Corona-LeugnerInnen und Verschwörungs-ErzählerInnen entern Berlin

Am 1. August fand in Berlin die bisher größte Demo der Corona-LeugnerInnen und VerschwörungsmystikerInnen statt. Die Gruppierung „Querdenken 711“ aus Stuttgart hatte zu der Aktion aufgerufen unter dem Motto: „Das Ende der Pandemie – Tag der Freiheit“. Schon der Name ist Programm: Der faschistische Propagandafilm der Nazi-Künstlerin L. Riefenstahl über den Parteitag der NSDAP 1935 trägt den Titel „Tag der Freiheit“.

Ein deutschnationales Süppchen mit ImpfgegnerInnen, rechten EsoterikerInnen, Corona-LeugnerInnen, Evangelikalen, Fa-schistInnen, AntisemitInnen, Aluhüten und RassistInnen kochte Unter den Linden/Friedrichstr. Laut Polizeiangaben hatten sich 17 000 TeilnehmerInnen eingefunden.

Schon frühmorgens trudelten sie, angekarrt mit Bussen, in der Stadt ein. Einige Busunternehmen unterstützten den Hass-Protest mit dem Transport.

Demonstranten halten ein Plakat auf dem steht "Kein platz für Antisemitismus - Distanziert euch"

Viele antifa-antira Bündnisse hatten zu Stör­ak­tionen an verschiedenen Orten in der Stadt aufgerufen. Als wir uns um 9.30 Uhr für die Kundgebung der VVN 1 vor dem Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma zwischen Reichstag und Brandenburger Tor einfanden, zogen bereits Scharen von LeugnerInnen an uns vorbei.

Die VVN hatte unter der Losung „Aufstehen gegen Corona-Leugner*innen. Kein Platz für Nazis!“ zu dem Gegenprotest aufgerufen.

Pünktlich um 10 Uhr waren die Infostände aufgebaut, die Transparente an den Bäumen angebracht, Schilder verteilt und Flyer an die vorbeiziehenden TouristInnen und Covid-LeugnerInnen verteilt.

Zunächst fragten wir uns, warum die VVN sich hier platziert hatte. Im Nachhinein war dieser Platz strategisch optimal ausgewählt. Wir, ca. 100 Leute, hatten uns auf dem Weg rechts und links verteilt.

Die Covid-LeugnerInnen mussten wie im Spießrutenlauf zwischen uns durch. Sie wurden mit kritischen Reden und internationaler Musik bombardiert, mit Flyern und Zeitschriften konfrontiert, mit kurzen Agitationen angesprochen und mussten unsere Transparente und Plakate lesen.

Einige wenige blieben stehen und diskutierten, andere brüllten etwas und zogen weiter. Es blieb friedlich, keine tätlichen Angriffe.

Was uns überrascht hat, war folgendes:

Auf den ersten Blick zogen ganz normale Leute an uns vorbei. Eltern mit Kindern, Hippies mit langen Haaren und Peace-T-Shirts, biedere Paare, Menschen, die unsere NachbarInnen, unsere KollegInnen sein könnten.

Keine Glatzen, keine Hooligans und die üblichen Nazischläger, wie wir sie sonst von Nazi-Aktionen kennen. Menschen, die wir in der Einkaufsmeile, beim Arzt, beim Fitness oder Yoga antreffen. An der Kleidung erkennbar arme aber auch gut betuchte Menschen.

Als Zeichen des Protests trugen sie keine Maske. Wir dagegen als Zeichen des Gegenprotests schon.

Noch ein äußerliches Erkennungsmerkmal ist interessant zu erwähnen.

Der übergroße Teil der Corona-LeugnerInnen sind offensichtlich weiße Deutsche ab 30 aufwärts. Junge Menschen waren selten anzutreffen.

Als wir anfingen, mit den TeilnehmerInnen zu diskutieren, änderte sich das Bild schlagartig. Beispiele: Ein Mann schrie: „Corona ist mein Freund! Ich bin Arzt, ich kenn mich da aus! Corona gibt es nicht!“ Er habe sehr lange in der Charité gearbeitet. Jetzt arbeite er klinisch, was das auch immer bedeuten mag.

Eine junge Frau ging darauf ein und fing an zu diskutieren. Mein Kommentar war: „Windpocken gibt es auch nicht und Krebs gibt es auch nicht!“ Wie sollen wir mit diesen IgnorantInnen und LeugnerInnen diskutieren?

Sehr oft sagten wir zu den Vorbeiziehenden, dass sie sich schämen sollten, mit Nazis zusammen zu laufen. Die Antworten waren: Es gebe auf der Demo keine Nazis, nur friedliche Leute, Nazis seien wir selber, Meinungsdiktatur. Eine Frau meinte: „Ja, ich bin ein Nazi.“ Eine Provokation?

