Kaltblütige Morde werden nicht aufgeklärt!
Hintermänner im Sicherheitsapparat und Politik nicht zur Verantwortung gezogen!
Wer noch ein Fünkchen Hoffnung in die bürgerliche Ordnung und Gerichtsbarkeit hatte, muss diese mit Beginn des NSU-Prozesses verloren haben.
Sei erst zwei Monaten wird vor dem Münchener Oberlandesgericht verhandelt. Aber schon jetzt wird klar, weder die Hintermänner im Sicherheitsapparat noch die verantwortlichen Politiker werden zur Rechenschaft gezogen, noch werden sie bestraft.
Von Anfang an hat das Gericht, in Person des Vorsitzenden Richter Götzl, vorgeführt, wessen Geistes Kind es ist und wie der „Rechts“staat in einer bürgerlichen Demokratie funktioniert. Bewusst wurde versucht, die Dimension des Prozesses selbst räumlich klein zu halten. Aus Angst vor der Öffentlichkeit dürfen nur 50 Medienvertreter dem Prozess beiwohnen. Es wurde eine Lotterie um die Plätze veranstaltet, bei der türkische Medien zunächst Nieten bekamen und das Gericht seinen ersten Skandal in diesem Prozess.
Nach heftigen Protesten aus dem In- sowie Ausland wurden türkischen Medien schließlich fünf Plätze zugewiesen, um „das Ansehen Deutschlands“ und der Justiz nicht zu arg zu beschädigen. Deutschland, das bei Menschenrechtsverletzungen anderer Staaten, beispielsweise in der Türkei, geradezu auf sein Recht pocht, Beobachter zu Gerichtsverhandlungen zu entsenden, wollte türkischen Medien keinen Zutritt zu diesem Prozess gewähren, obwohl sechs der Mordopfer türkische Pässe haben und zwei Deutsche mit türkischen Wurzeln waren.
Eine Live-Übertragung in andere Räume des Gerichts und Videoaufzeichnungen des Prozesses wurden ebenso abgelehnt. Der Staat will zu kritische Berichterstattung verhindern und die Deutungshoheit über den Fall nicht verlieren.
Die Bundesstaatsanwaltschaft hat in Absprache mit dem Kanzleramt, dem sie untersteht, eine Anklage konstruiert, bei der fünf Nazis als Bauernopfer vorgeführt werden. Die Anklage wirft dem NSU vor, neun Kleinunternehmer und Selbständige mit Migrationshintergrund mit immer der gleichen Waffe, einer Ceska, ermordet zu haben. Weiterhin sollen sie für zwei Bombenanschläge sowie 15 Banküberfälle verantwortlich sein. Nach Angaben der Ankläger sind vom NSU zwei Mitglieder, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt tot und das dritte Mitglied, Beate Zschäpe, schweigt vor Gericht.
Die anderen Nazis sind der Beihilfe zum Mord und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt. Genau in diesem Rahmen bewegt sich der Prozess. Es ist bisher völlig offen, ob Beate Zschäpe als Mitglied des NSU verurteilt wird. Möglich ist auch, dass sie nur für den Brandanschlag auf das Wohnhaus, in dem das Trio gelebt haben soll, verurteilt wird.
Der Staat, vertreten durch die Bundesanwaltschaft, achtet penibel darauf, dass an seiner Fassade vom „Rechts“staat, von Gewaltenteilung, vom „unabhängigen Gericht“ kein Kratzer zurückbleibt. Der Staat wird sich nicht selbst ans Bein pinkeln. Obwohl es Hunderte von Beweisen gegen die Verantwortlichen im Sicherheitsapparat vorneweg BfV, LfV, BKA, LKA, BND, MAD und Polizei, die damaligen regierenden Politiker gibt, werden diese nicht angeklagt. Nach dem Nagelbombenanschlag 2004 in der Keupstraße in Köln lügt der rot-grüne Bundesinnenminister Otto Schily noch am selben Tag, ohne rot zu werden, in die Kameras. Er behauptet, dass der Anschlag einen kriminellen Hintergrund hat.
Durch die Kameraauswertung im laufenden NSU-Prozess wird bekannt, dass sie anderthalb Stunden Material enthält. Ganz deutlich sind die beiden NSU-Täter zu sehen. Wäre das Material wirklich ausgewertet worden, hätte diese Spur zu ihnen geführt. Das waren damals per Haftbefehl auf Fahndungslisten mit Fotos gesuchte Nazis. Weitere Morde wären zumindest verhindert worden.
Damit hatte Schily, aber nicht nur er, sondern im Grunde die gesamte rot-grüne Bundesregierung unter Schröder, die Aufklärung eines nazi-terroristischen Anschlags verhindert, die Polizei bei der Aufklärung des Falles bewusst in falsche Bahnen gelenkt und die Opfer zu Tätern erklärt, die dann von der Polizei kriminalisiert wurden. In diesem Fall gehören auch Schily und die rot-grüne Regierung unter Schröder, die ein Verbrechen verdeckt und seine Aufklärung vereitelt haben, auf die Anklagebank.
