„Für Frieden und Demokratische Gesellschaft“

Zum Aufruf des PKK Gründers Abdullah Öcalan

Am 27. Februar 2025 hat die İmralı-Delegation1 der DEM-Partei eine gut besuchte Pressekonferenz im Elite World Hotel in Istanbul mit regionalen und internationalen Medienvertreter:innen und auch Vertreter:innen zivilgesellschaftlicher Organisationen abgehalten.

Die Delegation wurde am Morgen dieses Tages mit einem Hubschrauber nach İmralı gebracht. Zu einem Gedankenaustausch zwischen der Delegation mit Abdullah Öcalan (Apo) und weiteren drei İmralı-Gefangenen der PKK. Natürlich im Beisein des Vertreters der „öffentlichen Sicherheit“. Das Gespräch dauerte nach Information der Delegierten über vier Stunden.

In diesen Stunden wurde dem vom Staat geforderten Aufruf Öcalans der letzte Schliff gegeben. Der Aufruf wurde am Ende dieses Treffens von Abdullah Öcalan und den Delegationsmitgliedern gelesen und dieser Akt wurde auch filmisch festgehalten. Allerdings wurde das Video der Delegation nicht mitgegeben. Der Delegation wurde lediglich ein Foto der Delegation mit Apo und seinen Mitgefangenen Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş überreicht. Die Delegation wurde mit der schriftlichen Erklärung Öcalans am Nachmittag nach Istanbul zurückgeflogen.

Im großen Saal des Hotels wurde zunächst vor Beginn der Pressekonferenz die Losung „Aufruf für Frieden und Demokratische Gesellschaft“ an die Wand hinter dem Pressekonferenztisch projiziert. Bei der Eröffnung und während der Pressekonferenz wurde dann das Foto von dem Treffen der Teilnehmer:innen der Delegation mit Apo auf İmralı gezeigt.

Kurz vor 17 Uhr traf die Delegation im Saal ein: Pervin Buldan, Ahmet Türk, Sırrı Süreyya Önder, Tülay Hatimoğulları, Tuncer Bakırhan und Cengiz Çiçek sowie der Rechtsanwalt Faik Özgür Erol l. Sie wurde mit frenetischem Beifall, in den sich auch vereinzelt „Biji Serok Apo“ Rufe mischten, begrüßt.

Die Konferenz wurde von Sırrı Süreyya Önder mit der Begrüßung der Anwesenden und mit einer Dankesrede an alle „die für den Frieden gearbeitet haben“, eröffnet.

Dann wurde der mit Spannung erwartete Aufruf Öcalans, zunächst auf Kurdisch, von dem abgesetzten Bürgermeister Ahmet Türk aus Mêrdîn (tr. Mardin) und anschließend auf Türkisch von der DEM-Abgeordneten Pervin Buldan verlesen und von vielen Anwesenden mit lebhaftem Applaus kommentiert.

Der Aufruf von Abdullah Öcalan lautet:

Aufruf für Frieden und demokratische Gesellschaft“

Die PKK wurde im 20.Jahrhundert gegründet, in der gewalttätigsten Epoche der Menschheitsgeschichte mit zwei Weltkriegen, im Schatten der Erfahrung des Realsozialismus und des Kalten Krieges auf der ganzen Welt.Sie ist geboren auf einer Grundlage, die durch die Leugnung der kurdischen Realität, durch die Verbote der Freiheiten – insbesondere der Meinungsfreiheit – entstanden war.

Die PKK stand hinsichtlich ihrer angenommenen Theorie, ihres Programms, ihrer Strategie und ihrer Taktik unter dem starken Einfluss der Realität des Systems des Realsozialismus. In den 1990er Jahren führten der Zusammenbruch des Realsozialismus aufgrund interner Gründe, die Auflösung der Leugnung der kurdischen Identität im Land und die Verbesserungen bei der Meinungsfreiheit zur Sinnlosigkeit der PKK und zu exzessiven Wiederholungen. Wie ihresgleichen hat auch sie das Ende ihres Lebens erreicht und ihre Auflösung notwendig gemacht. 

