hat dieser großkapitalistische Verband (Edeka-Verband deutscher kaufmännischer Genossenschaften e.V. Einkaufsgenossenschaft deutscher Kolonialwarenhändler, Anm. TA) in unserer Republik 126 örtliche Einkaufsgenossenschaften, die Großhandelsgeschäfte tätigen. In Dresden gibt es die Genossenschaft Falkenbrauerei, die 200 Lohnarbeiter beschäftigt.“3

Oelßner führt weitere kapitalistische Genossenschaften im Bereich Weinkellerei, Messerschmiede, Konservenfabrik etc. an. „Die Liste ließe sich noch beträchtlich fortführen, denn neben den größeren kapitalistischen Genossenschaften gibt es eine Vielzahl kleinerer Genossenschaften, wie z.B. 1800 Einkaufs- und Liefergenossenschaften des Handwerks, 1000 alle sonstigen land- und forstwirtschaftlichen Genossenschaften (weder LPG noch BHG) 200 Siedlungs- und Baugenossenschaften und viele andere. (…) Neben diesen drei verschiedenen Eigentumsformen an den Produktionsmitteln gibt es in der DDR noch einen sehr umfangreichen privaten Besitz an Mietshäusern, auf den durch Mietseinnahmen jährlich rund 800 Millionen DM des Volkseinkommens entfallen.“4

Oelßner führt weiterhin als „persönliches Eigentum“ zum Beispiel auch Wohnungen und Wohnhäuser und das Eigentum der Bauern an Grund und Boden an, die nicht zum kapitalistischen Sektor gehören.

Was könnte und sollte gemacht werden?

Diese Fakten und Zahlen, die wir der Schrift von Oelßner entnommen haben, beweisen, dass 1956 noch ein beträchtlicher Anteil an privatem Eigentum an Grund und Boden, Häusern, Wohnungen und Firmen und Fabriken existierte. Das Privateigentum ist die Lebensgrundlage von Millionen DDR-Bürger:innen. Die Frage ist, wie wollte die SED die Wirtschaft so umbauen, dass diese Menschen nicht mehr vom Profit, Handelsprofit, von der Grundrente auf dem Land und Mieteinnahmen in der Stadt leben?

Die zentrale Aufgabe, die hier zu lösen gewesen wäre, war erst einmal dem Proletariat den Ist-Zustand zu erklären ohne eine Beschönigung der Verhältnisse. D.h. offen zu sagen, wir haben zwar eine demokratische Volksmacht, sind aber noch vom „Beginn des Aufbaus des Sozialismus“ meilenweit entfernt. Um zum Beginn des Sozialismus überzugehen, müssen wir als wichtigsten Schritt die Teile der Bourgeoisie, mit denen wir in der DDR die politische Macht teilen, von der Macht verdrängen.

Das geht nicht von heute auf Morgen, und das geht nicht ohne den verschärften Klassenkampf gegen die Bourgeoisie.

Auf ökonomischem Gebiet müssen wir die Grundlagen der kapitalistischen Wirtschaft angreifen und im verschärften Klassenkampf das Privateigentum an Produktionsmitteln, zugunsten des Staats- und Kommunaleigentums immer mehr zurückdrängen und letztendlich aufheben. Dabei werden wir natürlich auf große Widerstände stoßen. Wir müssen uns da keine Illusionen machen. Erst wenn wir auf der politischen Ebene die Diktatur des Proletariats errichtet haben können wir bei dem Sektor Gemeineigentum der Ökonomie vom sozialistischen Sektor reden.

Diesen Sektor müssen wir dann weiter so ausbauen, bis jedwede Form des Privateigentums an Produktionsmitteln, und damit die Kapitalistenklasse als Klasse liquidiert wird.

Die volksdemokratische Herrschaft, in der die Arbeiter:innenklasse der DDR die führende Rolle innehat, und die Tatsache, dass große Teile der Großbourgeoisie und Großgrundbesitzer durch die SMAD im Zuge der Zerschlagung des Hitlerfaschismus enteignet, und ihr Eigentum in Gemeineigentum in verschiedenen Formen umgewandelt wurde, gibt uns die große Möglichkeit die DDR mittel- und langfristig in Richtung Sozialismus zu entwickeln.

Nur auf der Grundlage eines solchen Bewusstseins wäre es möglich gewesen, dass das Proletariat in der DDR seine historische Mission erfüllen, den Aufbau des Sozialismus anpacken und weiterführen gekonnt hätte.

Erste „Kursänderung“

Zweite Parteikonferenz 1952 und Aufbau des Sozialismus in der DDR

Den politisch-ideologischen Kern der 2. Parteikonferenz der SED fasst Johannes R. Becher, SED-Mitglied und Schriftsteller treffend zusammen: „Mit den Worten unseres Genossen Walter Ulbricht, daß der Aufbau des Sozialismus zur grundlegenden Aufgabe geworden ist, wurde ein neuer Abschnitt in der Geschichte der Partei und eine neue Periode der Geschichte Deutschlands eingeleitet.“1

Der Aufbau des Sozialismus sollte also ohne die Macht der Diktatur des Proletariats, aber mit diesem vorhandenen Staatsapparat gemeistert werden. Am Ende der 2. Parteikonferenz wird im Protokoll unter der Rubrik „Begrüßungsschreiben, Telegramme und Selbstverpflichtungen“ berichtet: „Vor, während und nach der II.Parteikonferenz gingen dieser aus allen Kreisen der werktätigen Bevölkerung der Deutschen Demokratischen Republik mehrere Tausend Begrüßungsschreiben, Telegramme, Geschenke und wertvolle Selbstverpflichtungen zu.

Sie bringen das tiefe Vertrauen der Arbeiter, Werktätigen Bauern, Techniker und Geistesschaffenden zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands zum Ausdruck. Zugleich dokumentieren diese großartigen Vertrauensbeweise, dass die Millionenmassen des deutschen Volkes in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands die mutige und entschlossene Führerin im Kampf um Frieden, Einheit, Demokratie und Sozialismus anerkennen. In der konsequenten Verwirklichung des historischen Beschlusses der II.Parteikonferenz wird sich die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands dieses tiefen Vertrauens würdig erweisen.“2

Da müssen wir uns allerdings doch fragen, wie es sein kann, dass ein Jahr später, im Juni 1953 ein beträchtlicher Teil der Arbeiter:innenklasse in der DDR einen Aufstand gegen die SED-Herrschaft geführt haben. Was ist beim Aufbau des Sozialismus nach der Ankündigung auf der 2. Parteikonferenz 1952 falsch gelaufen?

Der entscheidende Fehler der SED war es, vorzugeben den Sozialismus ohne die Diktatur des Proletariats aber mit dem volksdemokratischen Staat aufzubauen!