Dazu gehören ebenfalls die CSU in Bayern, der damalige Innenminister Beckstein, der fünf Morde in seinem Bundesland zu verantworten hat. Zeugenaussagen im NSU-Prozess (11.07.2013) über den Mord an Habil Kılıç im Jahr 2001 decken auf, dass zwei Nachbarinnen „zwei Radler“ am Tatort relativ genau beschrieben haben. Diese Spur wurde aber überhaupt nicht verfolgt.
Das Gleiche gilt für die rot-grüne Landesregierung in NRW, für die CDU in Sachsen und Thüringen. Beim Mord an Halit Yozgat in Kassel 2006 saß Andreas Temme (genannt „Klein Adolf“) mit im Internetcafé. Andreas Temme ist Beamter des hessischen Verfassungsschutzes. Inzwischen ist bekannt, dass der heutige ‚Landesvater’ Volker Bouffier, damals unter Koch Innenminister und damit verantwortlich für den LfV, Ermittlungen gegen Temme verhindert hat.
Weiter ist im NSU-Prozessverlauf durch Zeugenaussagen eindeutig bewiesen, dass V-Leute vom Thüringer Verfassungsschutz, wie Tino Brandt, die späteren NSU-Mitglieder Anfang der 1990er Jahre gezielt ermuntert haben, auf Gewaltaktionen zu setzen. (Tagesspiegel, 15.07.2013) Was braucht man noch, um eindeutig die Tatbeteiligung des LfV zu belegen?
Die Nachfrage der Angehörigen der Opfer, „ob sich erst unter dem Einfluss des V-Mannes Brandt die NSU’ler radikalisierten“, weist Bundesanwalt Diemer barsch ab: „Das gehört hier nicht zur Sache, sondern in einen Untersuchungsausschuss.“ Dieser brutale Umgang bestärkt bei den Angehörigen die Gewissheit, die Schuldigen in Staat und Politik werden nicht belangt.
Im gleichen Fahrwasser schwimmen die Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse (PUA). Das Ziel war und ist gewesen, dem Ansehen des „Rechtsstaates“ so wenig wie möglich zu schaden.
Obwohl durch die Ausschüsse die Widersprüche, die vielen Lügen der Geheimdienste und Polizei und so manche Dokumente an die Öffentlichkeit kamen, die sonst geheim geblieben wären, wird im Ergebnis nur von strukturellen Defiziten gesprochen.
Als der Untersuchungs-Ausschuss des Bundestages am 27.01.2012 vom ‚ehrbaren‘ Bundestagspräsidenten Lammert (auch er soll sich seinen Doktor erschwindelt haben) feierlich einberufen wurde, hat er eine Stunde lang über die Geheimhaltungspflicht des Untersuchungsausschusses, die strikte Einhaltung der Geheimhaltung und drohende Strafverfolgung bei Veröffentlichung von Geheimnissen schwadroniert. Die Drohung in Richtung des Ausschusses hat gewirkt. Er hat seine Arbeit mit staatstragender Pflicht erfüllt: Sebastian Edaty (SPD), Vorsitzender des Ausschusses des Bundestages, fasste für die Medien seine Ergebnisse am 16. Mai 2013 in drei Punkten zusammen:
1. Es ist ein rassistisches Muster der Ermittler zu erkennen, sie hätten mit Scheuklappen und nicht ergebnisoffen untersucht
2. 36 Sicherheitsapparate arbeiteten nebeneinander
3. Die Gefährlichkeit der Nazis wurde wider besseres Wissen nicht erkannt.


Das kann man in „Pleiten, Pech und Pannen“ übersetzen. Neun Migranten werden innerhalb von sechs Jahren in ihren Läden kaltblütig hingerichtet und das Ergebnis der Untersuchungen ist, Polizei, Ermittler und die vielen Geheimdienste haben „versagt“.
Petra Pau, die für die Linke im PUA sitzt, ist bisher nur mit dem radikalen Satz aufgefallen: „Man sei im Laufe der 15 Monate „immer wieder auf Abgründe gestoßen.“ 1Und Wolfgang Wieland von den Grünen wird an selber Stelle mit den Worten zitiert: „Totalversagen unserer Sicherheitsbehörden“. Das ist nichts anderes als Verharmlosung der Verbrechen der Geheimdienste und staatstragende Pflicht.
Sowohl die Untersuchungsausschüsse als auch das Gerichtsverfahren sind eine Farce. Diejenigen, die aufklären und Beweise liefern sollten, tun es nicht und niemand kann sie zwingen. Das ist die Aufgabe der Polizei und der Staatsanwaltschaft. Im Gegenteil: Sie tun alles, um das zu verhindern:
Tausende Seiten Akten zu V-Leuten, dem Thüringer Nazi-Heimatschutz und zu den Morden wurden von Verfassungsschutz, Polizei und BKA vernichtet, Beweise unterschlagen, Zeugen konnten sich nicht mehr erinnern, Aussageverbote für Beamte verhängt. Lügen über Lügen werden aufgetischt.