In ihrer über tausendjährigen gemeinsamen Geschichte waren die kurdisch-türkischen Beziehungen durch Zusammenarbeit und Bündnisse, die in der Hauptsache auf Freiwilligkeit beruhten, geprägt. Kurden und Türken hielten es für unerlässlich, in diesem freiwilligen Bündnis zu bleiben, um ihre Existenz zu sichern und gegen Hegemonialmächte zu überleben.

Die letzten zweihundert Jahre der kapitalistischen Moderne waren vor allem von dem Ziel geprägt, dieses Bündnis zu brechen. Die davon beeinflussten Kräfte haben im Einklang mit ihrer Klassenlage sich zur Aufgabe gemacht diesem Ziel zu dienen. Durch monistische Interpretationen der Republik hat sich dieser Prozess beschleunigt. Heute besteht die Hauptaufgabe darin, die historische Beziehung, die äußerst fragil geworden ist, neu zu strukturieren, dabei verschiedene Glauben im Geiste der Geschwisterlichkeit zu berücksichtigen.

Die Notwendigkeit der demokratischen Gesellschaft ist unumgänglich. Die PKK ist die längste und umfangreichste Aufstands- und Gewaltbewegung in der Geschichte der Republik. Dass sie eine soziale Basis fand und Kraft gewann lag daran, dass die Kanäle der demokratischen Politik verschlossen waren.

Lösungen wie ein separater Nationalstaat, eine Föderation, Verwaltungsautonomie oder kulturalistische Lösungen, die alle das unvermeidliche Ergebnis der extrem nationalistischen Abweichungen sind, können keine Antwort auf die historische Gesellschaftssoziologie sein.

Respekt für Identitäten, freie Selbstdarstellung und Selbstorganisation im demokratischen Sinne, eigene Strukturen aller Gesellschaftsteile, auf der Grundlage ihrer eigenen sozioökonomischen und politischen Gegebenheiten sind nur durch die Existenz der demokratischen Gesellschaft und eines politischen Raums möglich.

Das zweite Jahrhundert der Republik kann nur dann eine dauerhafte und geschwisterliche Kontinuität erreichen und sichern, wenn sie mit Demokratie gekrönt ist. Es gibt bei der System-Suche und Verwirklichung keinen anderen Weg als Demokratie. Kann es auch nicht geben. Der demokratische Kompromiss ist die grundlegende Methode.

Im Einklang mit dieser Realität muss eine Sprache der Periode des Friedens und der demokratischen Gesellschaft entwickelt werden. 

In der Atmosphäre, die auf der Grundlage des Aufrufs von dem geehrten Devlet Bahçeli, dem vom geehrten Präsidenten geäußerten Willen und den positiven Reaktionen der anderen politischen Parteien entstanden ist, mache ich den Aufruf die Waffen niederzulegen und übernehme die historische Verantwortung für diesen Aufruf.

Beruft euren Kongress ein und fasst einen Beschluss zur Integration in den Staat und die Gesellschaft, wie es jede moderne Gesellschaft und Partei, deren Existenz nicht gewaltsam beendet wurde, freiwillig tun würde. Alle Gruppen müssen ihre Waffen niederlegen und die PKK muss sich auflösen.

Ich grüße alle, die an das Zusammenleben glauben und meinem Aufruf zuhören.

