Höchste Zeit zu kämpfen!
Krise – Umwälzung – Arbeitsplatzvernichtung
in der Automobil-Industrie
Beispiel Zuliefer-Konzern Continental
Bedingt durch technologische Entwicklungsschübe, Robotisierung, Verdichtung der Produktion, Rationalisierung und Internationalisierung, Verlagerung von Produktionsketten in abhängige, „kostengünstigere“, sprich ausbeutungsintensivere Länder vollzieht sich weltweit in zentralen Produktionsbereichen der Auto-Industrie einschließlich der Zulieferbetriebe eine weitreichende Umwälzung, die es in diesem Ausmaß bisher in diesem Sektor nicht gegeben hat i.
Getrieben von der kapitalistischen Konkurrenz der Auto-Monopole versucht jedes Unternehmen trotz Krise, die maximalen Gewinne heraus zu schlagen. Das Großkapital nutzt in der Pandemie-Krise seine Chance und nimmt mit, was es an staatlichen Subventionen einsacken kann.
Die Steigerung des Maximalprofites bei gleichzeitiger tiefgehender Umstrukturierung, Verschlankung und Kostensenkung der Produktion durch neue Technologien in der Branche stand schon vor CORONA auf der Tagesordnung.
Die Umstrukturierung vom Verbrennungsmotor zur E-Mobilität, die zur führenden Technologie wird, stellt ganze Produktionszweige ins Aus und entwickelt neue Produktionsbereiche. Verbrennungsmotoren und das komplette Zubehör werden letztendlich auf dem Müllhaufen der Technologiegeschichte landen.
Die Auto-Konzerne versuchen mit der E-Mobilität ihr bewährtes Modell weiter zu betreiben. Individualverkehr über alles!
Je individueller umso kostenintensiver und damit profitträchtig ohne Grenzen, so haben sie es gern, die Aktionäre von Daimler, VW, Bosch und Co! Mobilitätswende, klimafreundlich, wozu denn?
In allen Unternehmen von VW, Daimler, Bosch, Continental, Schaeffler, Mahle, bis hin zu ZF Friedrichshafen, um nur einige zu nennen, läuft bereits der „Abbau von Arbeitsplätzen“ auf Hochtouren.
Von den gelben Gewerkschaften, (z.B. IG Metall, IG BCE u.a.) und Betriebsräten verschaukelt ganz nach dem Motto „wenn wir nicht sparen, verlieren wir die deutschen Standorte“, verzichten wir ArbeiterInnen bereits auf Lohnerhöhungen, auf Urlaub, beziehungsweise in neu verhandelten Tarifverträgen auf Lohnanteile. Aber all der Verzicht für die scheinbare Arbeitsplatzsicherheit wird nichts nützen!
Nur wenn sich wirklich geballter Widerstand in den Fabriken entwickelt, nur wenn gestreikt und die Produktion lahmgelegt wird, nur dann wird sich die ArbeiterInnenklasse nicht nur wehren, sondern auch Forderungen stellen können, die weit darüber hinaus gehen. Lassen wir uns nichts vormachen, Gewinne und Dividenden sprudeln!
Was vor dem Hintergrund des von uns erwirtschafteten Reichtums schon lange dran ist: 30 Stunden-Woche, Verbot der gesundheitsschädlichen Nachtschichten, Vier-Tage-Woche… das alles sind „nur“ einfache Reformen und würden uns die Krise besser überstehen lassen. Aber das ist natürlich weder im Sinn noch eine Option der Bonzen und Konzernherrn. Es liegt an uns ArbeiterInnen, diese und weitreichendere Forderungen durchzusetzen.
Die Großkonzerne werden aus der Krise sowohl international wie national gestärkt hervorgehen. Aber für die ArbeiterInnen in diesem Produktionszweig ist weltweit eine drastische Arbeitsplatzvernichtungs-Welle schon längst im Gange. Die Schätzungen über den Umfang der Jobstreichungen liegen bei 400 000 von aktuell 900 000 Jobs in der Auto- und Zulieferindustrie in Deutschland.
Auf die Frage inwieweit diese Umstellung auf Elektromobilität als Teil des sogenannten „Green-Deals“ tatsächlich Umweltschutz stärken wird, gehen wir hier nicht näher ein. Nur so viel, für alle kapitalismuskritischen und revolutionären Bewegungen ist klar, das ist kein Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise sondern eine Verlagerung und Ausweitung der Profitstrategien des Monopolkapitals im „grünen“ Mäntelchen.
Knapp gesagt: Der Strom kommt eben nicht einfach aus der Steckdose! Kein Stromerzeuger ist wirklich „grün“ – Stichwort: Atomkraft, Braunkohle oder Wasserkraftwerke. Und: Ein Elektroauto muss mindestens 100 000 km gefahren werden, bevor es in der Ökobilanz besser abschneidet als ein vergleichbarer PKW. Und hier reden wir nicht von der Mogelpackung Plug-In-Hybrid.
Anstatt Öffentlichen Personen Nah- und Fernverkehr so auszubauen, dass Individualverkehr im eigenen Auto überflüssig wird, anstatt Antriebsmöglichkeiten technologisch zu entwickeln, die nicht zu den Ressourcenzerstörern zählen, anstatt ressourcenschützende Gesellschaftsmodelle zu verwirklichen, wird weiter in der kapitalistischen Logik gewirtschaftet. Was anderes ist im herrschenden System auch nicht zu erwarten.
Aktuell haben diese Entwicklungen zum Beispiel beim Daimler-Konzern dazu geführt, dass die Geschäftsführung die Streichung von bis zu 30 000 Jobs auf dem Schirm hat.
Umstrukturierungspläne sind beschlossene Sache. Die so genannten Stammbelegschaften mit KollegInnen in unbefristeten direkten Verträgen werden reduziert, indem zum Beispiel viele KollegInnen in Frührente geschickt und Fremdvergaben (Auslagerung von Produktionssektoren) forciert werden.