Diejenigen, die terroristische Anschläge verhindern sollten, organisierten den Terror: die Geheimdienste.
In ihrem Sondervotum zum Bericht des PUA in Thüringen wählen die Obleute der Linken, Martina Renner und Katharina König klare Worte: „die Versäumnisse beim Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) seien keine Pannen gewesen, sondern im System begründete Ursachen gehabt. Renner warf dem Inlandsgeheimdienst kriminelles Agieren, moralloses Handeln und das Vernichten von Beweismitteln vor.“ 2 Die Junge Welt fasst richtig zusammen: „Staatliche Behörden waren mit über 25 V-Leuten im Umfeld des NSU-Netzwerkes aktiv. Auch mit deren Hilfe wurden sie bewaffnet, gewarnt, mit Geld und Papieren versorgt. Staatliche Behörden stocherten nicht im Dunkeln, sondern waren an der Gestaltung des neonazistischen Untergrundes proaktiv beteiligt. Und nicht anders verhielt es sich bei den vielen Möglichkeiten, die Terror- und Mordserie des NSU zu beenden: Man war mit Ernst und großem Aufwand dabei, die Aufklärung zu verhindern.“ 3
Zuerst wurden die Opfer zu Tätern gemacht und ihre Familien kriminalisiert. Jetzt werden die Opfer als Rechtfertigung dazu missbraucht, den Sicherheitsapparat weiter auszubauen und V-Leuten und Geheimdiensten bei Straftaten einen Freibrief auszustellen: Eckart Müller, Bund-Länder Kommission zum Rechtsterrorismus, fordert bei der Innenministerkonferenz Straffreiheit für V-Leute und Dienste, wenn die bei Ausübung ihres Auftrages Straftaten begehen müssen.
PUA und das NSU-Verfahren sollen verdecken, dass die Geheimdienste, die Bundeswehr und die Polizei sich terroristische Gruppen wie den NSU aufbauen, einsetzen und wenn der Auftrag erledigt ist, sie dann wieder abschalten. Manchmal müssen die Mitarbeiter eben auch geopfert werden, wie Mundlos und Böhnhardt, um höhere Interessen zu schützen. Dabei arbeiten die Geheimdienste bei Bedarf personell und strukturell zusammen.
Vor wenigen Wochen hat der Duisburger Historiker Andreas Kramer in Interviews und unter Eid ausgesagt, dass der BND hinter dem Bombenanschlag auf das Münchener Oktoberfest 1980 steckt. Das fand in den Medien der Herrschenden kein großes Echo, im Gegenteil darüber wurde schnell geschwiegen. Das, was die revolutionäre Linke schon immer wusste, aber was sehr schwer zu beweisen ist, der bürgerliche Staat organisiert über seine Geheimdienste oder Nazibanden Terror und Mord gegen die eigene Bevölkerung.
Der Luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker hat bezüglich der Geheimdienstaffäre seines Landes, der Verstrickung des luxemburgischen Geheimdienstes in 20 Sprengstoffanschläge die Arbeit des Geheimdienstes richtig zusammengefasst: Die Geheimdienste sind dazu da geheim zu operieren, deswegen darf die Öffentlichkeit nicht alles wissen.
Prism, Tempora und immer neuere Enthüllungen über die Überwachungsprogramme der „westlichen Demokratien“ zeigen, wie groß die Angst der Herrschenden vor der eigenen Bevölkerung ist. Terror und totale Überwachung waren und sind Instrumente bürgerlicher Herrschaft. Die revolutionäre Linke muss daraus ihre Lehren ziehen und ihre Organisierungsstrukturen und Arbeitsmethoden auf den Prüfstein stellen. Wie konnte die faschistische NSU über sechs Jahre lang in Deutschland wüten, obwohl Telefonate, Handys, Internetkommunikation bereits damals schon millionenfach von Verfassungsschutz und NSA durchgecheckt wurden?
Der völlig chaotische Verlauf des NSU-Prozesses ist ein Hohn für die Angehörigen der Opfer. Indem ständig mehrere Mordfälle parallel und durcheinander verhandelt werden und nicht ein Mordfall nach dem anderen, kann sich kaum jemand einen Überblick verschaffen. Diese Methode dient gleichzeitig dazu, Spuren zu verwischen, Widersprüche zu verdecken und ein klares nachvollziehbares Bild der gezielten Fehlinformationen, falschen Fährten, der staatlichen Zusammenarbeit mit den NSU-Mördern für die Angehörigen und die Öffentlichkeit zu verhindern.
Anfang August
1 www.jungewelt.de, 31.05.2013
2 www.jungewelt.de, 12.03.2013
3 www.jungewelt.de, 31.05.2013