Bericht von der 27. Linken Literaturmesse in Nürnberg

4.-6.November 2022 in der Kulturwerkstatt auf AEG organisiert von metropoletan archiv & bibliothek und gostenhofer literatur- und kulturverein.


Endlich wieder Linke Literaturmesse. Wir haben uns sehr gefreut, dass wir wieder kommen konnten und haben dieses Jahr mit mehreren Genoss:innen teilgenommen.
Am Freitagnachmittag sind wir angekommen und haben unseren Büchertisch aufgebaut, der dieses Jahr zwar kleiner, aber dafür direkt in Eingangsbereich lag. Unser Transparent „Krieg und Krise fordert Revolution – alles andere ist Illusion“ konnten wir auf der Empore über dem großen Saal aufhängen, super Platz.
Kurz nach uns sind auch unsere Genoss:innen der IA.RKP/Österreich zu uns gestoßen.
Kollektiv sind wir um 20 Uhr zur Podiumsveranstaltung „Krise, Krieg, Klima – Was ist da los und wo soll das alles enden?“ gegangen. Auf dem Podium waren vertreten: Susann Witt-Stahl – Journalistin, Kritikerin bürgerlicher Ideologie, schreibt für die junge Welt (JW) und war Chefredakteurin bei „Melodie und Rhythmus“; Christiane Reymann – Publizistin, Journalistin für Print, Funk & TV-Beiträge und Herausgeberin des Buches „Ein willkommener Krieg“; Reiner Braun – war Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts, Geschäftsführer der Vereinigung deutscher Wissenschaftler und ist bis heute ein Sprecher und Aktivist der Friedensbewegung; Sabine Züge – ist Aktivistin der Organisierten Autonomie (OA), macht mit ihrer Organisation den Kapitalismus für Krise, Krieg und Klima verantwortlich und fordert seine Überwindung. Der Raum war aber leider so überbelegt, dass wir nur noch davor sitzen konnten, auch leider zu weit entfernt, um der Diskussion wirklich folgen zu können.
Reiner Braun vertritt, dass der Krieg Teil des Wesens des Kapitalismus sei. Wie bei jedem Krieg gebe es Verlierer:innen und Gewinner:innen. Die Gewinner:innen seien eindeutig die Rüstungskonzerne. Deren Aktienkurse seien enorm nach oben geschnellt. Die Aufgabe der Linken sei es nun, die Verliere:innen anzusprechen. In diesem Krieg müssen wir die Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand aufstellen. Susann Witt-Stahl macht die Partei die LINKE mit „ihrem Irrationalismus und linkem Opportunismus“ für das Versagen und die Versäumnisse der Antikriegsbewegung mit verantwortlich.

Abends haben wir uns – wie jedes Jahr – zum gemütlichen Zusammensitzen und Essen in den Stadtteilladen Schwarze Katze getroffen.