Die Arbeitsplatzvernichtung inklusive Massenentlassungen wird durch die drastische Reduzierung der LeiharbeiterInnenbeschäftigung verschleiert. Gleichzeitig führen Rationalisierungsprozesse und Produktivitätssteigerung zur Arbeitsverdichtung und damit zu verschärfter Ausbeutung.
DAX-Konzern Continental – Werksschließungen & Arbeitsplatzvernichtung
Continental hat Produktionsstätten in sechzig Ländern und beschäftigt über 240 000 Werktätige. Dem Konzern geht es profitratenmäßig spitze. 600 Millionen Euro Dividenden sind es allein in 2020. Aber natürlich wird weiter an der Gewinnmaximierungs-Spirale gedreht.
Im September hat der Vorstand des Continental-Konzerns ein einschneidendes „Sparprogramm“ verkündet. Am 30. September 2020 hat der Aufsichtsrat der Continental AG die seit Anfang September 2020 bekanntgegebenen erweiterten Maßnahmen des wohlklingenden Programms „Transformation 2019-2029“ bestätigt.
Damit seien, so suggeriert der Vorstand, die „Weichen für eine zukunfts- und wettbewerbsfähige Aufstellung des Reifenbereichs gestellt“. Diese sieht in der harten Realität des ArbeiterInnenlebens wie folgt aus:
Weltweit werden 30 000 und bundesweit 13 000 Arbeitsplätze auf dem Altar des Profits geopfert. Die Konzernleitung schließt in Deutschland auch „ökonomisch rentable“ Standorte. Weil woanders kostengünstiger produziert werden kann und noch mehr Profit herauszuholen ist. Weil die Bosse den Hals nicht voll kriegen, werden komplette Belegschaften einfach auf die Straße gesetzt und an zahlreichen Standorten umfassende Entlassungen geplant.
In Karben/Hessen schließt das Werk mit seinen 1 100 Beschäftigten bis Ende 2024, in Regensburg/Oberpfalz werden, vornehm ausgedrückt, „Strukturanpassungen“, d.h. Entlassungen von ca. 2 100 ArbeiterInnen vorgenommen. Auch das Conti-Werk in Aachen/NRW wird 2021 komplett geschlossen. Über 1 800 ArbeiterInnen werden gefeuert – Zielbahnhof: Erwerbslosigkeit. Weder wurden die Belegschaften noch die Gewerkschaften über diese „Maßnahmen“ vorab informiert, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt.
Wir dokumentieren unser Flugblatt, das wir mehrfach vor der Conti-Fabrik Aachen beim Schichtwechsel verteilt haben. Da wir in NRW vor Ort sind, haben wir uns an den Protesten und Demos aktiv beteiligt. Über unsere Erfahrungen und Diskussionen wollen wir auch ausführlich berichten, um daraus für kommende Kämpfe zu lernen, damit wir verstärkt eingreifen können!
Contis Firmenphilosophie – Gewinnermentalität
Auf seiner Webseiten-Selbstdarstellung protzt der Konzern unter der Rubrik „Unternehmenswerte“ mit seiner Unternehmensstrategie und Philosophie ii. Und das haben sie sich auf ihre Fahnen geschrieben:
„Bei Continental teilen alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vier grundlegende Unternehmenswerte. Sie bilden die Wurzeln unserer Unternehmenskultur: Vertrauen, Gewinnermentalität, Freiheit und Verbundenheit. Wir sind davon überzeugt: nur in einem damit geprägten Umfeld entstehen maßgebliche und wegweisende Leistungen, Lösungen und Beiträge“.
„Vertrauen“, so die Konzernleitung, „ist die Grundlage all unseres Handelns … Wir halten, was wir versprechen. Das gilt für alle unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter … Uns ist bewusst, dass Vertrauen schwer gewonnen und leicht zerstört werden kann. Deshalb beweisen wir zu jeder Zeit, dass sich das in uns gesetzte Vertrauen lohnt.“
Das ist ein Schlag ins Gesicht aller ArbeiterInnen, die jetzt entlassen werden und keine Perspektive auf einen neuen Job haben.
„Gewinnermentalität“ wird inhaltlich so gefüllt: „Wir wollen gewinnen. Wettbewerb ist unsere Welt, die Spitzenleistung unser Ziel.“
Diese verlogene Floskel ist ein ganz besonderer Hohn gegenüber denjenigen, die den Mehrwert schaffen, den Profit, den sich die Conti-Aktionäre und Konzernbosse in die Taschen scheffeln. Ja, die Bosse wollen gewinnen, und das tun sie auch. Aber die Conti-ArbeiterInnen teilen diesen Wert mit Sicherheit weder gestern noch heute mit der Konzernspitze. Dieses „Wir sitzen alle in einem Boot“ ist geradezu widerwärtig.
Die reale Botschaft der „Gewinnermentalität“ ist, liebe MitarbeiterInnen, so die Logik des Konzerns, wir teilen diese Mentalität des Gewinnens nur in Bezug auf die Steigerung unserer Dividenden und Profite und deswegen auch nur mit den GroßaktionärInnen – aber ganz sicher nicht mit Euch. Und wenn eine Profitschmälerung in Aussicht ist, dann setzen wir euch eben einfach auf die Straße. Denn dann, so der neue Vorstandchef des Aufsichtsrates Setzer, gehören wir zu den „Gewinnern der Transformation der Mobilitätsindustrie“.
Aber die VerliererInnen sind die „MitarbeiterInnen“, die ArbeiterInnen! Der wahre, der tatsächliche Conti-Unternehmenswert, das Interesse der Conti-Kapitalisten, nämlich der „Maximalprofit“ steht im krassen Gegensatz zu den Interessen der Conti-ArbeiterInnen und entzieht ihnen durch Job-Vernichtung ihre Lebensgrundlage!
Was tut „unsere“ Gewerkschaft?
Die große Mehrheit der ArbeiterInnen ist selbstverständlich wütend, wollen sich wehren und demonstrieren. Natürlich zog die IG BCE Gewerkschaftsführung in die „Schlacht“ und rief mit eingängigen Slogans „Conti – Jetzt gibt’s contra“ zu Demonstrationen in Aachen, Frankfurt und Hannover auf.