Abdullah Öcalan“. 2

Nach der Verlesung der Erklärung hat Sırrı Süreyya Önder berichtet, dass Abdullah Öcalan der Delegation auch eine mündliche Erklärung gegeben hat, mit der Bitte diese bei der Pressekonferenz ebenfalls mitzuteilen. Dann hat er folgendes zitiert:

Zweifellos erfordern die Niederlegung der Waffen und die Auflösung der PKK in der Praxis eine demokratische Politik und die Anerkennung der juristischen Grundlage.“

Aufruf zur Niederlegung der Waffen und Auflösung der PKK

Der Aufruf von Öcalan wurde von PKK als „Aufruf des Jahrhunderts“ getitelt. Mit diesem würde „Reber Apo“ (Führer Apo) „den Völkern nicht nur in der Türkei, sondern im ganzen Nahen Osten den Weg für eine demokratische Gesellschaft eröffnen“. Dieser Aufruf sei „Das Manifest des neuen Jahrhunderts“, das Manifest „der Periode des Friedens und der demokratischen Gesellschaft“. Apo würde mit diesem Aufruf „der ganzen Welt den Weg zur Überwindung der kapitalistischen Moderne“ zeigen. Etc.

Diese grenzenlose Lobhudelei über diesen Aufruf und seinen Verfasser ist völlig fehl am Platz. Zwar trägt er den Titel „Aufruf für Frieden und demokratische Gesellschaft“ aber in dem Aufruf selbst werden über den Frieden und die Demokratie nichts als leere Worthülsen produziert. Außer, dass die „Suche nach und die Verwirklichung der nicht näher definierten demokratischen Gesellschaft“ nur mit der „Methode des demokratischen Kompromisses“ vor sich gehen darf!

Revolutionäre Gewalt wird kategorisch abgelehnt. Der Aufruf ist ein Text des Abschwörens vom bewaffneten Kampf. Die PKK, die seit 1984 einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat geführt hat, wird für „sinnlos“ erklärt.

Die Sinnlosigkeit der PKK wird auf zwei Gründe zurückgeführt: Der Zusammenbruch des „Real Sozialismus“ und die „Auflösung der Leugnung der kurdischen Identität im Land und Verbesserungen bei der Meinungsfreiheit“.

Was den ersten Grund betrifft ist das, was Apo „Realsozialismus“ nennt, in Wahrheit Revisionismus, Sozialfaschismus, und Sozialimperialismus, der mit Sozialismus außer dem Namen nichts zu tun hatte. Natürlich war für diejenigen, die wie Apo beispielsweise die Sowjetunion der 1970er Jahre als „real sozialistisch“ einschätzten, der Zusammenbruch der sozialimperialistischen Sowjetunion und des gesamten Ostblocks eine Katastrophe. Die „Sinnfrage“ der eigenen Existenz stellte sich.

Was den zweiten Grund betrifft werden die Veränderungen in der Türkei hinsichtlich der Kurdenfrage und der Meinungsfreiheit von dem Aufruf überbewertet. Auch wenn es einige Verbesserungen gibt, ist die Türkei nach wie vor ein „türkischer Nationalstaat“ in dem die kurdische Nation unterdrückt wird.

Ihr Recht auf Eigenstaatlichkeit und der Kampf dafür werden als „Separatismus“ bewertet und in einem brutalen Krieg zertreten. Der türkische Staat rühmt sich damit, dass durch die Veränderungen in der „Kurdenfrage“, wie z.B. die praktische Aufhebung des Verbots der kurdischen Sprache im öffentlichen Raum, diese Frage gelöst sei. Es existiere in der Türkei keine Kurdenfrage, sondern eine Terrorfrage. Und zwar der terroristische Kampf der PKK gegen den Staat!

In dem Aufruf wird praktisch die Frage der nationalen Rechte der kurdischen Nation als nicht mehr „sinnstiftend“ für die Existenz einer Organisation wie die PKK eingeschätzt. Mit den Veränderungen in der Frage der Meinungsfreiheit sieht es ähnlich aus. Auch wenn es Verbesserungen gibt, ist die faschistische Willkür in dieser Frage nach wie vor herrschend. D.h. Diese Begründung der „Sinnlosigkeit“ der PKK hat mit der Realität nicht viel zu tun.

