„Kein Knoten für Zetkin“

AktionsbündnisAntikommunistischer Angriff abgewehrt

In Tübingen wurde verhindert, dass Clara Zetkin im Stadtbild
auf eine Stufe mit Faschisten gestellt wird

Clara Zetkin kämpfte für die Emanzipation der Frauen, gegen Krieg und Faschismus, für die Überwindung des Kapitalismus und eine sozialistische Gesellschaft. Die Stadt Tübingen wollte die Kommunistin in eine Reihe mit Nazis stellen: Die dortige Clara-Zetkin-Straße sollte mit einem „Knoten“ aus dem 3D-Drucker als „kritikwürdig“ gekennzeichnet werden – dabei handelt es sich um eine Markierung, die sonst nur Faschisten und Kriegsverbrecher bekommen. Nach mehrmonatigem Protest gegen dieses Vorhaben wurde dem Vorschlag vom Gemeinderat eine Absage erteilt.

Im Januar 2023 legte eine von der Stadtverwaltung beauftrage siebenköpfige „Kommission zur Überprüfung der Tübinger Straßennamen“ ihren Abschlussbericht vor. Die Historiker empfahlen, verschiedene Tübinger Straßen umzubenennen oder als „in der Kritik stehend“ zu markieren.

Dies betraf Straßen, die nach Personen benannt sind, die mit dem NS-Regime, mit Antisemitismus, Kriegsverbrechen oder Kolonialismus in Verbindung standen – und die Clara-Zetkin-Straße. Deren Namensgeberin warf die Kommission „Mitwirkung an Justizverbrechen“ und „Demokratiefeindlichkeit“ vor.

Schnell regte sich dagegen Protest: Unter dem Motto „Kein Knoten für Zetkin!“ bildete sich ein Aktionsbündnis. Es überprüfte und widerlegte die Behauptungen der Kommission und führte zahlreiche Aktionen und Veranstaltungen durch.

Im Oktober 2023 sprach der Tübinger Gemeinderat sich dann mit überwältigender Mehrheit gegen einen „Knoten“ für Zetkin aus.

Stalinistische Verfolgungspolitik“

„Moralisch kritikwürdig“ sei Clara Zetkin „vor allem deshalb, weil sie das gewaltsame Vorgehen der sowjetischen Machthaber gegen Oppositionelle nicht nur öffentlich verteidigte, sondern aktiv unterstützte“, heißt es im Abschlussbericht der Kommission.

Weiter wird ausgeführt: „So plädierte sie im Sommer 1922 als Anklägerin im Moskauer Schauprozess für die (letztlich nicht vollstreckte) Todesstrafe gegen eine Gruppe sogenannter Sozialrevolutionäre.“ Erst nach dem Prozess habe Zetkin dann „befürwortet“, dass die Strafen nicht vollstreckt wurden.

Es handelte sich bei den Sozialrevolutionären aber nicht um „Oppositionelle“, die lediglich die Politik der Regierung kritisiert hätten. Tatsächlich hatten sie sich mit zaristischen Kräften und den Entente-Staaten verbündet, um die Sowjet-Regierung gewaltsam zu stürzen, unter anderem mit Attentaten auf Führungspersönlichkeiten wie Lenin.

Den Angeklagten wurden Handlungen nachgewiesen, die in jedem Regierungssystem strafbar gewesen wären. Zetkin bezeichnete das Vorgehen der Sozialrevolutionäre 1922 als „Verschwörungs-, Aufstands- und Terrorpolitik“. Dennoch plädierte sie, anders als von der Kommission behauptet, nicht für Todesurteile.

Im Gegenteil: Zahlreiche historische Quellen belegen, dass sie sich im Rahmen des Prozesses stets gegen drohende Todesurteile eingesetzt hat. Die Darstellung der Kommission ist also höchst irreführend und historisch und wissenschaftlich nicht haltbar.

Weiter heißt es im Abschlussbericht, Zetkin habe im Moskauer Prozess für das „Recht und Gebot der Notwehr einer unterdrückt gewesenen und sich befreienden Klasse“ argumentiert. Dass dieses auch „jenseits der Grenzen der bürgerlichen Rechtsordnung“ zur Geltung kommen sollte, kritisiert die Kommission: „Im Kern war diese Argumentation Zetkins totalitär – und sie nahm den später vollzogenen Übergang zur stalinistischen Verfolgungspolitik vorweg.“

Kein Knoten für Zetkin Plakat

Tübinger Totalitarismus-Theorien

Dr. Johannes Großmann, der Vorsitzende der Kommission, wurde für seine Arbeit „Die Internationale der Konservativen“ von der Konrad-Adenauer-Stiftung ausgezeichnet; er betreibt außerdem momentan ein Forschungsprojekt über die „globale antikommunistische Gemeinschaft“ der 1960er-Jahre.