Aus der brodelnden Stimmung sollte Dampf abgelassen werden. Die von ArbeiterInnen vor den Toren der anderen betroffenen Werke durchgeführten spontanen Aktionen wurden von den GewerkschaftsfunktionärInnen teils unterstützt aber auch stark instrumentalisiert.
In Hannover demonstrierten über 2 000 KollegInnen bundesweit angereist am 29.September, einen Tag vor der entscheidenden Aufsichtsratssitzung, die das „Sparprogramm“ des Vorstands endgültig absegnete.
Mit Bussen kamen sie von den verschiedenen Conti-Standorten, mit Parolen und Transparenten: „Continental-hilflos-konzeptlos-respektlos“ oder „Continental verschaukelt 13 000 Mitarbeiter“. Auch mit einer überdimensionalen „Karte des Kahlschlags“, auf der die bundesweit von Schließung und Massenentlassung bedrohten Standorte eingezeichnet sind.
Die stellvertretende Vorsitzende der IG Metall und Vize-Aufsichtsratschefin von Continental (!), Christiane Benner forderte: „Wir werden nicht zulassen, dass ein Traditionskonzern kaputtgespart wird.“ iii
Und Michael Vassiliadis, Chef der IG BCE appellierte gar an ‚deutsche Unternehmertugenden’: „Was hier beraten wird, ist nicht einfach ein Aufsichtsratsbeschluss. Hier entscheidet ein deutscher Vorzeigekonzern darüber, ob er den Pfad des Zusammenhalts und der sozialen Verantwortung verlässt.“ iv
Diesem Vorstand wurde in einer Sitzungspause eine Petition von Betriebsrat, IG Metall und IG BCE mit 28 620 Unterschriften übergeben, „die Arbeitsplatzsicherung und verlässliche Perspektiven für alle Beschäftigten“ einfordert.
Natürlich wurde protestiert, weil die Gewerkschaft nicht in die Entscheidungen der Konzernführung einbezogen worden waren. Natürlich wurden große Worte geschwungen. Betriebsräte aus betroffenen Conti-Betrieben kündigten einen „schweren Konflikt“ an.
IG BCE Chef Vassiliadis prophezeite: „Wir werden dafür sorgen, dass Conti zur Vernunft zurückkehrt und respektvoll mit seinen Beschäftigten umgeht.“ Und er drohte: „Dieser Stellenabbau wird teuer.“v
Aber wo ist die wirkliche Mobilisierung der 13000 ArbeiterInnen, deren Jobs bedroht sind? Die hat nicht stattgefunden und die wird mit diesen mit dem Kapital verflochtenen Gewerkschafts- und BetriebsratsfürstInnen auch nicht stattfinden. Statt auf militanten Klassenkampf, Streik und Betriebsbesetzungen orientieren die „gelben“ DGB-Gewerkschaften, in diesem Fall die IG BCE, auf Ausgleich, Verständigung mit den Konzernherren, Kompromisslösung, Petitionen, ja, auf Verrat an den ArbeiterInneninteressen.
Die auf möglichst kleiner Flamme gehaltenen Aktionen der ArbeiterInnen sind nur ein Faustpfand bei den Verhandlungen. Wir sollen Dampf ablassen, während unsere Interessen für den Machterhalt unserer so genannten InteressenvertreterInnen in Verhandlungen hinter verschlossenen Türen verraten und verkauft werden… Doch ohne Aktionen wären wir komplett verloren, nutzen wir also diese Minimalversion als Übung, als Training für kommende Kämpfe, in Vorbereitung auf militante Aktionen des Klassenkampfs für die Durchsetzung unserer tatsächlichen Interessen!
IG BCE:
Kunde hochkarätiger Unternehmensberater &
auf Investoren-Suche
Anhand des Vorgehens von IG BCE und dem Betriebsrat des Werkes in Aachen lässt sich die verheerende Rolle von Gewerkschaft und Betriebsratsfürsten als Co-Manager, die auf die Zusammenarbeit mit Konzern und Bossen setzen, nur allzu deutlich illustrieren.
Die IG BCE ist, wie auch die anderen DGB-Gewerkschaften, keine wirkliche Interessenvertreterin der ArbeiterInnen. Anstatt auf die Betriebsschließungen und Entlassungen massiv und offensiv mit Betriebsbesetzungen, Streiks etc. zu reagieren, ringt sie darum, mit der Konzernführung „Lösungen“ per Unternehmensberatung – von der Gewerkschaft finanziert – um „das Werk zu retten“.
Sie setzt nicht auf das Vertrauen in die ArbeiterInnenkraft, sondern auf Anwälte und Unternehmensberater, um mit dem Conti-Vorstand einen Deal zu machen. IG BCE Chef Vassiliadis: „Sie [die Werksleitung] wollen das Werk dichtmachen und die Kapazitäten später an Niedriglohnstandorten wiederaufbauen. Wir hätten mögliche Investoren fürs Werk, Conti blockiert.“vi
Am 12. Dezember veröffentlicht die IG BCE eine Pressemitteilung: „Betriebsrat und IGBCE haben gemeinsam mit einer Unternehmensberatung ein umfangreiches Konzept zur nachhaltigen Standortsicherung des von der Schließung bedrohten Continental-Reifenwerks in Aachen vorgelegt.
Das Eckpunktepapier mit dem Titel ‚Aachen neu denken’ sieht eine weitere wirtschaftliche Optimierung des ohnehin schon profitablen Reifenwerkes vor, einschließlich eines schrittweisen, sozialverträglichen Abbaus am Standort bestehender Personalüberhänge. Zugleich soll weiteres, alle übrigen Bereiche am Standort betreffendes Optimierungspotenzial von den Betriebsparteien gemeinsam schnell gehoben werden. Im Gegenzug kann die für Ende 2021 geplante Schließung des Standorts ausgesetzt und bis einschließlich 2024 gemeinsam nach Alternativen gesucht werden. Dazu gehört neben dem Verbleib des optimierten Standortes im Continental-Verbund auch die Abgabe des Werks an Investoren.