Die theoretische Grundlage der Sinnlosigkeit der PKK und aller Organisationen die einen Kampf für nationale Gleichberechtigung führen wird im Text kurz wie folgt formuliert:

Lösungen wie ein separater Nationalstaat, eine Föderation, Verwaltungsautonomie oder kulturalistische Lösungen, die alle das unvermeidliche Ergebnis der extrem nationalistischen Abweichungen sind, können keine Antwort auf die historische Gesellschaftssoziologie sein.“

Daswird nicht nur für die kurdische Frage in der Türkei, sondern für alle ungelösten nationalen Fragen auf der Welt behauptet, die Ablehnung des Kampfes für nationale Ziele.

Die Kurdische Frage in der Türkei und in allen anderen Teilen Kurdistans ist eine nationale Frage. Die Kurd:innen in den Nationalstaaten im Nahen Osten sind eine unterdrückte Nation. Die Lösung der nationalen Frage ist die Aufhebung der nationalen Unterdrückung, völlige Gleichberechtigung der Nationen und aller nationalen Minderheiten. Für unterdrückte Nationen heißt völlige Gleichberechtigung Recht auf die Gründung des eigenen Nationalstaates.

Es gibt auch andere Formen der Lösung der nationalen Frage wie zum Bespiel eine Föderation. Die unterdrückte Nation selbst entscheidet das. Die Zwangseinheit in einem „Nationalstaat“ in dem die herrschende Nation andere Nationen und nationale Minderheiten unterdrückt, muss zersprengt werden. Und das geht nicht ohne Gewalt.

Abdullah Öcalan hat schon 1993, aber spätestens 2001 bei seiner Gerichtsverhandlung den Kampf für ein „Vereinigtes demokratisches Kurdistan“ aufgegeben. In dem aktuellen Aufruf lehnt er sowohl den Nationalstaat ab als auch andere niedrigschwelligere Formen der Lösung der nationalen Frage, wie Autonomie oder Föderation. Das sind seiner Meinung nach Lösungen des 20. Jahrhunderts und der Epoche des kalten Kriegs. Seiner Meinung nach sind all diese Lösungen „das Ergebnis der extrem nationalistischen Abweichungen“.

Mit dieser Herangehensweise braucht man tatsächlich keinen bewaffneten Kampf. Man braucht keine bewaffnete Organisation. Man kann für bürgerliche Demokratie mit demokratischen Mitteln kämpfen. Das ist Apos Programm.

Er gibt seiner Organisation, die als nationale Befreiungsorganisation gegründet wurde, die Direktive „Legt die Waffen nieder, löst die Organisation auf und integriert euch in den Staat und in die Gesellschaft!“

Dieser Staat, in den sich nun die PKK Kämpfer:innen nach der Niederlegung der Waffen und Auflösung der PKK individuell „integrieren“ sollen, ist der durch und durch nationalistisch-faschistische türkische Staat, der der PKK mit Vernichtung droht, wenn sie diesem Aufruf nicht folgt!

Das ist kein Aufruf für „Frieden und für eine demokratische Gesellschaft“.

Das ist ein Aufruf an die PKK, die Waffen niederzulegen und sich selbst als Organisation aufzulösen. Nicht mehr und nicht weniger.

Imrali Öcalan DEM

Der Weg zum Aufruf

Diesem Aufruf ist eine über vier Monate andauernde gesellschaftliche Debatte vorausgegangen. Begonnen hat diese Debatte mit der Eröffnungrede des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan im türkischen Parlament zu Beginn der neuen Legislativperiode und mit einer unerwarteten Versöhnungsgeste des Führers der extrem türkisch nationalistischen, faschistischen Partei MHP (Milliyetci Hareket Partisi/Partei der Nationalistischen Bewegung), Devlet Bahceli gegenüber der DEM Gruppe im Parlament am 1. Oktober 2024.

In seiner Rede führte Erdoğan aus, dass auf der Grundlage der Entwicklungen in der Welt, und besonders auf der Grundlage des aggressiven völkermörderischen Kriegs Israels gegen das palästinensische Volk, in dem im Nahen Osten die Grenzen neu gezogen werden, existenzielle Gefahren für den türkischen Staat bestehen. Man müsse die innere Front stärken. Einheit und Brüderlichkeit wären nun notwendiger denn je.