Walter Ulbricht, Generalsekretär der SED bekräftigt in seinem Schlusswort auf der Parteikonferenz: „Die Vorschläge des Zentralkomitees unserer Partei zur Stärkung der Staatsmacht der Deutschen Demokratischen Republik und zum Aufbau des Sozialismus haben nicht nur die volle Zustimmung der Delegierten der 2.Parteikonferenz, sondern auch die begeisterte Zustimmung der Arbeiterklasse, der werktätigen Bevölkerung, aller fortschrittlichen, aller patriotischen Menschen der Deutschen Demokratischen Republik und breiter Massen Westdeutschlands gefunden.“3

Parteivorsitzender Otto Grotewohl bläst in seinem Redebeitrag in dasselbe Horn: „Die entscheidende Voraussetzung, Genossen, für ein erfolgreiches Voranschreiten auf dem Weg zum Sozialismus ist aber für uns die Freundschaft zur Sowjetunion. Für alle im Aufbau des Sozialismus begriffenen Länder ist sie eine Lebensnotwendigkeit. (…)

Eine mächtige Waffe im Kampf gegen alle Versuche der Restauration des Kapitalismus und zur Umwandlung unserer Wirtschaft in eine sozialistische Wirtschaft aber bildet unser Staatsapparat. Der tiefe Prozess der Festigung der Staatsmacht und seine weitere Demokratisierung drückt sich in den auf der 2.Parteikonferenz beschlossenen Veränderungen unseres Staatsapparates aus.

Den Schutz unserer volksdemokratischen Ordnung aber wird eine starke Volksarmee übernehmen, deren Kommandostab sich in der Mehrzahl aus Arbeitern und Bauern zusammensetzen wird.“ (Hervh. TA) 4

Die Frage des Aufbaus des Sozialismus in der DDR ist eine zentrale Frage in der Geschichte der DDR und SED. Diese Frage war bis zu dieser Konferenz nur unter einer Handvoll SED Kader:innen debattiert worden. Im Politbüro und im ZK. Bei unseren Untersuchungen sind wir weder auf Dokumente noch Hinweise über eine breite Diskussion in der SED und der Arbeiter:innenklasse gestoßen.

Dass so eine wichtige Frage nur unter einigen führenden Funktionären der SED verhandelt wird und nicht in der Partei, geschweige denn zur Mobilisierung der Arbeiter:innenklasse genutzt wird, gibt Hinweise auf das bürokratische Verständnis der SED. Die SED beschließt, die Arbeiter:innen haben zu parieren.

Dieses Regierungs- und Parteiverständnis zieht sich von Anfang bis Ende durch die DDR-Geschichte.

An verschiedenen Stellen sind wir auf Berichte gestoßen, die belegen, dass die SED eben nicht in der Arbeiter:innenklasse verankert war, dass sie sich in verschiedenen Fabriken nicht blicken ließ, dass die Parteimitglieder nicht geschult waren.

Das zentrale Mittel beim Aufbau des Sozialismus sieht die SED im Aufbau des DDR-Staates ergänzt durch die Gründung der Nationalen Volksarmee. Obwohl Ulbricht an verschiedenen Stellen Lenin zitiert und auch den „verschärften Klassenkampf im Sozialismus“ erwähnt, wird der Aufbau des Sozialismus als eine Frage der Ausbesserung und Stärkung des volksdemokratischen Systems mittels des zu perfektionierenden Staatsapparates gesehen.

Ulbricht führt in seinem über 100 Seiten langen Bericht „Die gegenwärtige Lage und die neuen Aufgaben der SED“ an die Konferenz aus: „Zweifellos haben wir im staatlichen Aufbau und in der Arbeit des Staatsapparates in der Zeit seit dem III.Parteitag (1950, Anm. TA) Fortschritte erzielt. Die politische Aktivität und die Mitarbeit der Bevölkerung bei der Lösung der staatlichen Aufgaben ist größer geworden, die Staatsmacht der DDR wurde gefestigt.

Es erfolgt eine breitere Heranziehung parteiloser Arbeiter, Bauern und Angehöriger der Intelligenz zur Arbeit der staatlichen Organe, zur Mitarbeit in den Ausschüssen der Kreise, Städte und Gemeinden. Die Arbeit der Kreistage und Gemeindeverwaltungen verbessert sich. Aktivisten und befähigte parteilose Werktätige, Arbeiter, Bauern und Geistesschaffende wurden zur Arbeit in leitenden staatlichen Funktionen herangezogen. Der Kampf gegen den Bürokratismus und gegen das geringschätzige Verhalten zu den Nöten und Beschwerden der Bevölkerung wurde verschärft.“ 5

Hier wird der Marxismus-Leninismus auf den Kopf gestellt. Die Lehre vom absterbenden Staat im Sozialismus und Kommunismus, von Marx-Engels begründet, wird in ihr Gegenteil verkehrt. Die SED setzt sich das Ziel den Sozialismus durch die Vervollkommnung des volksdemokratischen Staatsapparates zu verwirklichen.

Dabei setzt der Sozialismus die Auflösung des volksdemokratischen Staatsapparates durch einen proletarischen Staatsapparat der Diktatur des Proletariats voraus. Diese Diktatur des Proletariates ist selbst auch nur ein Provisorium auf dem Weg zum völligen Absterben des Staates.

Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse und Diktatur des Proletariats

Was ist die Diktatur des Proletariats? Dazu haben wir in der TA 81 1 ausführlich unsere Positionen dargelegt. Die Diktatur des Proletariats ist die Alleinherrschaft der Arbeiter:innen­klasse angeleitet von der Kommunistischen Partei. Die Staatsform ist die Räterepublik wie sie das Proletariat in der Sowjetunion 1917 aus der Taufe gehoben hat.

Das Rätesystem ermöglicht eine direkte Führung der Staatsaufgaben durch das Proletariat. Es ist beschließendes und ausführendes Organ in einem. Es ermöglicht die direkte weitestgehende Demokratie durch das Proletariat und die maximale Ausgrenzung und Unterdrückung der gestürzten Bourgeoisie.

Wir fragen uns ernsthaft, wie die SED zum Aufbau des Sozialismus übergehen wollte, ohne das Proletariat dafür gewonnen zu haben.

Propagandaplakat in Farbe für den III. Parteitag der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands September 1953. Das Motto des Parteitages schmückt das Plakat: Für Frieden, Einheit, Aufbau – für den Wohlstand in unseren Dörfern. Keinerlei revolutionäre Forderung, sondern Friede, Freude, Eierkuchen. Nichts zur Rolle der Bäuer:innen zum Aufbau des Sozialismus!

Ulbricht behauptet auf der 2. Parteikonferenz: „Die demokratische und wirtschaftliche Entwicklung sowie das Bewusstsein der Arbeiterklasse und der Mehrheit der Werktätigen sind jedoch so weit entwickelt, dass der Aufbau des Sozialismus zur grundlegenden Aufgabe geworden ist.“2 (Hervh. TA)

Hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung ist zwischen 1949 und 1952 kein wesentlicher Unterschied ersichtlich, der einen solchen Kurswechsel begründen könnte.

Was das Bewusstsein der Arbeiter:innenklasse und der Mehrheit der Werktätigen betrifft, war dieses auch durch das bisherige Wirken der SED ein antifaschistisch-demokratisches Be-wusstsein, mehr ein deutsch-patriotisches (um nicht zu sagen deutsch-nationalistisches!) als ein sozialistisches!

Mit einem Proletariat, das nicht im Geiste des Sozialismus erzogen und gewonnen ist, den Beginn des Aufbaus des Sozialismus zu deklarieren ist einfach an den Tatsachen vorbeizureden.