Doch bislang verschließt sich Continental einer konstruktiven Lösung. Das Unternehmen wolle offenbar um jeden Preis die Schließung zum Jahresende 2021 durchsetzen. ‚Hier wird stumpf das Conti-Standardvorgehen für Kostensenkungen im Reifenbereich verfolgt. An einer echten Perspektive für Aachen hat das Management offenbar kein Interesse’, so die Betriebsräte. (…) Vor diesem Hintergrund erwarten Beschäftigte, Betriebsrat und IGBCE von Continental, dass der Konzern im Sinne aller Stakeholder auf einen konstruktiven Lösungsansatz umschwenkt.“ vii
Wir fügen hinzu, der Betriebsrat Werk Aachen führt den Klassenkampf auf ganz eigene Weise. Im Extrablatt der Spurrille (Betriebsratszeitung im Conti-Werk Aachen) verkündet er: „Uns stehen die IGBCE und die Rechtsanwaltskanzlei THÜR WERNER SONTAG und die renommierte Wirtschaftsberatung KEMPER & SCHLOMSKI zur Seite.“ viii
Na dann …ist ja alles bestens! Also von unseren Mitgliedsbeiträgen und Gewerkschaftsgeldern haben IG BCE und der Betriebsrat fett bezahlte UnternehmensberaterInnen angeheuert, um dem Conti-Aufsichtsrat ein „Gegenmodell“ zum Erhalt der Aachener Fabrik anzutragen und die Fabrik „zu retten“. Anstatt alle Kräfte und Finanzmittel zur Mobilisierung der KollegInnen für den Widerstand einzusetzen.
Mittlerweile wurde zwar der Vorstandsvorsitzende bei Continental ausgewechselt, aber der Konzern hält eisern an seiner Strategie fest.
Entgegen allen Anbiedereien der Gewerkschaft und des Betriebsrates wird weiterhin auf den eingeschlagenen Kurs gesetzt. In einer Presseerklärung am 16. Dezember verkündet der neue Vorstandsvorsitzende Continental-CEO Nikolai Setzer:
„Mit unseren zukunftsorientierten Technologien und unserem erfolgsgetriebenen weltweiten Team werden wir zu den Gewinnern der Transformation der Mobilitätsindustrie zählen.“ ix Damit hat Setzer den Nagel auf den Kopf getroffen!
Warum auch sollte das Continental-Monopol sein technologisch bestens ausgestattetes Reifenwerk an einen Konkurrenten verkaufen? Da lohnt es sich doch viel mehr, die Aachener Fabrik dicht zu machen, die Maschinen auf den Schrott zu bringen und alles als Verluste steuerlich abzuschreiben?!
Welch ein Hohn – aber das ist die Realität im Kapitalismus: Zur Maximierung der Profite gehört auch immer wieder die Vernichtung von Produktionsmitteln und anderen Werten.
Vor Ort:
Strategiediskussionen mit
Conti-ArbeiterInnen
Anfang Oktober verteilten wir zum ersten Mal vor dem Aachener Continental-Werk zwischen Spät- und Nachtschicht unser Flugblatt über die Werksschließung. Fast alle Conti-ArbeiterInnen nahmen unser Flugblatt interessiert und bereitwillig entgegen.
Mit vielen haben wir über die aktuelle Situation gesprochen und diskutiert. In jedem Gespräch haben sie ihre Enttäuschungen, ihre Hilfslosigkeit, ihre Wut und ihren Ärger zum Ausdruck gebracht. Sie wollten in ein, zwei Minuten unendlich vieles loswerden und erzählen. Sie waren wie ein spuckender Vulkan.
Als einige Conti-ArbeiterInnen den Titel unseres Flugblattes „Verraten und Verkauft!“ oder „Streik und Betriebsbesetzung“ gelesen haben, haben sie uns zugestimmt und sich bedankt. „Wir brauchen Leute wie Euch“, „wir brauchen entschlossene ArbeiterkämpferInnen wie euch, die den Arbeitskampf leiten“. Einige von ihnen stimmen auch unserer Kampf-Forderung „Streik & Betriebsbesetzung!“ zu und halten sie für sehr richtig. Aber sie zweifeln auch sofort, „Wer würde das tun und unterstützen? Der Betriebsrat? Die Gewerkschaft? Oder Armin Laschet, Harald Baal x oder die Parteien wie CDU, SPD, Grünen oder Die Linke?“
Sie haben sich diese Fragen selbst beantwortet: „Betriebsrat und die Gewerkschaft informieren uns überhaupt nicht rechtzeitig. Sie verraten und verkaufen uns täglich. Sie entscheiden gegen unsere Interessen. Auch die Parteien. Aber wir können nichts tun. Oder was können wir dagegen tun?“
Wir haben geantwortet: „Vertraut auf euch selbst. Auf die KollegInnen in den anderen Conti-Werken. Vernetzt euch selbständig nicht über den Gewerkschaftsapparat. Nur wenn ihr auf eure eigene Klassenstärke vertraut, könnt ihr was erreichen. Ihr habt nichts zu verlieren. Ihr müsst die Sache selbst in die Hand nehmen. Es gibt niemanden außer euch selbst, der dies tut.
Diejenigen, die euch verraten und verkaufen, die können euren Kampf nicht auf die richtige Bahn lenken. Das einzig Richtige, was ihr jetzt tun könnt, ist:
Streik, Widerstand, Betriebsbesetzung und Arbeitskampf.
Erinnert euch: Vor Jahren haben die Kapitalisten das gegenüber Continental stehende Philips LG Werk dicht gemacht. Sie haben nur zur Profiterhöhung die Produktion in ein anderes Land verlagert, den Standort gewechselt. Damit sie mehr Gewinn erzielen und die ArbeiterInnen maximaler ausbeuten können. Gestern war es die Philips LG, heute Continental. Zu einem anderen Zeitpunkt wird ein anderes Unternehmen wieder in ein anderes Land ziehen, um mehr Profit zu erzielen.