Am nächsten Tag starteten wir den Vortragsmarathon auf der Literaturmesse mit unserer Veranstaltung um 12 Uhr: „Krieg und deutscher Imperialismus. Der Krieg in der Ukraine als Teil des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt. Warum und wie findet eine Neuaufteilung statt und wächst die Weltkriegsgefahr? Wessen Krieg ist denn der Krieg in der Ukraine und wie ist die Haltung Deutschlands? Was können wir tun?
Der Raum war mit knapp 45 Menschen eng gefüllt. Unser Vortrag kam überwiegend gut an, es gab auch interessante Kritiken. Ein junger Mann vertrat, er teile zwar unsere Position, China sei eine sozialimperialistische Großmacht, nicht aber die Position China stehe in diesem Krieg auf Seite Russlands. Unsere Position, dass die EU, allen voran die führenden Mächte innerhalb der EU – die Großmächte Deutschland und Frankreich – im Verhältnis zu den USA und ihrer Rolle – allgemein zu den staatlichen Verlierer:innen in diesem Krieg zählen, wurde von mehreren Teilnehmende kontrovers gesehen.
Wir konnten aufgrund von Zeitmangel nicht mehr auf alle Diskussionsbeiträge eingehen. Dass EU zu den Verlierer:innen in diesem Krieg zählt, ist aber Fakt. Sie hatte vor dem Kriegsausbruch enorme wirtschaftliche Beziehungen zu Russland, v.a. im Energiehandel. Für die Industrie ist die Energie von existentieller Bedeutung für die Produktion. Durch diesen Krieg hat die EU Milliarden von Euro Verlusten eingefahren. Heute kostet Energie das 3-4 fache dessen, wie vor dem Krieg und dies schlägt sich auf alle Sparten der Ökonomie nieder. Bei der USA ist das nicht der Fall, weil sie unabhängig in der Energiegewinnung sind. Und machen durch diese Verteuerung der Energie enorme Extraprofite.
Diese Extra-Verluste sollten in Deutschland (und anderen EU-Ländern) vollständig auf die Schultern der werktätigen Bevölkerung abgewälzt werden. Die Bourgeoisie in Deutschland hat aber gesehn, dass sie nicht alles vollständig der Arbeiter:innenklasse und die Werktätigen aufbürden können. Es könnte zu Streiks und Widerstand kommen. Daher hat die Regierung enorme Schulden gemacht. Solange die Energiepreise weiterhin so hoch sind – bzw. bis Deutschland energieunabhängig sein wird – wird die Ökonomie in der BRD geschwächt. Aktuell könnte Deutschland nur mit Steinkohle eigene Energie produzieren. Von der Schwächung der EU und insbesondere Deutschland und Frankreich sprechen wir nicht allgemein. Es geht um einen Vergleich zur USA.
Nach unserer Veranstaltung haben wir noch mit einigen Teilnehmer:innen weiter diskutiert. Eine Frau meinte, sie hätte es in der Antikriegsbewegung heute sehr schwer mit ihrer Position „Stopp aller Waffenlieferungen.“ Wir sind dann auseinander gegangen mit dem Versprechen, weiterhin für unsere Position zu streiten und gegen die Illusion in der Antikriegsbewegung zu kämpfen, es gäbe dauerhaften Frieden im Kapitalismus.

Da wir nach noch gut weiter diskutiert haben, konnte wir erst um 14 Uhr zur UZ-Veranstaltung gehen: Energiekonzerne enteignen! Die Energiepreise sind explodiert. Viele Menschen sind in der Klemme wegen hoher Heiz- und Mietkosten, sowie der Spritkosten für das Auto, das sie zur Arbeit bringt. Immer mehr Menschen kämpfen mit der Armut, während wenige, darunter die Energiekonzerne, Gewinne einstreichen. Energie ist kein Luxus, sondern ein Grundrecht. Deshalb gehören die Energiekonzerne in öffentliche Hand. Der Autor erklärt, warum diese Forderung nicht nur vernünftig, sondern auch machbar ist.
Gleich zu Beginn vertrat der Referent, es werde keine Übergewinnsteuer geben, oder wenn doch, dann sehr verwässert. Die Gasbetreiber machen pro Tanker 100-200 Millionen Dollar Gewinn. Die Spekulation bestimmt die Preise. Der Gaskonzern UNIPER hatte langfristige Lieferverträge mit Russland und muss nun teuer Gas kaufen. Der Konzern mache aktuell 100 Millionen Verlust pro Tag. Aber er werde ja entlastet – durch Steuern. Ihr Geschäftsmodell: Sozialisierung der Verluste. Eine Verstaatlichung der Energiekonzerne hält der Referent nur unter demokratischer Kontrolle für möglich. Dazu müsste sich aber die Entwicklung einer Volksbewegung gegen den kapitalistischen Wahnsinn entfachen.