Fehlanzeige dazu in den Ausführungen der SED. Die SED hat gar nicht die Ab­­sicht die anderen Klassen aus der Macht zu vertreiben, sie braucht sie beim Aufbau der DDR und nicht beim Aufbau des Sozialismus.

Wie wir bereits ausgeführt haben betreibt die SED einen Etikettenschwindel. Da wo Volksdemokratie drin ist, wird ab Juni 1952 einfach Sozialismus darauf geklebt.

Aus dem volksdemokratischen Eigentum wird per Deklaration sozialistisches. Dass mit einer solchen Herangehensweise der Sozialismus nicht aufgebaut werden konnte, ist klar.

Ulbricht führt aus: „Die Schaffung der ökonomischen Grundlagen des Sozialismus erfordert bei uns zunächst die Mehrung des sozialistischen Eigentums, das dem Volke gehört, indem der volkseigene Sektor der Wirtschaft, der sozialistischen Charakter angenommen hat, weiterentwickelt wird. Was die Mittelschicht betrifft, so haben wir entgegen den Behauptungen des Gegners nicht die Absicht, den Weg der Enteignung der kleinen Privatunternehmer zu bestreiten, da wir nicht gewillt sind, dem Staate unnötig die Last des Unterhalts dieser Schichten und die Funktionen, die sie gegenwärtig in der gesellschaftlichen Produktion ausüben, aufzubürden.“3 (Hervh. TA)

Es wird einfach behauptet, dass der „volkseigene Sektor sozialistischen Charakter“ angenommen hat. Wie denn? Hat in dem volksdemokratischen Staat eine Machtveränderung stattgefunden? Wurde die Diktatur des Proletariats errichtet, ohne Wissen des Proletariats? Das hat nichts mit der Realität und dem Marxismus-Leninismus zu tun, das ist klar.

Werbeplakat der Nationalen Front des Demokratischen Deutschlands von 1953: An der Hauswand, die geschmückt wird, ist die Parole angebracht: „Deutsche Patrioten! Kämpft noch entschlossener für Einheit, nationale Unabhängigkeit und Frieden!“ Hauptaussage des Plakates ist der Aufruf: „Macht’s wie wir! Bildet Haus- und Hofgemeinschaften.“ In einem klassisch kleinbürgerlichen Geschlechterverständnis hämmern und Nageln die Männer während die Frauen Hilfsdienste leisten und die Kinder betreuen.

Weiterhin wird ausdrücklich erklärt, dass die volksdemokratische Macht in der DDR, nicht die Absicht hat, die kleinen Privatunternehmer (Fakt ist, es geht nicht nur um kleine sondern mittlere und auch nicht wenige große Privatunternehmer) zu enteignen! Wie wollen bitte Kommunist:innen mit der Arbeiter:innenklasse den Sozialismus aufbauen, wenn das Proletariat nicht aufgeklärt und dafür mobilisiert wird, dass beim Aufbau des Sozialismus das Privateigentum an Produktionsmitteln – ob groß oder klein – letztendlich aufgehoben werden muss. Wenn nicht der Klassenkampf für die Vergesellschaftung verschärft wird etc.?

Der Fehler liegt nicht darin, dass 1952 die kleinen und mittleren Privatunternehmer nicht enteignet worden sind. Die Bedingungen waren dafür noch nicht reif. Der Fehler liegt darin, dass diese Politik der Volksdemokratie als „Aufbau des Sozialismus“ verkauft wird.

Wir werden anhand weiterer Zitate der SED-Funktionäre beweisen, dass die Partei auf längere Sicht überhaupt nicht die Absicht hatte, die noch vorhandenen bürgerlichen Klassen abzuschaffen. Im Gegenteil sie versuchte mit Subventionen, finanziellen Zuschüssen und Privilegien genau diese Schichten im Land zu halten, damit sie nicht nach Westdeutschland auswandern.

Auch die Sowjetunion hat in der Phase der NÖP-Politik bürgerliche Expert:innen und Fachkräfte mit finanziellen Mitteln angelockt und beim Aufbau des Sozialismus eingesetzt. Das ist gar nicht in Abrede zu stellen. Der Unterschied ist, dass in der Sowjetunion die Alleinherrschaft des Proletariats existierte, und das Proletariat und die Kommunistische Partei dabei waren den Sozialismus aufzubauen, während in der DDR, eine volksdemokratische Herrschaft existierte, und die SED faktisch noch dabei war die Volksdemokratie errichten.

Sie hat allerdings den Aufbau der Volksdemokratie als Aufbau des Sozialismus verkauft und damit grundlegende Prinzipien des Marxismus-Leninismusüber Bord geworfen.

Anstatt die Lage schön zu reden und sich Ziele zu stellen, die sie aktuell nicht lösen konnte, hätte die SED – als Führerin der Arbeiter-:innenklasse – den Werktätigen reinen Wein einschenken müssen.

Die Frage, die die SED umschifft, ist die: Wie kommen wir von der Volksdemokratie zum Sozialismus? Der SED fehlte ein klares marxistisch-leninistisches Programm. Welche Zugeständnisse müssen wir jetzt machen, um später den Übergang zum Sozialismus zu schaffen? Welche Spezialist:innen müssen wir vorübergehend finanziell „bestechen“, damit sie bleiben, bis wir proletarische Kader:innen für diese Aufgaben entwickelt haben? Wie können wir eigene Fachkräfte heranziehen? Welche Wirtschaftsbereiche müssen wir vor allem aufbauen und übernehmen, damit wir die Abhängigkeit von der Privatwirtschaft reduzieren und abschaffen?

Die SED hat den Feind immer außerhalb der DDR gesehen, mal war es der US-Imperialismus, mal war es Adenauer-Westdeutschland. Den Feind im Inneren, die „DDR-Kapitalisten“, hat sie verharmlost. Die größeren Schwierigkeiten, die an Zahl in die Millionen gehenden Zwischenschichten, wie die Bäuer:innen, die Handwerker:innen und Selbständigen für den Sozialismus zu gewinnen, hat sie systematisch geleugnet und falsch angepackt.

Was macht die SED? Im Glauben, dass sie den Sozialismus mit den bürgerlichen Klassen und den Zwischenschichten aufbauen kann, wähnt sich die SED mit ihrem Programm in Sicherheit. Das ist nicht der Beginn des Aufbaus des Sozialismus in der DDR sondern der Beginn vom Ende des Projekts Sozialismus.

Wichtige Fehler auf dem Gebiet der Ökonomie: Lohnpolitik und Gleichmacherei

Ulbricht macht folgende Angaben und rechtfertigt die Maßnahmen von Politbüro und Regierung: „Im Jahre 1951 ist die Industrieproduktion im Vergleich zum Jahre 1950 um 22,2Prozent gewachsen. (…) Die Arbeitsproduktivität in der volkseigenen und ihr gleichgestellten Industrie ist 1951 im Vergleich zu 1950 um 12Prozent gestiegen.“1

Unter der Losung „Kampf der Gleichmacherei“ werden der Oberschicht der Arbeiter:­innenklasse höhere Löhne zugeschanzt und damit wird die Schere zu den „an- und ungelernten“ Arbeiter:innen weiter geöffnet. „Um die erforderlichen Bedingungen für die Erhöhung der Qualifikation der Arbeiter, Meister, der wissenschaftlichen und technischen Intelligenz zu schaffen, wurde am 28. Juni dieses Jahres auf Initiative des Politbüros von der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik der Beschluß über die Erhöhung der Löhne für qualifizierte Arbeiter, Meister und die wissenschaftlich-technische Intelligenz gefasst.