Das ist der Kapitalismus. Im kapitalistischen System steht der Profit an erster Stelle, alles andere hintenan. Im kapitalistischen System sind wir ArbeiterInnen eine Nummer. Nichts wert! Wir werden in die Erwerbslosigkeit gestürzt, wir leben im Leid und Elend, uns wird kein gesichertes selbstbestimmtes Leben mit Familien, PartnerInnen, FreundInnen zugestanden.
Wir ArbeiterInnen haben in diesem System keine Zukunft! Schließungen stehen als Symbol, als konkretes Beispiel für die Angriffe des kapitalistischen Systems auf die Arbeits- und Lebensbedingungen von uns ArbeiterInnen. Der einzige Kampf gegen den Continental-Konzern ist Streik und Widerstand! Betriebsbesetzung! Die Kapitalisten lassen euch und damit uns allen keine andere Wahl.“
Einige ArbeiterInnen fallen uns ins Wort und protestieren sofort: „Wir haben gekämpft, wir sind nach Frankfurt gefahren, wir sind nach Hannover gefahren. Wir haben Kundgebungen vor dem Werk gemacht. Wir haben eine Demonstration in der Innenstadt organisiert. Aber wir haben den Kampf nicht gewonnen. Jetzt haben wir keine andere Wahl, als noch ein weiteres Jahr zu arbeiten, und dann wird hier dicht gemacht. Wenn wir streiken oder die Fabrik besetzen, werden wir dieses weitere Jahr auch verlieren.“
In dieser Diskussion geben wir zu bedenken: „Ja, natürlich seid ihr nach Frankfurt gefahren, nach Hannover gefahren und habt Kundgebungen und Demonstrationen organisiert. Natürlich habt ihr einiges versucht, in Bewegung zu setzen, habt versucht euren Stimmen Gehör zu verschaffen. Das sind wichtige Schritte. Aber das hat nicht gereicht. Ihr habt mit dem Kampf angefangen, aber der hat nicht zum Erfolg geführt. Ihr habt den Kampf nicht weitergeführt.
Wir ArbeiterInnen sollten den Kampf, da wo er stottert, auf eine andere Art verwandeln, den Kampf verschärfen und ihn zuspitzen. Nächster Schritt wäre bei Continental gewesen: Streik und Betriebsbesetzung! Natürlich funktioniert das nur mit starker Kraft und Ausdauer. Euer entschlossener Kampf wäre für alle Betriebe, die eine Verlagerung planen, eindrucksvolles Beispiel gewesen.
Die Auswirkungen wären sehr positiv, das hätten wir in der ganzen Republik gespürt. Vielleicht hätte dieses positive Zeichen eine Reihe kapitalistischer Unternehmen daran gehindert, den Standort zu schließen, die Rationalisierung verschärft voranzutreiben.“
Einige der ArbeiterInnen, die unsere Diskussionen hörten, stimmten uns zu. Aber sie konnten ihre Angst und Verzweiflung auf ihren Gesichtern nicht verbergen.
Während unserer Diskussionen kamen zwei Mitarbeiter der Werkssicherheit zu uns. Sie fragten uns, was wir hier machen. Wir haben geantwortet, „wir verteilen Flugblätter gegen die Continental-Werkschließung.“ Sie warnten uns, nicht auf dem Werksgelände Flugblätter zu verteilen und baten uns ganz höflich, das Werksgelände zu verlassen. Wir haben dieser Haltung des Sicherheitspersonals widersprochen. „Sie verlieren bald ihren Arbeitsplatz, das Werk wird geschlossen. Sie werden auf die Straße geworfen, in die Erwerbslosigkeit geschickt. Wir verteilen ein Solidaritätsflugblatt dagegen und Sie versuchen uns, zu vertreiben. Ist das fair und korrekt?“
Das Sicherheitspersonal war fassungslos, konnte unserem Einwand nicht widersprechen und entschied sich, unseren Diskussionen zuzuhören. Danach gab es kein großes Hindernis. Unsere Diskussion lief weiter. Einige ArbeiterInnen haben später vorgeschlagen, dieses Flugblatt auch einmal auf Türkisch zu verteilen.
Zweite Flugblattverteil-Aktion
Ende Oktober waren wir wieder vor dem Werk. Wir haben wieder unser Flugblatt, dieses Mal auch auf Türkisch zwischen der Früh- und Spätschicht verteilt. Wir haben neue ArbeiterInnen, die wir noch nicht erreicht hatten, getroffen.
Wir haben ähnliche Dinge erlebt, die wir zuvor gesehen haben. Die ArbeiterInnen waren dieses Mal sehr angespannt, verärgert und traurig. Die meisten in der Frühschicht haben keine Kraft mehr. Sie waren müde, blass und erschöpft. Sie machten den Eindruck, dass sie ihre Beine nicht mehr heben können. Sie wollten so schnell wie möglich nach Hause kommen und sich aufs Sofa legen. Trotz allem gingen die meisten ArbeiterInnen mit unserem Flugblatt nach Hause. Einige Dutzende ArbeiterInnen waren mit unserer Meinung vertraut.
Die Flugblätter, die wir in der Nachtschicht verteilt hatten, erreichten die Kantine und die Umkleideräume. Die Gespräche und Diskussionen, die wir mit den ArbeiterInnen führten, zeigten uns, dass sie untereinander über unser Flugblatt diskutiert haben. Etliche ArbeiterInnen akzeptierten widerspruchslos unsere Forderung nach „Widerstand, Streik und Fabrikbesetzung“.
Das Problem war, wer diesen Schritt machen würde. Sollte einer diesen mutigen Schritt machen, hätten sie sich sofort zusammengeschlossen. Die Gespräche, die Einstellungen der ArbeiterInnen gaben uns dieses Gefühl. Da die ArbeiterInnen sich keine Organisierungsform vorstellen konnten, die für ihre Interessen einsteht, haben sie kein Vertrauen in sich selbst und in ihre eigene Stärke. Und nirgends konnten sie einen Funken sehen, der sie aufrüttelt. Sie waren voller Angst und Unsicherheit. Als ob die Seite, sich für Widerstand zu entscheiden, für sie geschlossen ist.
