Machtkampf zwischen AKP und CHP
Am Morgen des 19. März wurde der Bürgermeister der Großstadt Istanbul Ekrem İmamoğlu zur Befragung in zwei gegen ihn laufenden Verfahren festgenommen. Mit dieser Operation der Polizei am frühen Morgen erreichte der Machtkampf in der herrschenden Klasse in Nordkurdistan Türkei eine neue Stufe.
In den Regional/Kommunal Wahlen in Nordkurdistan/Türkei am 31. März 2019 hat die herrschende Regierungspartei AKP und ihre Bündnispartei MHP in vielen Großstädten, insbesondere in der größten Stadt Istanbul eine krachende Niederlage erlitten. Die Arbeiter:innenklasse, die Werktätigen erlebten und erleben unter der Herrschaft der AKP/MHP ungezügelte Ausbeutung, Arbeitslosigkeit, Armut, Hunger, staatlichen Terror, Faschismus, nationale Unterdrückung usw.
Insbesondere aufgrund der Wirtschaftspolitik der letzten Jahre nimmt in der Türkei eine hohe Inflation und Arbeitslosigkeit zu, so dass in der Bevölkerung Unmut und Wut gegen die AKP-Regierung wächst. Druck auf Gewerkschaften, Verbote demokratischer Organisationen, Verhaftungen von für gewerkschaftliche Organisierung kämpfenden Arbeiter:innen sind Alltag.
Versucht wird, mit faschistischer Polizeigewalt die Stimmen der Arbeiter:innen, die für ihre Rechte kämpfen, zum Schweigen zu bringen. Dazu kommt horrende Korruption, Bestechung, Veruntreuung in der Verwaltung auf allen Ebenen.
Die herrschenden Systemparteien beklagen sich über die Polarisierung in der Gesellschaft, beschuldigen einander gegenseitig, die Bevölkerung zu spalten und aufzuhetzen. Das Recht wird im Machtkampf als Waffe gegen den politischen Gegner verwendet.
Die Judikative wurde von der Exekutive abhängig gemacht. Jede Person, die gegen die Regierung ist, kann mit dem Vorwurf „Unterstützung des Terrorismus“ beschuldigt und verhaftet, vor Gericht gestellt werden.
Das alles hat die Wut gegen die AKP-Regierung immens gesteigert.
Aus diesen Gründen verlor das AKP/MHP Bündnis auch bei den Regional/Kommunalwahlen im März einen bedeutenden Teil der Bürgermeisterämter, die dieses Bündnis innehatte, an die Oppositionsparteien. Viel wichtiger ist, die AKP hat damit zum ersten Mal seit 2002 ihre Position als erste stärkste Partei in Wahlen an die Oppositionspartei CHP verloren.
Das AKP/MHP-Bündnis versucht jetzt ihre Politik neu zu designen ,um diese Niederlage zu überwinden und in den nächsten Wahlen ihre verlorene Legitimität wieder zurück zu gewinnen.
Mit diesem Neudesign versucht die AKP-Regierung die Einheit der oppositionellen Kräfte, die sich für die Regional/Kommunalwahlen unter dem Lable „Stadt-Bündnis“ zusammengeschlossenen hatten, auseinander zu dividieren. Gleichzeitig versuchen AKP/MHP, die kurdischen Wähler:innen auf ihre Seite zu ziehen.
Eine der wichtigsten Entwicklungen der letzten Monate ist die Politiklosung der AKP-Regierung nach einer „Türkei ohne Terrorismus“, die von der PKK das „Niederlegen der Waffen“ und die „Auflösung der PKK“ fordert. Die Stärkung der inneren Front angesichts der Entwicklungen im Nahen Osten und der Welt ist der Ausgangspunkt dieser Politik.