Ein solcher Beschluß war infolge der in der Deutschen Demokratischen Republik bestehenden Gleichmacherei in der Bezahlung von leichter und schwerer Arbeit, von qualifizierter und unqualifizierter Arbeit notwendig. (…) Die Lohntarife für qualifizierte Arbeiter lagen nur wenig über den Lohntarifen der unqualifizierten Arbeiter, während die Entlohnung der Ingenieure ebenfalls nur um weniges höher war als die Entlohnung der qualifizierten Arbeiter.“2 (Hervh. TA)

Ulbricht begründet diese Maßnahme mit dem Grundsatz des Sozialismus: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung“. Dieser bereits von Marx/Engels aufgestellte Grundsatz ist richtig. Auch im Sozialismus wird es weiter noch gewisse Lohnunterschiede geben. Allerdings muss eine sozialistische Lohnpolitik darauf ausgerichtet sein, die Lohnunterschiede möglichst gering zu halten, und im Laufe der Zeit die Lohnschere immer mehr zu schließen.

Dazu ist es notwendig die Qualifikation der Arbeiter:­innen voranzutreiben. Bei der Lohnpolitik vor allem gegen die Gleichmacherei zu kämpfen bringt mit sich, dass das wesentliche Ziel in der Lohnpolitik, die Lohnunterschiede immer weiter zu verringern, für die SED in der Versenkung verschwindet.

Wie wir in dem Lehrbuch der Politischen Ökonomie studieren können wurde auch in der Sowjetunion im Kampf gegen die Gleichmacherei die Lohnschere erheblich auseinandergerissen. Mit negativen Folgen für den Sozialismus!

Ulbricht führt auf der 2. Konferenz weiter aus: Manche sind der Meinung, dass die Erhöhung der Löhne für qualifizierte Arbeiter, Ingenieure und Wissenschaftler eine Verletzung der Prinzipien des Sozialismus sei. Nach Auffassung dieser Genossen muss im Sozialismus eine völlige Gleichheit aller Menschen in materieller Beziehung herrschen. (Wir kennen aus den Dokumenten der SED zu dieser Zeit keine solche Position!)

Dieser Standpunkt ist grundsätzlich falsch. Die Gleichheit der Menschen im Sozialismus darf nicht als ein gleiches materielles Niveau ihres Lebens aufgefasst werden. Im Sozialismus herrscht der Grundsatz: ‚Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung.‘ (…) Der Unterschied in der Bezahlung der Arbeit veranlasst die Mitglieder der sozialistischen Gesellschaft, ihre Qualifikation zu steigern und ihr Wissen zu erweitern und trägt somit zum Aufschwung des allgemeinen kulturellen Niveaus der Gesellschaft und zur fortschrittlichen Entwicklung der Produktion im Interesse aller Werktätigen bei.

Durch die Erhöhung der Löhne für qualifizierte Arbeiter, Ingenieure und Wissenschaftler haben wir die Gleichmacherei begraben und Voraussetzungen für die Blüte von Wissenschaft und Technik geschaffen, was den weiteren Aufschwung unserer Volkswirtschaft und die Hebung des Wohlstands der Werktätigen sichern wird.“ (Hervh. TA) 3

Wir sind im Vorteil gewisse Entwicklungen besser analysieren und bewerten zu können, weil wir zurückblicken können. Wir kennen die Entwicklungen seit 1952 und schauen darauf, um Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Alle Ziele, die sich die SED mit der Ausdifferenzierung der Löhne erhofft hatte, sind nicht erfüllt worden.

Die vorausgesagte „Blüte der Wissenschaft und Technik“, der „Aufschwung der Volkswirtschaft“, die Vorstellung die „DDR zum Anziehungspunkt aller Wissenschaftler und Ingenieure Gesamtdeutschlands“ (Ulbricht) zu machen, haben sich nicht verwirklicht. Im Gegenteil, die Auswanderung Richtung Westen hielt weiter an, bis 1961 die Mauer gebaut wurde.

Aber der Hauptfehler liegt in dem Gedanken, dass „der Unterschied in der Bezahlung der Arbeit die Mitglieder der sozialistischen (!!!) Gesellschaft veranlassen wird ihre Qualifikation zu erhöhen!“. Das heißt, nicht das sozialistische Bewusstsein der Arbeiter:innen, sondern der materielle Anreiz ist die vorwärtstreibende Kraft. Eine Gesellschaft in der die Haupttriebfeder der arbeitenden Menschen der Unterschied in der Bezahlung der Arbeit ist, verdient nicht den Namen „sozialistische Gesellschaft“.

Natürlich kann auch in einer sozialistischen Gesellschaft mit materiellen Anreizen gearbeitet werden, aber immer im Wissen dessen, dass dies nicht eine Stärke, sondern eine Schwäche ist!

Wir müssen gestehen, dass das Vorbild, die große Sowjetunion, in der Lohnpolitik den selben Weg gegangen ist. Wo liegt in der Lohnpolitik aus Sicht des Marxismus-Leninismus der Fehler? Der Fehler liegt darin, dass der Grundsatz des Sozialismus: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung“ nicht der einzige Grundsatz ist, der in der sozialistischen Phase Anwendung finden muss.

Dieser Grundsatz kann nur funktionieren, wenn gleichzeitig die Lebensbedingungen der Masse der Werktätigen sich tatsächlich verbessern. Wenn einseitig die „Oberschicht“ der Arbeiter:innenklasse begünstigt wird und die Masse der Arbeiter:innen leer ausgeht, dann stimmt hier was nicht.

Dass der Grundsatz einseitig zum Prinzip erhoben wird, ist ein Fehler und eine Fehlinterpretation. Die Verbesserung der allgemeinen Arbeits- und Lebensbedingungen aller Werktätigen, der Arbeiter:innen und anderer von ihrer Arbeit lebenden werktätigen Menschen ist vorrangiges Prinzip des Sozialismus.

Nun behaupten die SED-Oberen, dass der Leistungslohn der Schlüssel für die Motivation der Arbeiter:innen sei. Das stimmt nur bedingt.

Zum einen können sich die Arbeiter:innen mit dem größeren Lohnanteil nur Produkte kaufen, die es auch zu kaufen gibt. Wenn der sozialistische Staat nicht schafft, der Arbeiter:innenklasse auch eine steigende Produktmenge für den Konsum anzubieten, dann wird der Lohnanteil nicht ausgegeben, sondern erhöht lediglich das Sparbuch. Das war das Resultat nach 40 Jahren DDR.

Die Arbeiter:innen hatten ein dickes DDR-Sparbuch, konnten sich aber davon nicht viel kaufen. Die Kaufkraft von der gesamten Klasse muss sich stetig erhöhen. Das Ziel des Kommunismus: „Jede und Jeder nach ihren/seinen Bedürfnissen“ muss als Ziel nie aus den Augen verloren werden, muss als Richtschnur des Handelns dienen. So wie zwischen den zwei Phasen des Kommunismus keine chinesische Mauer existiert, sondern die eine Phase der ununterbrochenen Revolution dialektisch in die andere einmünden muss.