Viele der ArbeiterInnen sind 25 bis 30 Jahre bei Conti beschäftigt. Sie dachten, sie würden bis zur Rente hier arbeiten. Dann kam die Information zur Werksschließung. Ihre Reaktionen: „Wir konnten die Schließungsansage nicht glauben! Das war wie ein Schlag ins Gesicht! Wir wussten nicht, was wir tun sollen! Ich bin 52, ich bin 55, ich bin 57 … wo werde ich in diesem Alter noch einen Job finden?“
Weitere ArbeiterInnen – mit denen wir gesprochen und diskutiert haben – fanden unsere Forderung „Widerstand, Streik und Fabrikbesetzung“ links und sektiererisch. Sie warfen uns vor, „ihr habt falsche und unvollständige Informationen, beachtet die konkrete Situation nicht und kennt die Rechte der Conti-ArbeiterInnen nicht. Wir haben kein Streikrecht während die Tarifverträge laufen“.
Weiter argumentierten sie: „Euer Aufruf für einen wilden Streik ist falsch. Das würde bedeuten, dass wir ein Jahr früher in die Arbeitslosigkeit gestürzt werden. Auch unsere Entschädigungsrechte bzw. Abfindung würden wir verlieren. Wir würden einer Reihe von Strafverfolgungen ausgesetzt werden etc.. Einen solchen wilden Widerstand, Streik und Fabrikbesetzung, das können nur die Franzosen praktizieren. So was kann man nicht von den deutschen ArbeiterInnen, die diese Streik-Kultur und den Mut nicht haben, erwarten.“
Ein weiterer Einwand war: „Als die Philipps LG Glasfabrik geschlossen wurde, haben die ArbeiterInnen drei Monate lang am Eingang der Fabrik Streikzelte eingerichtet und drei Monate lang gekämpft. Sie haben trotzdem verloren.“
Wir haben versucht in der Diskussion mit den Conti-ArbeiterInnen zu überzeugen: „Der Kampf ist noch nicht verloren. Der Kampf hat gerade erst begonnen. Wenn ihr wollt, könnt ihr – um jeden Preis – diesen Kampf erneut beginnen. Die Auswirkung eines solchen Kampfes würde sehr groß sein.
ArbeiterInnen, die in anderen Betrieben arbeiten, werden bestimmt euren Widerstand bzw. Streik unterstützen und sich solidarisieren. Die Bevölkerung vor Ort wird sich solidarisieren. Wenn ihr sagt, wir vertrauen unserer eigenen Stärke nicht, wir können nichts tun, wir werden nicht wie französische ArbeiterInnen kämpfen. Dann ist das Kapitulation! Warum nehmen wir die französischen ArbeiterInnen nicht zum Vorbild? Die Continental-Bosse haben keine andere Option als ‚Widerstand, Streik und Fabrikbesetzung’ gelassen! Welche andere Option könnte es geben?
Natürlich wollen wir nicht, dass die ArbeiterInnen ihre gesetzlichen Arbeitsrechte, ihre Entschädigung bzw. Abfindungen verlieren. Aber, haben wir eine andere Alternative? ‚Von nichts kommt nichts!’ Der Kampf kann nicht ohne Opfer gewonnen werden!
Selbst wenn die Schließung auch mit Kampf nicht verhindert werden kann, trifft es die Conti-Bosse doch sehr, wenn sie die Profite durch Streik verlieren. Selbst Abfindungen können mit so einem Kampf höher ausfallen. Unter’m Strich kann uns nur der Kampf selbst zeigen, was wir gewinnen können, wenn wir nichts mehr zu verlieren haben!“
Trotz alledem war unsere Aktion erfolgreich. Wir Arbeiter-AktivistInnen sind ins Gespräch mit den Conti-KollegInnen gekommen, haben viel über ihre Stimmung und Einschätzung erfahren. Wir haben zumindest Fragezeichen setzen, kritisches Nachdenken und Auseinandersetzungen mit anderen Widerstandsmöglichkeiten anregen können. Zur Diskussion über eigenständige Organisierungsformen, wie Kampf- und Streikkomitees sind wir nur in Ansätzen gekommen.
Wir haben aber bei den Gesprächen und Diskussionen mit den Conti-KollegInnen noch einmal eine nackte Wahrheit erlebt und gesehen: Die ArbeiterInnen sind unorganisiert und durch vielerlei Ketten an das kapitalistische Ausbeutung- und Unterdrückungssystem gebunden.
Wir haben gesehen, dass sie weit vom Klassenbewusstsein entfernt sind, um diese Ketten des kapitalistischen Ausbeutungssystems zu brechen. In dieser kurzen Praxis haben wir einmal mehr erlebt, gesehen, die ArbeiterInnenklasse hat keine Organisation, die ihre Interessen vertritt und verteidigt; ihr Klassenbewusstsein stärkt und eine Richtung aufzeigt.
Wir haben erneut in der Praxis erlebt, wie wichtig es ist, eine so wegweisende Organisation aufzubauen. Für den Aufbau dieser kommunistischen Organisation muss die Arbeit in den Betrieben/Fabriken im Vordergrund stehen. Nur so werden wir das Ziel erreichen, „Fabriken und Betriebe zu unseren Festungen!“ umzuwandeln. Nur so wird die Arbeiterklasse ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen können. Nur so wird der Klassenkampf gegen die Bourgeoisie zum Sieg geführt!
Wir werden weiter am Ball bleiben und unsere Kontakte mit den Conti-ArbeiterInnen ausbauen und mit ihnen gemeinsam kämpfen!
Wer kämpft kann verlieren!
Wer nicht kämpft hat schon verloren!