Um diese Politik durchzusetzen forderte der Staat von dem PKK-Gründer Abdullah Öcalan, der seit über 25 Jahren in Isolationshaft auf einer Gefängnisinsel weggesperrt ist, einen Aufruf an seine Organisation zu machen. Er ist diesem Aufruf gefolgt.
Während die AKP/MHP-Regierung die PKK durch Öcalan aufforderte und Verhandlungen durchführt, wirft sie İmamoğlu vor, „der terroristischen Organisation zu helfen“, weil er mit der legalen Partei DEMein „Stadt-Bündnis“ eingegangen ist. Der AKP will die CHP, die nach dem Erfolg in den Regional-Kommunalwahlen ihre brave Politik verlassen hatte und ständig nach Neuwahlen ruft, zurückdrängen und bei den nächsten Wahlen wiedergewinnen. Die Aberkennung des Uni-Diploms von Ekrem İmamoğlu erfolgte, um zu verhindern, dass er sich als Präsidentschaftskandidat für die Wahlen 2028 aufstellt.
Auf der anderen Seite wird mit der Festnahme İmamoğlus versucht, das Verschleudern der enormen finanziellen Ressourcen der Großstadtkommune Istanbul durch das CHP/İmamoğlu-Team zu verhindern.
Was jetzt in der Türkei vor sich geht, ist dem Wesen nach ein Machtkampf zwischen verschiedenen Teilen der Bourgeoisie, den bürgerlichen Parteien, der Regierung und der Opposition. Dieser Kampf ist kein Kampf gegen „Korruption“, „Bestechung“, „Betrug“ und so weiter, wie die Regierungsparteien behaupten. Dieser Kampf ist auch kein Kampf um „Rechte, Justiz, Gerechtigkeit, Demokratie“ wie die CHP und ihre Anhänger:innen behaupten. Der Kampf zwischen diesen beiden Parteien der bürgerlichen Politik ist ein Kampf um die Macht und damit ein Kampf darum, wer von den Möglichkeiten des Staates mehr profitiert.
Es sieht so aus, dass die Regierungsparteien das Potential der sich unter der Bevölkerung aufgestauten Wut gegenüber der Regierungspolitik falsch eingeschätzt haben. Sie haben nicht damit gerechnet, dass diese Wut sich in diesem Ausmaß in Massenprotesten niederschlagen wird.
Auf die Aberkennung des Diploms von İmamoğlu, auf den Versuch seine Kandidatur zu verhindern und seine Inhaftierung reagierte die CHP mit dem Aufruf an die CHP-Anhänger:innen und Bevölkerung auf die Straße zu gehen. Und diesem Aufruf folgten die CHP-Anhänger:innen. Aber nicht nur sie: Viele Werktätige, die ihren Unmut und ihre Wut gegen die Regierungspolitik zum Ausdruck bringen wollten, sind in dieser Massenbewegung dabei. Und vor allem die studentische Jugend ist auf der Straße.
Tatsächlich benutzt die Systempartei CHP, die sonst den Straßenkampf nicht will, die berechtigte Explosion der Wut der Massen für ihre eigenen politischen Interessen. Bis gestern hat die CHP, die Politik der Straße als „Störung der Politik“ und als gefährliche „Polarisierung der Gesellschaft, die der Regierung dient“ eingeschätzt und abgelehnt. Nun heißt es bei ihr: „Auf die Straße“, „Die Straßen gehören uns!“. Was die CHP zu diesem Positionswechsel gebracht hat, ist die angesammelte Wut der Massen und der Hass gegen Erdoğan, die sagen „Es reicht“.
Gleichzeitig ruft die CHP die jugendlichen Demonstrant:innen auf, die Konfrontation mit den Polizeikräften und der Staatsgewalt zu vermeiden! Die Massenproteste, in denen die Werktätigen ihren Unmut demonstrieren, und ihr radikalster Kern die Studenten, sind was ihre Forderungen betrifft, viel weiter als die CHP. Leider fehlt in dieser Bewegung die revolutionäre Führung. So kommt es unweigerlich dazu, dass die Bewegung der Arbeiter:innen und Student:innen nicht als von der Bourgeoisie unabhängige Bewegung mit einer eigenen Agenda, eigenen unabhängigen Forderungen etc. agiert. Sie bleibt letztendlich Anhängsel des bürgerlichen Machtkampfs.