Das von den Werktätigen erwirtschaftete Arbeitsprodukt wird in ein gesellschaftliches und ein individuelles-privates Produkt aufgeteilt.

Das individuelle-private Produkt erhalten die Arbeiter:innen als Lohn für die eigene Konsumtion, der gesellschaftliche Teil wird für den Aufbau der sozialen, kulturellen und Versorgungs-Strukturen des Staates ausgegeben. Die Reinvestition in die Produktion gehört dazu. Diese Ausgaben des Arbeitsprodukts kommen allen Werktätigen zugute und erhöhen ihren Lebensstandard.

Die individuellen privaten Verbesserungen müssen vor allem ein Produkt der Verbesserungen der Arbeits- und Lebensbedingung der Gesellschaft und des Kollektivs sein. Geht es der Gesamtgesellschaft besser, geht es auch dem individuellen Mitglied dieser Gesellschaft besser. Das ist das sozialistische Prinzip.

Das kapitalistische Prinzip besagt, durch das individuelle Unternehmertum des Einzelnen gewinnt die gesamte Gesellschaft.

Zum zweiten ist das Verhältnis des Gesamtprodukts, aufgeteilt in Lohnanteil und Gesellschaftsanteil sehr wichtig. Wird zu viel entnommen und als Lohnanteil verteilt, bleibt für die gesellschaftlichen Aufgaben zu wenig. Was hat hier Vorrang? Wir meinen ganz klar, dass zuerst die gesellschaftlichen Aufgaben abzudecken sind, dann der private Lohnanteil abgezogen werden darf.

Jede Gesellschaft und jeder sozialistische Staat wird anhand seiner eigenen Entwicklung das Verhältnis ausloten. Aber eins ist klar, dass die gesellschaftlichen Aufgaben Vorrang haben, weil diese die Arbeits- und Lebensbedingung aller Werktätige tangieren.

In dieses Fragengebilde strahlt noch eine andere Frage mit hinein, die auch in der Sowjetunion stark diskutiert wurde. Wie ist das Verhältnis zwischen Investitionen in Schwerindustrie und in die Konsumgüterindustrie. Stalin vertrat die Position, dass die Schwerindustrie immer Vorrang vor der Konsumgüterindustrie hat.

Das war den Revisionisten in der KPdSU ein Dorn im Auge. Das war einer der Grundsätze des sozialistischen Aufbaus, den sie zuallererst angegriffen haben! In dieser Frage schwankte auch die SED hin und her. Letztlich konnte sie die Mangelwirtschaft nicht überwinden. Das ist eine Frage, die nicht nur im Zusammenhang der Betrachtung der DDR eine Rolle spielt, sondern eine Lebensfrage des Sozialismus ist.

Drittens und schließlich davon abhängig kann die Lohnsumme nach Leistung verteilt werden. Aber auch hier gilt, die Lohnschere darf nicht überstrapaziert werden. Lohngruppen die in die Dutzende gehen und ein sehr raffiniert ausgetüfteltes System der Entlohnung und Belohnung darf es im Sozialismus nicht geben.

Wir wissen, dass die Pariser Kommune Lohnunterschiede nur bis zum doppelten Lohn zuließ und die Verwaltungsangestellten Arbeiter:innenlöhne erhielten. Die Sowjetunion hat in den 1930‘ern die Lohnunterschiede enorm ausgeweitet. Außerdem konnte sich der Direktor eines Staatsbetriebs und eines Landwirtschafts-Kollektivs über einen nicht geringen „Direktorenfond“ bzw. „Leitungsfond“ verfügen und diese Geldmittel als Zuckerbrot und Peitsche einsetzen.

Der wichtigste Faktor bei der Erhöhung der Arbeitsproduktivität ist der Werktätige selbst. Es kommt dabei nicht darauf an, ob der einzelne seine Arbeit enorm verbessert und steigert, sondern es kommt vor allem darauf an, ob die überwiegende Mehrheit, wenn nicht die gesamte Arbeiterschaft, mit geht oder nicht. Die volkswirtschaftlichen Kennzahlen sehen nach Angaben der SED sehr positiv aus. ca. „20Prozent Wachstum der Industrieproduktion und 12Prozent der Arbeitsproduktivität.“

Die Frage wäre, ob die SED für die Mehrzahl der Arbeiter:innenklasse und das waren immer noch die ungelernten und angelernten Arbeiter:innen auch eine Verbesserung der Lebenssituation vorgesehen hat oder nicht. Wir haben dazu keine Angaben gefunden. Stattdessen beschließt die SED ein halbes Jahr später eine Arbeitsnormerhöhung von 10 Prozent.

Wir haben bereits weiter oben aus dem Mund der SED-Funktionäre gehört, dass sie keineswegs die Absicht haben, den Mittelstand zu enteignen. Eine erste Voraussetzung beim Aufbau des Sozialismus auf dem Gebiet der Ökonomie wäre es gewesen, das Privateigentum an den Produktionsmitteln abzuschaffen. Das als Ziel und Programm aufzustellen und für die Zielerreichung Maßnahmen und einen Zeitplan zu entwickeln.

Wir sehen jedoch bei der Politik der SED viele politische und ökonomische Maßnahmen über die Jahre hinweg, aber keine setzt sich zum Ziel, das Privateigentum an den Produktionsmitteln gänzlich abzuschaffen.

In der Industrie geht die Entwicklungstendenz hin zu autonom, für sich selbst wirtschaftenden, mit anderen Betrieben konkurrierenden Betrieben. So heißt es im Bericht Ulbrichts auf der II. Parteikonferenz zur „Finanzierung der volkseigenen Wirtschaft“:

1. In den entscheidenden Wirtschaftszweigen müssen die Fabrikabgabepreise auf den Stand der in den Plänen festgelegten Selbstkosten gebracht werden. In diesen wichtigen Wirtschaftszweigen muß das System der Subventionierungen aus dem Staatshaushalt liquidiert werden.

Dadurch werden die betreffenden Betriebe die Kosten ihrer Produktion aus eigenen Einnahmen finanzieren, und der erfolgreiche Kampf um die Senkung der Selbstkosten wird bei ihnen als Gewinn in Erscheinung treten. Bisher haben Betriebe, die stark subventionierte Rohstoffe und Halbfabrikate verarbeiten, auf Grund dieser Tatsache hohe Gewinne ausgewiesen.

Dadurch waren sie ungenügend daran interessiert, den Kampf um eine echte Senkung der Selbstkosten zu führen. Nach Einstellung der Subventionen werden sie den Kampf um die Senkung der Selbstkosten verstärken und die Rohstoffe und Halbfabrikate sparsamer und zweckentsprechender verwenden. Diese Maßnahme ist notwendig, um allseitig den Kampf um die Senkung der Selbstkosten und die sparsame Verwendung des Materials zu verstärken.“ 4 Das hat mit Sozialismus nichts zu tun. (Hervorh. TA)

Kursänderung“: Die Zweite 1953

Die SED hat in der 2. Parteikonferenz 1952, wie wir oben gezeigt haben, den Beginn des Aufbaus des Sozialismus in der DDR deklariert. Aufbau des Sozialismus ohne Diktatur Proletariats. Ohne Wissen und Diskussion in der Arbeiter:innenklasse. In einem Land dessen Bevölkerung im Zweiten Weltkrieg mehrheitlich hinter dem Nazi-Faschismus-Regime stand. Ein Sozialismus auf einem deutsch-nationalen Programm! Ein Sozialismus in dem das Privateigentum an Produktionsmitteln nur bei den mit den Nazis kooperierenden Groß-Kapitalisten angetastet wurde. etc. Das war, wenn überhaupt, höchstens eine Deklaration des Wunsches nach dem Sozialismus.