Am gleichen Tag ist Devlet Bahceli, der ansonsten die DEM Partei als verlängerten Arm des Terrorismus im Parlament beschimpft und lauthals ihr sofortiges Verbot fordert und die DEM Parlamentarier:innen nie gegrüßt hat, zur DEM Gruppe im Parlament gegangen und hat die DEM Parlamentarier:innen einzeln per Handschlag begrüßt und mit ihnen geplaudert. Das war völlig überraschend und löste viele Spekulationen aus.

In den nachfolgenden zwei Wochen hat Devlet Bahceli bei verschiedenen Anlässen die Gründe für die überraschende Wende in seiner Haltung genannt. Er erklärte, dass der Aufruf von Recep Tayyip Erdoğan zur Stärkung der inneren Front ihn zu diesem Schritt bewogen habe. Dass es Zeit sei, dem „Terror” in der Türkei ein Ende zu setzen. Die innere Front müsse gestärkt werden. Die gesellschaftliche Versöhnung solle vorangetrieben werden. Wichtig sei, damit im Parlament anzufangen.

Dann erfolgte am 22.Oktober der Aufruf von Bahceli an Abdullah Öcalan. In seiner Rede in der MHP-Fraktionssitzung im Parlament hat er erklärt, dass seine ausgestreckte Hand die Hand der „Cumhur Ittifaki” (Bündnis der MHP und der AKP, Erdoğans Regierungspartei) ist.

Weiter hat er ausgeführt: „Das Problem der Türkei sind nicht die Kurden, sondern die separatistische Terrororganisation. (…) Es ist unausweichlich, dass den Terroraktionen ein Ende gesetzt wird. Alle Terroristen müssen mit ihren Waffen von den Bergen herunterkommen, und sich dem Staat Türkische Republik ergeben. Sie müssen vor Gericht gestellt und die ihnen von der türkischen Justiz auferlegte Strafen absitzen. Das ist der einzige Ausgang für die Terrororganisation. (…)

Der Terroristenchef, der, als er in die Türkei gebracht worden ist, gesagt hatte, er würde dem türkischen Staat dienen, soll bitte schön einseitig erklären, dass der Terror beendet ist und seine Organisation aufgelöst wird. (..)

Wenn die Isolation des Terroristenchefs aufgehoben werden sollte, soll er kommen, und soll vor der Fraktionssitzung der DEM in der Nationalversammlung reden, und soll hinausschreien, dass der Terror endgültig aus ist und seine Organisation aufgelöst ist.

Wenn er diese Haltung und Entschlossenheit zeigen sollte, sollte die Tür für die Verwendung des ‘Rechts auf Hoffnung’ weit geöffnet werden.”

Über diesen Aufruf des Extrem-Faschisten Bahceli wurde dann bis zur Veröffentlichung des Aufrufs von Öcalan spekuliert und diskutiert.

In allen Diskussionen hat sich herauskristallisiert :

* Bahcelis Aufruf ist Staatspolitik. Für die Stärkung der inneren Front will der Staat, geleitet von dem Bündnis Cumhur Ittifaki dem bewaffneten Kampf der PKK ein Ende setzen. Dazu ist er bereit, bei den Haftbedingungen von Öcalan Verbesserungen vorzunehmen. Auch bestimmte Schritte in Richtung zu vermehrten legalen politischen Betätigungsmöglichkeiten für prokurdische Parteien könnten gemacht werden. Voraussetzung dafür sei aber die bedingungslose Aufgabe des bewaffneten Kampfs der PKK und die Auflösung der PKK. Abdullah Öcalan soll mit einem bedingungslosen Aufruf diesen Prozess einläuten.