In ihrem Abschlussbericht beruft seine Kommission sich auf die Zetkin-Biographie von Tânia Puschnerat. Die Historikerin, die als Abteilungsleiterin beim Bundesamt für Verfassungsschutz und am gemeinsamen nachrichtendienstlichen Ausbildungszentrum von BND und Verfassungsschutz in Berlin tätig war, ist Anhängerin der Extremismus- und Totalitarismus-Theorie und versucht in ihrem Buch, das den Titel „Bürgerlichkeit und Marxismus“ trägt, Zetkin immer wieder mit rechten Ideologien in Verbindung zu bringen, etwa, indem sie angebliche „mentale Übereinstimmungen“ zwischen Zetkin und Rechten wie Ernst Jünger oder Carl Schmitt unterstellt – ein rein assoziatives, ahistorisches und ganz offensichtlich zutiefst ideologisch motiviertes Vorgehen.

Dass Zetkin im Abschlussbericht der Kommission in einem Atemzug mit NSDAP-Mitgliedern genannt wird, kommentierte die Wochenzeitung Kontext im April 2023 folgendermaßen: „Siehe da, das Totalitarismus-Gespenst manifestiert sich in Tübingen in einem harten Knoten.

Man könnte auf den Gedanken kommen, die Kommission habe überlegt: Jetzt haben wir so viele Rechte auf dem Knoten-Kieker, da muss sich doch wohl auch eine Linke beigesellen lassen. Damit die Waage halbwegs ausgelastet ist. Die Hufeisenenden sich zusammenfinden.“

Provinzposse

Das Aktionsbündnis zeigte zunächst unter Anführung historischer Quellen auf, dass die Behauptungen im Abschlussbericht der Kommission falsch waren. Das Fazit seines Fact Sheets, das auf der Website des Bündnisses (keinknoten.wordpress.com) einsehbar ist, lautet: „Die Kommission hat, was Zetkin angeht, historisch und wissenschaftlich nicht korrekt gearbeitet. Die Behauptungen, die sie gegen Zetkin anführt, sind teilweise objektiv falsch und lassen sich sogar mit den Quellen, die die Kommission selbst angeführt hat, widerlegen. Der Gemeinderat sollte der Empfehlung der Kommission in Bezug auf die Clara-Zetkin-Straße nicht folgen.“

Im März fand eine Podiumsdiskussion zum Thema statt, an der auch zwei Vertreter:innen der Kommission teilnahmen – neben Großmann der Geschichtsprofessor Bernd Grewe.

Sie konnten nicht überzeugen: Nach der Veranstaltung bezeichnete die Lokalpresse ihren Vorschlag als „Posse“ und forderte: „Lieber ein Knoten für Bismarck oder Ebert“. Für diese beiden Straßen hatten die Experten keine Markierung vorgeschlagen. Bald wurde überregional Protest laut.

Über 25 Organisationen und Einzelpersonen unterstützten das Bündnis – linke, antifaschistische, antimilitaristische und feministische Gruppen, Zetkin-Kenner:innen wie Florence Hervé, aber auch das Zetkin-Haus in Stuttgart, die Zetkin-Gedenkstätte in Birkenwerder und das Zetkin-Museum in Wiederau, die sich in öffentlichen Erklärungen gegen das Vorhaben der Stadt positionierten.

In der Erklärung des Clara-Zetkins-Hauses heißt es: „Clara Zetkin ist keine umstrittene, sondern eine international anerkannte und geachtete Persönlichkeit. Die Stadt Tübingen würde sich mit einer solchen Provinzposse international ins Abseits stellen. Wir fordern Sie auf, dieses unwürdige Spiel zu beenden.“ Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) erklärte, dass „jedwede Gleichstellung von Antifaschistinnen und Antifaschisten mit den Verbrechern und Profiteuren des Naziregimes eine untragbare und überaus gefährliche Form des Geschichtsrevisionismus“ darstelle.

In den darauffolgenden Monaten gab eine Vielzahl von Veranstaltungen und Aktionen – Vorträge, Theaterstücke, Lesungen, Kundgebungen. Im Juni fand anlässlich des 90. Todestags Zetkins, der gleichzeitig der 100. Jahrestag ihrer Rede „Der Kampf gegen den Faschismus“ war, eine ganze Aktionswoche statt.

Kein Knoten Zetkin_Gold Knoten

Zweifelhafte Methoden

Für eine regionale Kampagne war das öffentliche Interesse sehr groß. Überregional war die Tübinger Debatte in verschiedenen Medien Thema, die lokale Presse stellte fest, dass Zetkin durch den Protest „innerhalb kürzester Zeit zur bekanntesten Namensgeberin einer Tübinger Straße avancierte“.