AKP und MHP, die noch unter dem „Gezi-Trauma“ der Vergangenheit leiden, versuchen, die Massendemonstrationen und Aufmärsche mit intensiver faschistischer Polizeigewalt zu unterdrücken. Der faschistische Terror wird insbesondere gegen Universitätsjugendliche verstärkt. Mit Polizeiknüppeln, Verhaftungen, Polizeipanzer, Wasserwerfer, Pfefferspray, Gasbomben, Polizeibarrikaden… usw. versucht die Staatsmacht zu verhindern, dass die „außer Kontrolle geratenen Demonstrant:innen“ weiter gehen, als die CHP es erlaubt.
Unser Kampf ist der Kampf der Arbeiter:innen und Werktätigen!
Der Machtkampf zwischen den bürgerlichen Parteien ist nicht der Kampf der Arbeiter:innen, der Werktätigen, der Unterdrückten, also nicht unser Kampf. İmamoğlu und die CHP sind keine Demokrat:innen; der Kampf der CHP für İmamoğlus Freiheit ist kein Kampf um Demokratie und Freiheit. Wir sind in diesem Machtkampf der Bourgeoisie nicht Teil dieses Kampfes, weder auf der einen noch auf der anderen Seite. Egal, welche politische Partei der Bourgeoisie auch an der Macht ist, sie werden die Arbeiter:innen und Werktätigen nicht ver- sondern zertreten. Wir werden nicht eine dieser Parteien gegen irgendwelche anderen unterstützen. Unser Feind ist nicht nur die aktuell sich an der Macht befindende Partei der Bourgeoisie, sondern das ganze bürgerliche System, mit allen seinen Parteien, Institutionen und mit seinem Staat. Wir sind für die Zerschlagung dieses kapitalistischen Systems, das uns zu Hunger und Armut zwingt! Wir sind für die von der Bourgeoisie unabhängige Politik der Arbeiter:innenklasse und ihren eigenen Klassenkampf! Die Aufgabe ist, auf keinen Fall zum Anhängsel des Machtkampfes der Bourgeoisie zu werden. Sondern unseren eigenen unabhängigen Klassenkampf gegen die Bourgeoisie voranzutreiben.
Mit diesem Bewusstsein lautet unser Aufruf an die Arbeiter:innen und Werktätige:
In jedem Bereich, in dem wir kämpfen, tragen wir die Forderungen von Arbeiter:innen, Werktätigen, ländlichen und städtischen Unterdrückten auf die Straße, gegen Ausbeutung und Unterdrückung, gegen Ungerechtigkeit, gegen die Usurpation des Willens des Volkes… für Arbeit, für Brot, für eine freie Zukunft… lasst uns unseren eigenen Kampf führen!
Wahre Demokratie wird nicht gewonnen, indem man sich an eine der bürgerlichen Parteien anhängt! Das Ziel muss die Zerschlagung des Ausbeutungssystems sein, nicht nur die Zerschlagung eines „Ein Mann-Regimes!“ Solange dieses System andauert, wird es keine wirkliche Demokratie geben! Im wahren Sinne wird die Demokratie nur mit einer demokratischen Revolution kommen. Lasst uns in den Reihen unserer Partei für den einzigen und realen Weg unserer Befreiung organisieren und den Kampf um die Revolution vorantreiben!
Die Befreiung wird im Kampf von den Arbeiter:innen und Werktätigen erreicht!
Tod dem Faschismus, durch die einzige Möglichkeit: Revolution!
22. März 2025
Bolşevik Parti Nordkurdistan/Türkei