Aber es wurden um den temporeichen Aufbau des Sozialismus anzugehen tatsächlich auch einige Maßnahmen ergriffen, wie z.B. verstärkte Bildung der Genossenschaften auf dem Land, und ein striktes „Sparsamkeitsregime“ wurde angekündigt. Am 9. April 1953 wurde die Kartenversorgung, die jeder Bürger:in eine bestimmte Menge des täglichen Bedarfs an Konsumgütern, vor allem Lebensmitteln, zu subventionierten Preisen garantiert, für etwa 50 000 Berliner Grenzgänger (das sind Personen die im Osten wohnten, in den Westsektoren arbeiteten) abgeschafft. Auch die Kartenversorgung für „alle kapitalistischen Elemente“ wurde DDR weit aufgehoben. Am 14. Mai 1953 wurde von der SED eine Erhöhung der Arbeitsnormen für Leistungslöhne um durchschnittlich 10 Prozent bis zum 30. Juni angekündigt. 1

Diese Maßnahmen schürten, im Zusammenhang mit der unheimlich massiven, antikommunistischen Propagandamaschinerie der BRD und der westlichen imperialistischen Mächte eine große Unzufriedenheit in der Bevölkerung. Gleichzeitig verstärkte sich eine große Republikfluchtwelle aus der DDR nach Westdeutschland. Wegen der angekündigten, teilweise bereits umgesetzten Normänderungen, fing es an in den Betrieben zu rumoren.

So schwenkte die SED erneut um und beschloss eine neuerliche Kursänderung nach nur elf Monaten der vorangegangenen Kursänderung. Diese wurde mit folgendem Kommuniqué des Politbüros vom 9. Juni 1953 kundgetan. 2

Kommuniqué des Politbüros 9. Juni 1953

Das Politbüro des ZK der SED ging davon aus, daß seitens der SED und Regierung der Deutschen Demokratischen Republik in der Vergangenheit eine Reihe von Fehlern begangen wurden, die ihren Ausdruck in Verordnungen und Anordnungen gefunden haben, wie zum Beispiel der Verordnung über die Neuregelung der Lebensmittelkartenversorgung, über die Übernahme devastierter (verwüsteter) landwirtschaftlicher Betriebe, in außerordentlichen Maßnahmen der Erfassung, in verschärften Methoden der Steuerhebung usw.

Die Interessen solcher Bevölkerungssteile wie der Einzelbauern, der Einzelhändler, der Handwerker, der Intelligenz wurden vernachlässigt. Bei der Durchführung der erwähnten Verordnungen und Anordnungen sind außerdem ernste Fehler in den Bezirken, Kreisen und Orten begangen worden. Eine Folge war, daß zahlreiche Personen die Republik verlassen haben.

Das Politbüro hat bei seinen Beschlüssen das große Ziel der Herstellung der Einheit Deutschlands im Auge, welches von beiden Seiten Maßnahmen erfordert, die die Annäherung der beiden Teile Deutschlands konkret erleichtern.

Aus diesen Gründen hält das Politbüro des ZK der SED für nötig, daß in nächster Zeit im Zusammenhang mit Korrekturen des Planes der Schwerindustrie eine Reihe von Maßnahmen durchgeführt werden, die die begangenen Fehler korrigieren und die Lebenshaltung der Arbeiter, Bauern, der Intelligenz, der Handwerker und der übrigen Schichten des Mittelstandes verbessern.

Auf der Sitzung am 9. Juni hat das Politbüro Maßnahmen auf dem Gebiet des Handels und der Versorgung, auf landwirtschaftlichem Gebiet und auch hinsichtlich der Erleichterung des Verkehrs zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und Westdeutschland festgelegt. Um die Erzeugung von Waren des Massenbedarfs zu vergrößern, die von kleinen und mittleren Privatbetrieben hergestellt werden, und um das Handelsnetz zu erweitern, wird vorgeschlagen, den Handwerkern, Einzel- und Großhändlern, privaten Industrie-, Bau- und Verkehrsbetrieben in ausreichendem Umfange kurzfristig Kredite zu gewähren.

Die Zwangsmaßnahmen zur Beitreibung von Rückständen an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, die bis zum Ende des Jahres 1951 entstanden sind, sollen für Klein-, Mittel- und Großbauern, Handwerker, Einzel- und Großhändler, private Industrie-, Bau- und Verkehrsbetriebe, das heißt in der gesamten privaten Wirtschaft, ausgesetzt werden. (…)

Das Politbüro schlägt ferner vor, daß die Verordnungen über die Übernahme devastierter landwirtschaftlicher Betriebe aufgehoben werden und die Einsetzung von Treuhändern wegen Nichterfüllung der Ablieferungspflichten oder wegen Steuerrückständen untersagt wird. Die Bauern, die im Zusammenhang mit Schwierigkeiten in der Weiterführung ihrer Wirtschaft ihre Höfe verlassen haben und nach Westberlin oder nach Westdeutschland geflüchtet sind (Kleinbauern, Mittelbauern, Großbauern), sollen die Möglichkeit erhalten, auf ihre Bauernhöfe zurückzukehren. Ist das in Ausnahmefällen nicht möglich, so sollen sie vollwertigen Ersatz erhalten. Es soll ihnen mit Krediten und landwirtschaftlichem Inventar geholfen werden, ihre Bauernwirtschaften zu entwickeln. Strafen, die wegen Nichterfüllung von Ablieferungsverpflichtungen oder Steuerverpflichtungen ausgesprochen wurden, sollen überprüft werden.

Dabei wird vorgeschlagen, den Minister für Land- und Forstwirtschaft zu beauftragen, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die Interessen der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften gewahrt bleiben.

Das Gemälde mit dem Untertitel „Monat der Deutsch-Sowjetischen-Freundschaft 1952“ stellt zwei. Parallel verlaufende, fröhlich vorwärts in die Zukunft marschierende Demonstrationszüge dar. Ungewöhnlich viele Frauen, die selbstbewusst vorausgehen sind zu sehen. Eine Frau trägt eine Rote Fahne mit Hammer, Sichel und Stern (Für die Sowjetunion) und eine Arbeiterin eine Deutschlandfahne, schwarz, rot, gold. Im rechten Demonstrationszug wird ein Transparent mit der Aufschrift „Vorwärts zum Aufbau des Sozialismus“ gehalten. Sowie eine weiße Fahne mit ineinander gemalter roter und deutschen Fahne. Nur Frauen haben Kinder auf dem Arm oder an der Hand.

Das Politbüro schlägt weiter vor, daß alle republikflüchtigen Personen, die in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik und den demokratischen Sektor von Berlin zurückkehren, das auf Grund der Verordnung vom 17.Juli 1952 zur Sicherung von Vermögenswerten beschlagnahmte Eigentum zurückerhalten.