* Die PKK hat diese Initiative des Staates, in der die PKK nicht als Gesprächspartner vorgesehen war, als „Kriegslist” eingeschätzt und erklärte, ein Aufruf Öcalans, unter den Bedingungen der Isolation von Imrali, hätte keine Legitimität. Die physische Freiheit Öcalans sei die Voraussetzung für die PKK, um einem Aufruf zu folgen. Bis zu dem Aufruf Öcalans war das die Haltung der PKK.

* Bei DEM waren verschiedene Stimmen zu vernehmen. Ein Teil von DEM hat den Aufruf Bahcelis als eine mutige Friedensinitiative begrüßt. Der andere Teil vertritt die bisherige Linie der PKK weiter.

* Für die bürgerlichen Oppositionsparteien war der Aufruf Bahcelis an Öcalan ein Zeichen eines „Deals mit den Terroristen”, um letztendlich DEM von der Oppositionsfront gegen das ein Mann-Regime herauszulösen. Mit DEM zusammen würde die Regierung eine Verfassungsänderung planen. Mit dieser sollte unter anderem auch Erdoğan der Weg für eine dritte Präsidentenkandidatur eröffnet werden.

Die größte Oppositionspartei CHP erklärte, sie sei natürlich für das Ende des Krieges in der Türkei aber nehme es der Regierung nicht ab, dass es ihr darum gehe.

Während einige kleinere Parteien wie İyi Parti und Zafer Partisi, der MHP „Verrat an der Nation” vorwarfen.

Die absolute Isolation von Öcalan wurde vom Staat gelockert. Die Möglichkeit wurde geschaffen, zuerst mit einem Verwandten, dann mit der DEM Delegation direkte Gespräche zu führen,

Am Ende dieses Prozesses wurde am 27. Februar der vom Staat geforderte Aufruf Öcalans an die PKK veröffentlicht.

Reaktionen auf den Aufruf

Der Staat, die Regierung, das AKP/MHP Bündnis haben den Aufruf Öcalans begrüsst. Sie forderten die PKK und „alle Gruppen”, darunter auch bewaffnete Gruppen in Rojava, auf diesem zu folgen und die Waffen niederzulegen und sich aufzulösen. Der Staat würde jetzt die Entwicklung beobachten.

Wenn die PKK „mit allen ihren Nebenorganisationen” diesem Aufruf nicht folgen sollte, würde der Staat mit seiner „eisernen Faust zuschlagen” und „keinen Kopf auf dem Rumpf stehen lassen”.

Die CHP, die grösste bürgerliche Oppositionspartei begrüsste den Aufruf mit „Vorbehalten und Sorgen”. Nun sei die Regierung an der Reihe. Es müssten Demokratisierungsschritte unternommen werden.

Die Parteien, die mit der MHP in punkto Nationalismus wetteifern, haben den Aufruf Öcalans als Ergebnis des Deals mit dem Terroristenchef, als Ergebnis eines Verrats an der Nation etc. eingeschätzt.

Die PKK und viele PKK-Unterorganisationen haben den Aufruf begrüsst, ihn als „Aufruf des Jahrhunderts” hochgelobt, und erklärt, dass sie dem Aufruf folgen werden.

Als einen Schritt hat die PKK am 1. März 2025 erklärt:

Um den Aufruf für Frieden und demokratische Gesellschaft von Führer Apo in die Tat umzusetzen erklären wir ab heute endgültig den Waffenstillstand.

Keine Einheit von uns wird, solange sie nicht angegriffen wird, bewaffnete Aktionen durchführen. Was darüber hin­ausgeht, wie z.B. die Niederlegung der Waffen kann nur unter der praktischen Führung von Führer Apo durchgeführt werden.”

Auch wurde für die Durchführung des Kongresses die „physische Teilnahme von Führer Apo” gefordert.

Ein Teil der DEM Partei hat den Aufruf frenetisch gefeiert. Sie schätzen ihn als den wichtigsten Schritt für den Frieden ein. Sirri Süreyya Önder von der Delegation hat erklärt, dass im Aufruf überhaupt keine Forderungen an den Staat gestellt werden.