Arbeiter-AktivistInnen
Im Interview mit ‚Auto-Experten’ Kipferler wird vom Spiegel die Frage gestellt:
„Der Studie der ‚Neuen Plattform Zukunft der Mobilität’ (NPM) zufolge droht durch den Umstieg auf Elektroantriebe bis 2030 der Wegfall von 410000 Arbeitsplätzen. Wieso könnten in der Autoindustrie so viele Arbeitsplätze wegfallen?” Seine Antwort lautet: „Man muss das präzisieren: Zwei Drittel der 410000 in der Studie genannten Arbeitsplätze fallen allein durch Produktivitätsgewinne weg, beispielsweise durch eine effizientere Fertigung. Dadurch werden weniger Arbeitskräfte benötigt. Das ist ein ganz normaler Prozess, der in der Industrie seit Jahrzehnten stattfindet.
Toyota steigert seine Produktivität jedes Jahr um vier bis sechs Prozent, von 1000 Arbeitskräften werden am Ende des Jahres also nur noch 940 benötigt. Dieser Effekt wurde im vergangenen Jahrzehnt jedoch vom Wachstum der Autoindustrie überdeckt. Dadurch wurden die Menschen nicht entlassen, sondern an anderer Stelle eingesetzt“.
Spiegel: „Das wird im kommenden Jahrzehnt aber nicht passieren?“ Kipferler: „Nein, denn die Märkte haben ihren Höhepunkt erreicht und werden stagnieren, auch in China und den USA. Bei rund sechs Millionen Beschäftigten und einem Zeitraum von zehn Jahren gehen dann viele Arbeitsplätze verloren.
Das geschieht aber nicht über Nacht, sondern schrittweise. Auf das Konto der Elektromobilität geht der Studie zufolge dagegen nur rund ein Drittel der Arbeitsplätze …“xi
Im Aachener Continental-Werk arbeiten insgesamt 1800 ArbeiterInnen.
Dazu kommen noch die indirekt Beschäftigten von Zulieferfirmen. Die tatsächliche Zahl der von Erwerbslosigkeit bedrohten ArbeiterInnen, nämlich inklusive der Belegschaften in den gleichfalls schließenden Zulieferbetriebe, beläuft sich auf ca. 2 500.
Die Aachener Conti-Belegschaft umfasst eine große Anzahl ArbeiterInnen aus der Türkei – Nord Kurdistan und viele ArbeiterInnen aus ost- und mitteleuropäischen Ländern. Viele sind zweite bzw. dritte Generation aus MigrantInnen-Familien, entweder hier geboren oder hier aufgewachsene Menschen mit Migrationshintergrund.
Etliche ArbeiterInnen müssen ihre Arbeitskraft als so genannte „nicht qualifizierte“, „angelernte“ sprich unterbezahlte ArbeiterInnen verkaufen. Manche sind als „ganze Familie“, Eltern und Kinder im Conti-Werk beschäftigt. Die Arbeitsbedingungen sind ausgesprochen schwer und anstrengend.
Pro Schicht produzieren die Aachener Conti-ArbeiterInnen 8 000 Reifen. Sie arbeiten im Vollkonti-Schichtmodell (Konti-Schichtmodelle basieren auf dem „Durchlaufen“ der Maschinen/Produktion – 24 Stunden, sieben Tage…).
Vollkonti bei Conti in Aachen heißt: Zwei Tage Frühschicht, Zwei Tage Spätschicht, Drei Tage Nachtschicht, zwei Tage Frei. Dieses Schichtsystem ist unmenschlich, kräftezehrend, bedingt Schlafstörungen, geht an die Substanz, macht krank und erschwert Beziehungen zwischen LebenspartnerInnen, Kindern, Familien und FreundInnen.
Ganz zu schweigen von einer aktiven Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, zum Beispiel politischen Aktivitäten, Sport oder Kultur. xii
Traditionskonzern Continental – Eine ganz besondere Nazi-Geschichte!
„Wir werden nicht zulassen, dass ein Traditionskonzern kaputtgespart wird!“, so der pathetische Aufruf der stellvertretenden Vorsitzenden der IG Metall und Vize-Aufsichtsratschefin von Continental, Christiane Benner auf der Protest-Demonstration in Hannover.
Wie so oft zeigt sich hier wieder einmal die deutsche Geschichtsvergessenheit oder im schlimmsten Fall die bewusste Verleugnung historischer Tatsachen. Der sich von deutschen PolitikerInnen und gesellschaftlichen Akteuren selbst verliehene Titel „Weltweit Vorbild in Vergangenheitsbewältigung“ wird einmal mehr als reine Werbephrase demaskiert.
Dieses Jahr wurde im August die vom Conti-Vorstand in Auftrag gegebene Studie „Zulieferer für Hitlers Krieg“ von Paul Erker xiii unter großem Tamtam präsentiert.
75 Jahre (!) nach dem Ende des 2. Weltkrieges stellt sich der Conti-Konzern angeblich seiner faschistischen Geschichte. Warum 2020? Nun, 1871 wurde am 8. Oktober die Aktiengesellschaft Continental-Caoutchouc- und Gutta Percha Companie gegründet. 2021 ist heiliges 100-jähriges Conti-Traditionskonzern-Jubiläum.
Eigentlich müsste der Vize-Aufsichtsratschefin Benner diese Tatsache geläufig sein. Um so gravierender der positive Bezug von Frau Benner „auf die Traditionsgeschichte des Konzerns“. Der Fakt ist unserer Meinung nach schon lange bekannt, Continental war einer der wichtigen Industriebetriebe, der mit zum Rückgrat der deutschen Kriegswirtschaft zählte.
Die Conti-AG hat das Nazireich, seinen Welteroberungskrieg, seine Völkermordpolitik und seine Unterdrückungswillkür gegen jeden politischen Widerstand in der ArbeiterInnenklasse aktiv mitgetragen und zu verantworten.
Der „Traditionskonzern“ Continental trug während der Faschismus-Diktatur stolz die Auszeichnung „Nazi-Musterbetrieb“. Zwangs-Entlassungen jüdischer MitarbeiterInnen, Abservieren leitender jüdischer Angestellter waren der Auftakt, damit sich die Konzernführung bereits 1934 als ein „rein deutsches und christliches, fast ganz judenfreies Unternehmen“ xiv brüsten konnte. Abgeschlossen war die vollständige ‚Arisierung‘ der Firma 1938.