Ist in Einzelfällen die Rückgabe nicht möglich, so soll Ersatz geleistet werden. Zurückkehrenden Republikflüchtigen darf aus der Tatsache der Republikflucht keine Benachteiligung entstehen. Sie sollen durch die zuständigen Organe der Räte der Bezirke und Kreise entsprechend ihrer fachlichen Qualifikation wieder in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben eingegliedert werden und ihre vollen Bürgerrechte erhalten. (Deutscher Personalausweis, Lebensmittelkarte usw.) Für die Rückkehrer sind Auskunftsstellen einzurichten, die ihnen in allen Fragen Rat und Auskunft erteilen. (…)

Es wird weiter vorgeschlagen, die im April 1953 durchgeführten Preiserhöhungen für Marmelade, Kunsthonig und andere Süß- und Backwaren mit Wirkung vom 15. Juni 1953 rückgängig zu machen, die Fahrpreisermäßigungen in Höhe von 50Prozent ab 1.Juli 1953 bei Arbeiterrückfahrkarten auf alle berechtigten Personen ohne Rücksicht auf die Höhe ihres Einkommens auszudehnen, die Fahrpreisermäßigungen für Schüler und Lehrlinge und auch bestimmte Schichten der Arbeiter wiederherzustellen und auch die Fahrpreisermäßigungen für Schwerbeschädigte, Kleingärtner usw. sowie die Erstattung von Fahrgeld durch die Sozialversicherung beim Besuch bei Fachärzten wieder einzuführen.“ 1(Hervorh. TA)

Die hier von der SED entwickelte Politik des „Neuen Kurses“ ist vor allem auf die Anhebung des Lebensstandards der Bevölkerung ausgerichtet. Ein Stopp der Abwanderung in den Westen ist eines der Hauptziele. Maßnahmen gegen den Mittelstand, die bisher bereits halbherzig waren, wurden noch weiter zurückgefahren. In den Westen geflüchteten Menschen wird die Rückkehr ohne Bestrafung garantiert sowie die Rückgabe ihrer Vermögen. Maßnahmen gegen kirchliche Einflussnahme in Schulen werden zurückgezogen, Lebensmittelkarten wieder ausgegeben, Fahrpreiserhöhungen zurückgenommen. D.h. im Prinzip nichts anderes, als dass die SED zu dem vor elf Monaten deklarierten Kurs des temporeichen „Aufbaus des Sozialismus“ zurückgeht, ohne das offen zu sagen. Alles geht seinen „sozialistischen Gang“ à la DDR!

Am 11.Juni beschließt die Volkskammer die Durchführung der „Politik des Neuen Kurses“. Maßnahmen sollen eingeleitet werden, die zu einer „weiteren Stärkung der DDR führen und den Kampf um die Einheit Deutschlands, die Verständigung der Deutschen untereinander wesentlich“ fördern werden.

Die Unzufriedenheit in den Betrieben wuchs trotz dieser angekündigten Kursänderung, die allerdings die Zurücknahme der Erhöhung der Arbeitsnormen nicht vorsah, weiter an. Es kam zu kurzfristigen Streiks, Demonstrationen. etc.

Drastische Erhöhung der Arbeitsnormen

Am 16. Juni 1953 wird die „Erklärung des Politbüros zur Normenfrage“ veröffentlicht:

Anläßlich von Anfragen der Arbeiter einer Reihe von Betrieben und Baustellen zur Frage der Erhöhung der Arbeitsnormen hält es das Politbüro des ZK der SED für erforderlich, zu erklären:

1. Der Aufbau eines neuen Lebens und die Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter sowie der gesamten Bevölkerung sind einzig und allein auf der Grundlage der Erhöhung der Arbeitsproduktivität und der Steigerung der Produktion möglich. Nur die Verwirklichung der alten Losung unserer Partei ‚Mehr produzieren – besser leben‘ hat zur Wiederherstellung und zur schnellen Entwicklung der Wirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik nach dem Kriege geführt. Dieser Weg war und bleibt der einzige richtige Weg.

Deshalb ist das Politbüro der Auffassung, daß die Initiative der fortgeschrittensten Arbeiter, die freiwillig zur Erhöhung der Arbeitsnormen übergegangen sind, ein wichtiger Schritt auf dem Wege zum Aufbau eines neuen Lebens ist, der dem gesamten Volk den Ausweg aus den bestehenden Schwierigkeiten weist.

Das Politbüro ist dabei der Meinung, daß eine der wichtigsten Aufgaben der Betriebsleiter, der Partei- und Gewerkschaftsorganisationen darin besteht, Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsorganisation und der Produktion zu ergreifen, damit in der nächsten Zeit der Lohn der Arbeiter, die ihre Normen erhöht haben, gesteigert werden kann.

2. Das Politbüro hält es zugleich für völlig falsch, die Erhöhung der Arbeitsnormen in den Betrieben der volkseigenen Industrie um 10Prozent auf administrativem Wege durchzuführen. Die Erhöhung der Arbeitsnormen darf und kann nicht mit administrativen Methoden durchgeführt werden, sondern einzig und allein auf der Grundlage der Überzeugung und der Freiwilligkeit.

3. Es wird vorgeschlagen, die von den einzelnen Ministerien angeordnete obligatorische Erhöhung der Arbeitsnormen als unrichtig aufzuheben. Der Beschluß der Regierung vom 28.Mai 1953 ist gemeinsam mit den Gewerkschaften zu überprüfen.

Das Politbüro fordert die Arbeiter auf, sich um die Partei und um die Regierung zusammenzuschließen und die feindlichen Provokateure zu entlarven, welche versuchen, Unstimmigkeiten und Verwirrung in die Reihen der Arbeiterklasse hineinzutragen.“1 (Hervh. TA)

Dieser Beschluss des Politbüros kam allerdings zu spät.

Am selben Tag dieses Beschlusses, dem 16. Juni verteidigt die Gewerkschaftszeitung „Tribüne“ die Erhöhung der Normen. Einen Tag später am 17. Juni starten Massendemonstrationen und Aufruhr. Proteste und Streiks vor allem von Arbeiter:innen in Ost-Berlin, in den großen Kombinaten und VEB (Volkseigenen Betriebe) der DDR mit etlichen berechtigten Forderungen – vor allem gegen die Normerhöhungen. Die Bewegung wird massiv unterstützt und geschürt von den imperialistischen Staaten, der BRD und konterrevolutionären Kräften in der DDR. Der Aufstand wird durch DDR-Polizeikräfte und durch in der DDR stationierte sowjetische Truppen, unterdrückt. Die Unruhen halten einige Tage und Wochen noch vereinzelt an.

In der BRD wird der 17. Juni zum Feiertag – „Tag der Deutschen Einheit“ erklärt.