Im Anschluss waren wir bei der Vorstellung des Buches von Stefan Engel: Die Krise der bürgerlichen Ideologie und des Opportunismus. Laut Verlag befasst sich das Buch damit, „wie der Opportunismus im weltanschaulichen Kampf auf der Grundlage der praktischen Kampferfahrungen nachhaltig überwunden werden kann. Das vorliegende Buch dient der Vervollständigung durch die weltanschauliche Seite. Es erscheint in fünf Teilen als Nummer 36 bis 40 der Reihe REVOLUTIONÄRER WEG.
Die Referent:innen der MLPD stellten die drei möglichen Formen des Opportunismus in der linken Bewegung dar. Erstens die Salonmarxist:innen, die nur den Marxismus vortäuschen, um ihn dann zu bekämpfen. Zweitens der Neorevisionismus, der den Marxismus-Leninismus verfälscht und verrät. Das seien Nordkorea, Albanien, sowie Kurt Gossweiler… Drittens der Postmodernismus. Dessen Verfechter:innen leugnen die revolutionäre Rolle der Arbeiter:innenklasse.
Es wurde die Frage gestellt, wie es sein kann, dass die MLPD auf der einen Seite gegen den Opportunismus kämpfe und in der Praxis am bürgerlichen Parlament teilnehmen will? Als Antwort bezogen sie sich auf Lenin: Wenn man Kraft hat, kann man daran teilnehmen und gute Agit-Prop verbreiten.
Es wurde auch kritisiert, Enver Hoxha habe bis 1963 gegen den Revisionismus gekämpft, man könne ihn nicht zu den Opportunisten zählen.

Wir haben noch teilgenommen bei der Veranstaltung der Informationsstelle Militarisierung. Sie haben das Handbuch Rüstung von Andreas Seifert vorgestellt. Spannender Vortrag. Das Buch haben wir uns geholt.

Am Abend waren wir bei Skizzen – Arbeiterwiderstand in Südbayern von Max Brym, ein Buch erschienen im Verlag Die Buchmacherei. Der Autor recherchierte in Archiven, befragte Zeitzeugen und las Memoiren. Herausgekommen ist ein Bild des Widerstands, das nicht nur die großen Städte, sondern auch den kleinstädtischen und ländlichen Raum einbezieht. Es wird deutlich, wer den Widerstand trug, welche Erfolge möglich wurden und warum er letztlich scheiterte. Ein sehr bewegender Vortrag. Max Brym vertrat, dass die Arbeiter:innenklasse, die Kommunist:innen einen sehr mutigen Kampf gegen die Nazis geführt hätten. Sie haben dabei aber massive Fehler gemacht, die letztendlich mit Schuld an der Niederlage gegen die Nazis waren. Das sei einmal die Sozialfaschismustheorie und die sektiererische RGO-Poltik der KPD. Die Kommunist:innen hätten 71 Prozent Betriebsarbeiter:innen organisiert. Nach Entstehung der RGO hatten sie 1932 nur noch 11 Prozent organisierte Betriebsarbeiter:innen. Über diese zwei scheinbaren „Fehler“ haben wir intensiv diskutiert. Wir haben die Position vertreten, die SPD war Wegbereiter des Faschismus. Sie hat den Zusammenschluss der Arbeiter:innen verhindert. In Teilen haben KPD Mitglieder sicher falsch gehandelt und die Position der KPD falsch interpretiert. Aber die Theorie des Sozialfaschismus war nicht die Ursache für die Niederlage der Kommunist:innen. Diesen Punkt haben wir als Widerspruch stehenlassen. Hinsichtlich der Entstehung der RGO haben wir ebenfalls intensiv widersprochen. Wir haben vertreten, die Gründung der RGO war richtig. Viele Arbeiter:innen sind aus den Gewerkschaften ausgeschlossen worden und die RGO konnte diese auffangen und organisieren. Auch an diesem Punkt konnten wir Max Brym nicht überzeugen. Er hat jedoch unsere RGO Broschüren mitgenommen und versprochen, sie intensiv zu studieren.