Während der andere Teil der PKK die Haltung hat, dass nun erst einmal der Staat am Zuge sei. Voraussetzung für die Weiterführung dieses Prozesses sei die physische Freiheit Öcalans.

Entwicklungsperspektiven

Es sieht so aus, dass sowohl der Staat als auch Abdullah Öcalan es mit der Entwaffnung und Auflösung der PKK ernst meinen. Zum ersten Mal scheint es möglich zu sein, den Krieg zwischen der Türkei und der PKK zu beenden.

Allerdings gibt es viele ungelöste Fragen. Fragen, wie z.B. was wird aus den PKK Kämpfer:innen; wie wird die Entwaffnung durchgeführt, wie wird kontrolliert, was wird aus Öcalan etc., welches ist die Haltung des Staates, erst die Entwaffnung und Auflösung, dann alles andere. Während die PKK erst die Klärung der Fragen, dann Entwaffnung und Auflösung fordert.

Der Staat scheint in dieser Frage am längeren Hebel zu sein.

Wie es weitergeht, wird auch teilweise davon abhängen, wie sich die Lage in Rojava entwickelt. Es ist Fakt, dass der türkische faschistische Staat heute den Krieg gegen die PKK nicht in Nordkurdistan/Türkei sondern in Südkurdistan/Irak und Rojava führt.

In Südkurdistan hat ja die PKK erklärt, sie würde dem Aufruf folgen. Während in Rojava die kämpfende Truppe erklärt hat, der Aufruf sei an die PKK gerichtet, und in Rojava kämpft die YPG/SDG, die klar sagt, wir sind nicht die PKK. Daher sei der Aufruf Apos nicht an Rojava gerichtet.

Bei der Entwicklung in Rojava wird die Haltung der USA gegenüber dem „Partner im Kampf gegen den IS”, die YPG/SDG eine entscheidende Rolle spielen. In den Verhandlungen zwischen den USA und der Türkei wird auch über diese Frage mitentschieden. Wenn die USA die YPG/SDG weiter unterstützt, ist eine größere Militäroperation der Türkei gemeinsam mit ihrer Stellvertreter-Armee in Syrien, der SNO (Syrische Nationale Armee), gegen Rojava höchstwahrscheinlich.

Das würde aber den ganzen „Friedensprozess” zwischen Apo und der türkischen Regierung stoppen.

21. März 2025

1 İmralı ist der Name einer kleinen Insel im Marmara Meer. Sie wird seit langem vom türkischen Staat als Hochsicherheits-Gefängnis-Insel verwendet. Auf der Insel befindet sich seit Ende 1999 nur der, 2001 erst zum Tode, dann nach der Aufhebung der Todesstrafe zu lebenslanger Haft verurteilte Gründer der PKK Abdullah Öcalan. Seit 2009 sind dort vier weitere ebenfalls zu lebenslanger Haft verurteilte, von Öcalan ausgewählte PKK-Funktionäre und ein, auch zu lebenslanger Haft verurteilter TKP/ML Kader als Gefangene inhaftiert. Die Insel wird von einer dort stationierten speziellen Militäreinheit bewacht. İmralı selbst und das Seegebiet um İmralı ist Militärgebiet. Natürlich können Besucher:innen nur mit Erlaubnis des Staates, konkret des Justizministeriums nach İmralı um die Gefangenen zu besuchen. Sie werden staatlicherseits entweder auf dem See- oder Luftweg, nach İmralı hin, und von İmralı zurück transportiert. In der „İmralı Delegation“ sind Personen, die von der DEM Partei für die Gespräche mit Abdullah Öcalan bestimmt wurden. Die aktuelle Delegation besteht aus sieben führenden Mitgliedern der DEM Partei, die sowohl vom Staat als auch von Öcalan akzeptiert werden.

2 Dieser Aufruf wurde in deutscher Übersetzung von verschiedenen Medien und Organisationen verbreitet. Wir haben diesen Aufruf neu übersetzt, da die bisher vorliegenden Versionen teilweise falsch und teils unverständlich übersetzt waren.