In dem Beschluss des Zentralkomitees der SED vom 21.JuniÜber die Lage und die unmittelbaren Aufgaben der Partei,“ werden die Ereignisse um den 17. Juni als „faschistische Provokation“ eingeschätzt und geschlussfolgert: „Daher besteht die Aufgabe jetzt darin, den angeschlagenen Gegner entscheidend zu schlagen, die faschistischen Banden restlos zu liquidieren, die Ordnung aus eigenen Kräften auf feste Grundlagen zu stellen und die Durchführung des neuen Kurses von Partei und Regierung zu sichern.“

In dem Dokument werden die Arbeiter:innen, die an den 17 Juni Ereignissen teilgenommen haben als „diejenigen Teile der Arbeiterklasse, die sich vom Gegner täuschen ließen“ angeprangert. Als Aufgabe wird gestellt, dass diese Teile „aus der Verwirrung herausgerissen werden, daß sie, die, ohne es zu sehen und zu wollen, unter den Einfluß ihrer geschworenen Feinde, der Monopolkapitalisten und Faschisten, geraten sind, sich von diesem Einfluß frei machen, daß das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeiterklasse, Partei und Regierung wiederhergestellt wird.“

Die SED-Führung hat Nichts gelernt!

Bert Brecht schlug angesichts dieser unselbstkritischen Haltung der Parteibürokrat:innen der DDR-Regierung vor:

Die Lösung

Nach dem Aufstand des 17. Juni

Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands

In der Stalinallee Flugblätter verteilen

Auf denen zu lesen war, daß das Volk

Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe

Und nur durch verdoppelte Arbeit

Zurückerobern könne. Wäre es da

Nicht doch einfacher, die Regierung

Löste das Volks auf und

Wählte ein anderes?

Bert Brecht 1953
Gesammelte Werke 10, Gedichte 3, S. 1009-1010, Werkausgabe Edition Suhrkamp, 1967

FAZIT:

Die DDR war nie ein sozialistisches Land. Sie wurde als ein volksdemokratischer Staat, mit tätiger Hilfe der damals sozialistischen UdSSR gegründet. Bei der Gründung war sie eindeutig der „bessere“, antifaschistisch-demokratische deutsche Staat für die Werktätigen.

Die Ökonomie der DDR ist nicht sozialistisch gewesen. Die Wirtschaft hatte einen volksdemokratischen Charakter mit einem starken Staatssektor. Dieser Staatssektor der Ökonomie, plus die Genossenschafts­ökonomie in Land und Stadt, plus die kleinbürgerlichen Betriebe wurden fälschlicherweise zum sozialistischen Sektor der DDR-Ökonomie deklariert. Es wurde geflissentlich und wissentlich die Tatsache übergangen, dass in der DDR keine Diktatur des Proletariats existierte.

Die DDR hatte Potenzen sich langfristig, in einem harten Klassenkampf zu einem sozialistischen Staat zu entwickeln. Dazu hätte die Arbeiter:innenklasse allerdings eine wirklich marxistisch-leninistische Partei mit einer eigenständigen marxistisch-leninistischen Linie gebraucht. Die SED war aber weder eine marxistisch-leninistische Partei noch hatte sie eine dementsprechende politische Linie.

Sie war bei ihrer Gründung eine links sozialdemokratische Partei, die sich als „Satellitenpartei“ der sich zu einer revisionistischen Partei entwickelnden KPdSU, ebenfalls zu einer revisionistischen Partei entwickelt hat.

Die Kursänderunghin zum „Aufbau des Sozialismus“ war im besten Fall eine Wunscherklärung in einem Land, in dem hinsichtlich des Bewusstseins- und Organisationsgrads das Proletariat noch nicht reif war für eine solche Kursänderung. So blieb von dieser Kursänderung nichts als ein Etikettenschwindel übrig.

Die Ereignisse um den 17. Juni waren für die SED eine Zäsur, bei der der volksdemokratische Staat DDR begann sich zu einer sozialfaschistischen Diktatur – d.h. faschistisch in der Tat, sozialistisch in Worten – zu entwickeln.

Für die Zukunft müssen wir Kommunist:innen unbedingt aus diesen Erfahrungen der SED und der DDR lernen und die richtigen Schlussfolgerungen für die Zukunft ziehen. Wir müssen und werden es besser machen!

ENDE

1 „Dokus – SED“, 14. Tagung des ZK der SED, Bd. IV, S. 432-433

1 „Dokus – SED“, Bd. IV, S. 428-431

1 Jörg Roesler, „Der 17. Juni 1953, Fehlentscheidungen im Aufbau des Sozialismus und ihre Korrekturen“, S. 18, Verlag 8. Mai, 2013

2 siehe hierzu auch TA 86, Artikelserie DDR-Anspruch und Wirklichkeit, Teil 6, „II. Parteikonferenz 1952 bis III. Parteikonferenz 1956“)

1 „2. Parteikonferenz SED“, S. 76-77

2 „2. Parteikonferenz SED“, S. 83-84

3 „2. Parteikonferenz SED“, S. 84-85

4 „2. Parteikonferenz SED“, S. 91-92

1 Artikelserie, „DDR Anspruch und Wirklichkeit“, Teil 1, „Die Theorie der Diktatur des Proletariats und der Volksdemokratie“, S. 18 ff. Ebenso in Trotz alledem! Nr. 83/2020 Kritische Anmerkungen „Theorie der Diktatur des Proletariats und der Volksdemokratie“, Kritik Genosse der IA.RKP Österreich und TA Antwort auf den Leserbrief. Trotz alledem! Nr. 85/ 2020, „Zur Kritik der Zeitschrift Rote Front „Replik: Die Volksdemokratie als Form der proletarischen Diktatur, Kritische Anmerkungen von TA, „Die Rote Front und die Volksdemokratie!“

2 „2. Parteikonferenz SED“, S. 58

3 „2. Parteikonferenz SED“, S. 60

1 „Protokoll der Verhandlungen der II. Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands 9. bis 12. Juli 1952“, 2. Parteikonferenz SED“, S. 440, Dietz Verlag Berlin, 1952 – „2. Parteikonferenz SED“

2 „2. Parteikonferenz SED“, S. 498

3 „2. Parteikonferenz SED“, S. 445-446

4 „2. Parteikonferenz SED“, S. 485-486

5 „2. Parteikonferenz SED“, S. 64, Bericht W. Ulbricht

1 Oelßner, „Übergangsperiode“, S. 34

2 Teil 7 der Artikelserie „DDR – Anspruch und Wirklichkeit Antifaschistisch-demokratisch? Sozialistisch?“, TA 87/2021, S. 35

3 Oelßner, „Übergangsperiode“, S. 35

4 Oelßner, „Übergangsperiode“, S. 35-36

1 Oelßner, „Übergangsperiode“, S. 10-11

2 Oelßner, „Übergangsperiode“, S. 9-10

3 „Lehrbuch“, S. 370

4 „Lehrbuch“, S. 371

5 „Lehrbuch“, S. 372

6 Oelßner, „Übergangsperiode“, S. 33

7 Oelßner, „Übergangsperiode“, S. 33

8 Oelßner, „Übergangsperiode“, S. 33-34

1 Fred Oelßner, „Die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik“, S. 11, Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Vorträge und Schriften, Heft 56, Berlin 1956, Akademie-Verlag – Oelßner, „Übergangsperiode“

2 „Politische Ökonomie Lehrbuch,“ S. 364, Dietz Verlag, Berlin 1955 – „Lehrbuch“

3 Oelßner, „Übergangsperiode“, S. 7

4 Oelßner, „Übergangsperiode“, S. 9