Schon im März meldete der SWR, Teile der Vorwürfe gegen Zetkin seien „umstritten und mittlerweile zurückgenommen“. Dem widersprach die Kommission sofort. Die Wissenschaftler weigerten sich, die einmal angeführten Begründungen, die sich als falsch herausgestellt hatten, öffentlich zu revidieren. Da sie den Argumenten des Aktionsbündnisses auf der sachlichen Ebene nichts entgegenzusetzen hatten, gingen Kommission und Stadtverwaltung zum Angriff über – mit zweifelhaften Methoden: Obwohl das Bündnis ausschließlich sachlich argumentierte, versuchten sie fortan, den Protest mit angeblichen „Diffamierungen“ der Kommission gegenüber in Verbindung zu bringen.

Aufkleber mit QR-Code auf den Pfosten der Tübinger Straßenschilder mit „Knoten“ fordern zum „Mitdiskutieren“ auf tuebingen.de auf. Dort konnten über ein Onlineformular Stellungnahmen abgegeben werden. Nachdem kritische Statements nicht veröffentlicht worden waren, löschte die Stadt im Mai 2023 diesen Bereich auf der Website kommentarlos.

Später behauptete die Leiterin des städtischen Kulturamts man habe das Diskussionsforum „mit großem Bedauern“ schließen müssen: „Uns fehlen die Kapazitäten, beleidigende und verleumderische Statements redaktionell so zu bearbeiten, dass wir sie guten Gewissens veröffentlichen können.“ Nachdem das Aktionsbündnis erwirkt hatte, dass die eingesandten Stellungnahmen dem Gemeinderat vorgelegt wurden, stellte sich heraus: Dabei handelte es sich um eine glatte Lüge.

Eine angebliche Flut diffamierender Einsendungen war schlicht erfunden worden, um die Löschung des Formulars zu rechtfertigen und den Protest zu diskreditieren. Eine Rücknahme der Unterstellungen erfolgte auch in diesem Punkt nicht. Stattdessen wurde das Bündnis von Oberbürgermeister Boris Palmer aufgefordert, „den Vorwurf der Lüge“ zurückzunehmen – obschon dieser klar erwiesen ist.

Deutliche Absage

Am 26. Oktober stand schließlich die Entscheidung im Gemeinderat an. In der Sitzung verkündete die Leiter­in des städtischen Kulturamts die Argumente des Aktionsbündnisses seien „keine fundierte Gegendarstellung, da sie von Personen kommen, die nicht an den Universitäten forschen“.

Die Linksfraktion, die das Bündnis unterstützte, kündigte an, falls der Rat eine Markierung für die Clara-Zetkin-Straße entscheide, ebenfalls eine für die Bismarckstraße beantragen zu wollen. Sie war die einzige Fraktion, die Kritik am Vorgehen von Kommission und Kulturamt übte, alle anderen lobten deren Arbeit und Engagement, teilweise in höchsten Tönen – um dann trotzdem deren Empfehlungen eine deutliche Absage zu erteilen: 20 von 32 anwesenden Stimmberechtigten stimmten gegen einen „Knoten“ für Zetkin, es gab sieben Enthaltungen; nur fünf Gemeinderatsmitglieder stimmten für eine Einordnung der Clara-Zetkin-Straße als „kritikwürdig“. Dann stimmte eine knappe Mehrheit sogar spontan noch für einen „Knoten“ für die Bismarckstraße. Das Aktionsbündnis hatte sein erklärtes Ziel erreicht – und sogar übertroffen.

Anhand dieses kleinen Themas auf lokaler Ebene wurde einiges deutlich: Ganz offensichtlich spielen akademische Titel, persönlicher Ruf, Ansehen und Beziehungen eine größere Rolle als eine demokratische und sachliche Vorgehensweise im Sinne von Transparenz und wissenschaftlicher Wahrheitsfindung.

Mit dem Protest wurde auch ein deutliches Zeichen an den bürgerlichen Wissenschafts- und Politikbetrieb gesendet: „Wir schauen genau hin und lassen es nicht zu, dass unter dem Deckmantel vorgeblicher Neutralität die Geschichte verdreht wird. Clara Zetkins Kampf um Befreiung, gegen Faschismus und Krieg muss verteidigt und weitergeführt werden“, so die Sprecherin des Bündnisses nach der entscheidenden Sitzung im Gemeinderat.

Eine Chronologie der Ereignisse, eine Presseschau, das Fact Sheet, Fotos und weiteres Material finden sich unter

keinknoten.wordpress.com

November 2023