Am Sonntagmorgen Treffen der Verleger:innen in lockerer Atmosphäre. Es gab kaum Kritiken, sondern überwiegend breites Lob an die Organisator:innen.

Um 12 Uhr waren wir bei der Veranstaltung von Joschi Langfort, der das Buch: Mark Richter u.a: Spuren der Arbeit, ebenfalls erschienen im Verlag Die Buchmacherei, vorstellte. In diesem Buch werden 33 Arbeitskämpfe weltweit beschrieben. Die verschiedenen Autor:innen der Kämpfe sind in der IWW (Industrial Workers of the World) Deutschland organisiert. Die IWW hat in Deutschland etwa 500 Mitglieder und ist in Deutschland nicht clandestin. Sie ist eine weltweite Basisgewerkschaft. In den USA hat sie etwa 10.000 und in Großbritannien ca. 3.000 Mitglieder. In Italien, den Niederlanden, in Griechenland und in der Türkei gibt es ebenfalls kleinere Gruppen.

Die letzte Veranstaltung, an der wir teilgenommen haben, war zu dem Ausstellungskatalog von Nihat Öztürk (Hg.): Etappen, Konflikte und Anerkennungskämpfe der Migration, erschienen im Verlag Die Buchmacherei. Der Herausgeber skizziert die Geschichte der Arbeitsmigration in Deutschland sowohl von Seiten der Herrschenden als auch der Arbeiter:innen, die darum kämpfen, in Würde zu arbeiten, zu leben und gleichberechtigt zu sein. Nihal Öztürk begann als Gießereiarbeiter, wurde Gewerkschafter und später Bevollmächtigter der IG Metall Düsseldorf und Neuss. Das Buch begleitet eine Wanderausstellung.
Nihat Öztürk betont die progressiven Kräfte in Teilen der migrantischen Arbeiter:innen für die Gewerkschaftsbewegung. In den sozialen Kämpfen wurde das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit durchgesetzt. Besonders hervorgehoben hat er den Kampf der migrantischen Frauen gegen die Abschaffung der Frauen-diskriminierenden Lohnungleichheit in Pierburg Neuss. Er hob den Kampf für die sogenannte Steinkühlerpause (Erholungspause), die Abschaffung der Leichtlohngruppen, sowie die Erhöhung des Tarifurlaubes (Zentrale Forderung bei Ford Köln) hervor. Alles richtig diese Kämpfe hervorzuheben. Doch was ist heute? Wir haben kritisiert, dass in Deutschland immer noch Millionen Menschen ungleich behandelt werden. Migrant:innen, die 3fach prekär arbeiten. Millionen Menschen, die Steuern zahlen, aber nicht wählen dürfen und das massive Problem der Leiharbeit. Die IG Metall, z.B. blockiert die Kämpfe der Arbeiter:innenklasse gegen Leiharbeit. Die Arbeiter:innen werden von den Gewerkschaften zur Passivität erzogen. Die Gewerkschaften machen nichts dagegen, dass die Arbeiter:innen immer mehr Rückschritte hinnehmen. Der Kampf muss weitergeführt werden und wo steht das die Gewerkschaft? Doch hier zeigt sich, Nihat Öztürk ist durch und durch Gewerkschafter. Da er selber nicht im Betrieb sei, könne er nicht viel mit den Kritiken anfangen. Aber es sei wichtig, das zu verteidigen, was die Arbeiter:innen erkämpft haben. Reine Abwehrkämpfe also! Wir haben das Buch trotzdem gekauft, denn die 20 Ausstellungsplakate sind tolle Zeichen für richtige Kämpfe.


Insgesamt war die Linke Literaturmesse wieder einmal super organisiert. Auch die Schlafplatzbörse hat mal wieder toll geklappt. Wir haben viele gute Diskussionen geführt, tolle Menschen kennengelernt. Vielen Dank an alle Organisierende. Nächstes Jahr findet die 28. Linke Literaturmesse vom 3.-5. November 2023 hoffentlich wieder im Komm statt.