Die Studie hat den Anspruch ein „sehr differenziertes Bild“ der Konzernpolitik in diesem Zeitraum zu erstellen. Auf 867 Seiten werden natürlich Zwangsarbeit von Kriegsgefangenen, von KZ-Häftlingen erwähnt, teils auch dokumentiert. Allerdings wird die enge Kooperation von Continental und SS-Führung bei der brutalen Ausbeutung von Arbeitskräften im KZ-System lediglich als „Verstrickung“ des Konzerns eingeordnet. Leitmotiv der „Aufarbeitung“ scheint, zumindest nach der eigenen Kommentierung auf der Webseite des Conti-Konzerns zu urteilen, folgende Bewertung zu sein:
„Überhaupt ist das Bild oft nicht eindeutig, lässt sich kein simples Gut-Böse-Schema erkennen“. Und weiter: „Continental gehört laut Erker nicht zu den Schlimmsten, aber die Schuld sei mit Blick auf die Zwangsarbeit auch eindeutig belegt.“
So kann sich die Conti-Führung mit ihrem Wertekanon doch noch einmal davon stehlen: „Wir gehörten nicht zu den Schlimmsten“. Wenn das 2020 kein Persilschein ist! Den ersten Persilschein hatten sich die verantwortlichen Führungskräfte der Conti-AG bereits unmittelbar nach dem Krieg besorgt. Fast alle Entnazifizierungsverfahren gegen diese Täter wurden mit einer „Entlastung“ beendet.
Eine Personalie „Wehrwirtschaftsführer“ Fritz Könecke, strammer Nazi-Generaldirektor der Continental-Werke seit 1940, steht, wie keine andere, stellvertretend für die Industriemanager und Großkapitalisten, der deutschen Nazi-Diktatur. Die Kontinuität des deutschen Finanzkapitals und seiner Industrieführer von Nazi-Reich-Industriegrößen zu „Erbauern der demokratischen Marktwirtschaft in Westdeutschland“ verkörperte er geradezu idealtypisch. 1945 wurde er zwar von Continental entlassen, im Entnazifizierungsverfahren dann aber vorhersehbar als „nicht betroffen“ eingestuft.
„1946 schrieben 16 ehemalige KZ-Häftlinge aus Ahlem an die britische Militärregierung in Deutschland. … ‚Im Namen der 850 toten Kameraden, die bei der Conti-Arbeit durch Prügel, Hunger und andere Quälereien ermordet wurden’ protestierten sie … ‚aufs Energischste gegen die Wiedereinsetzung des Nazi-Betriebsführers der Continental Gummiwerke AG, Dr. Könecke, sowie des früheren Nazi-Vorstands’. Diese tragen die Verantwortung für die Gräuel im Lager.“ xv Dieser Protest zeigte keinerlei Wirkung. Könecke kehrte nicht in den Vorstand von Conti zurück, setzte aber seine Karriere eifrig fort. Nach einem Zwischenspiel bei der Phoenix AG Hamburg (Gummi-Industrie) wurde er 1952 in den Daimler Vorstand berufen und war von 1953 bis 1960 sogar Vorsitzender in diesem Gremium. Die Karriere des Nazi-„Industriekapitäns“ wurde durch die Verleihung vieler Ehrentitel der westdeutschen Republik gekrönt:
Ehrendoktorwürde der TU Berlin, 1953 Großes Verdienstkreuz, 1965 Großes Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der BRD xvi.
Hauptanteilseigner an der Continental war damals die Familie Opel, ihre Beteiligung und ihre Verantwortung bleibt in dieser Geschichte bisher noch ganz unterbelichtet. Das ist das wahre Gesicht des Traditionskonzerns Continental.
i Ausgesprochen lesenswert: www.labournet.de/branchen/auto/auto-zulieferer/von-bosch-ueber-continental-bis-zf-der-zulieferer-branche-steht-ein-massiver-jobabbau-fabriken-droht-die-schliessung-gegen-die-krise-werden-klassische-rezepte-nichts-helfen/
02.10.2020 Von Bosch über Continental bis ZF: In der Zulieferer-Branche steht ein massiver Jobabbau an, Fabriken droht die Schließung. Gegen die Krise werden klassische Rezepte nichts helfen Dossier
ii www.continental.com/de/unternehmen/konzernstrategie/unsere-werte-29524
iii „Der Protesttag in Hannover“, Sonderticker Conti KW 40/20 Kalter Kapitalismus + Ticker Nachrichten + https://igbce.de/igbce/continental
iv ebenda
v Süddeutsche Zeitung, 08.12.2020
vi ebenda
vii „Continental verschließt sich Alternativkonzept für Aachener Reifenwerk“, IG BCE,14.12.2020, www.presseportal.de /pm/56813/4788632
viii Extrablatt, Zeitung des Betriebsrat Werk Aachen, 18.11.2020
ix Pressemitteilung /www.continental.com/de/presse/pressemitteilungen/kapitalmarkttage-242908
16.12.2020
x Fraktionsvorsitzender CDU Aachen, gleichzeitig CDU Oberbürgermeister-Kandidat für Aachen
xi Spiegel online, „Interview von Emil Nefzger mit Arthur Kipferler vom 15.01.2020“, labournet
xii Frühschicht/Frühschicht, Spätschicht/Spätschicht, Nachtschicht/Nachtschicht, Nachtschicht/Nachtschicht, Nachtschicht/Nachtschicht – 2 Tage frei.
xiii Paul Erkner, „Zulieferer für Hitlers Krieg. De Gruyter Oldenbourg, 2020, 49,95 Euro
xiv www.continental.com/de/unternehmen/ geschichte/meilensteine, s.a. www.continental.com/de/presse/pressemitteilungen/ns-studie-231726
xv Jürgen Dahlkamp, DER SPIEGEL: „Das eigentliche Rückgrat der Rüstungs- und Kriegswirtschaft“, Nr. 36/29.08.2020, S. 42
xvi de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Koeneke