In längeren Diskussionen, in die wir sie verwickelten, wurde das Bild dieser Leute klar und deutlich.

Je mehr man an ihrer Fassade kratzte, umso mehr kamen ihre grässlichen, rassistischen und deutsch-chauvinistischen An­­schauungen und ihr verkorkstes Menschenbild zum Vorschein.

Wieder haben wir ein Paar davor gewarnt, mit Nazis zu paktieren und fragten, ob sie nicht wüssten, dass die OrganisatorInnen Nazis seien. Zuerst antwortete der Mann provokativ: „Ihr seid selber Nazis“, und dann: „Schämt euch! Schämt Ihr euch! Das ist Meinungsdiktatur!“

Wir entgegnen: „Was ihr Corona-GegnerInnen fordert, ist doch Entsolidarisierung. Stellen Sie sich vor, Sie werden krank und brauchen Hilfe.“ „Dafür zahlen wir doch ein“, war die Antwort. Wir: „Viele Leute müssen sich um Sie kümmern. Stellen Sie sich vor, diese bezahlten Leistungen reichen nicht aus. Sie brauchen Menschlichkeit, Zuneigung, jemand der Ihnen zuhört, das was man nicht kaufen kann. Nur Solidarität und Menschlichkeit zählt am Ende und hilft uns allen. Wir sind für Solidarität.“

Ein anderer Corona-Leugner: „Darf ich meine Nation nicht lieben? Was ist das für eine Nation?“

Wir: „Sollen wir etwa die AusbeuterInnen und UnterdrückerInnen, MenschenverachterInnen, Frauenfeinde, Vergewaltiger, KinderseelenzerstörerInnen, RassistInnen lieben? Diese Nation besteht aus Klassen. Ich bin auch gegen den Staat aber gegen den Kapitalistenstaat. “

Etliche einzelne Frauen liefen verwirrt herum und haben nach der „Querdenken Demo“ gefragt. Was ist in der Biografie der Menschen schief gelaufen, waren unsere Gedanken!

Eine dieser Frauen klagte: „Ich bin für die Informa­tionsfreiheit. Hier geht es um die Informationsfreiheit.“ „Welche Information fehlt Ihnen?“. „Ich habe kein Handy, kein online.“ „Es gibt doch Zeitungen, Zeitschriften, die man überall kaufen kann.“ „Ich bin Hartz IV.“ „Sie können sie kostenlos in jeder Bibliothek lesen. Aber welche Information fehlt Ihnen, damit Sie sich eine Meinung bilden können? Sie wissen, dass Sie hier mit Nazis, RassistInnen, zusammen laufen?“ Sie antwortet: „Ich laufe nicht mit denen, ich bin kein Nazi. Ich suche die xxx Gruppe.“

Diese Frau haben wir Wilhelmstraße, am Pariser Platz angesprochen, wo die VerschwörungsmystikerInnen mit ihren Demowagen und Trucks in die Straße Unter den Linden einbogen. Ein junger Mann, den wir zuerst nicht ganz einordnen konnten, der sich das Gespräch angehört und mit der Frau weiter diskutiert hatte, sagte etwas später zu ihr: „Da ist doch Ihr Freund, der mit der Schwarz-Weiß-Roten Fahne. Diese Gruppe haben Sie doch gesucht.“ ReichsbürgerInnen und Nazis nehmen gerne die Fahne des Kaiserreichs. Die Frau beeilte sich, dort aufzuschließen.

Etwas an der Oberfläche gekratzt, schon kommt die hässliche Fratze des Faschismus und Rassismus hervor. „Ihr mit eurem Klassenkampf, das hilft doch auch nicht“, war eine andere Meinung.

Unser Einstieg zur Konfrontation mit rassistischer Gewalt: „Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Restaurant und essen mit Ihren Kindern, dann kommt ein weißer Deutscher rein und knallt Sie alle ab.“ Der Mann: „Nee, das gibt es nicht.“ Wir: „Doch, geschehen in Hanau, neun Tote, neun Mordopfer des NSU, in Halle zwei Tote und 54 Gerettete. Ich gehe jeden Tag mit dieser Angst ins Bett. Tun Sie das auch? Berührt Sie das nicht?“. Als ich das erzähle, grinsen Mann und Frau höhnisch und laufen hinter dem Wagen hinterher.

Leute verteilen Flyer: „Entnazifizierung, Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus“, mit Bildern von lächelnden Kindern. Auf der Rückseite liest man: „endet die Zuständigkeit der Treuhandverwaltung BRD“, unterschrieben mit www.staatenlos.info. Ein Reichsbürger-Infoblatt. Rechte Rattenfänger und Demagogen.

Um 13 Uhr hatten die „Omas gegen Rechts“ zu einer Aktion an der Leipziger Straße aufgerufen. Hier haben sich auch GenossInnen beteiligt. Die Corona-LeugnerInnen, die vorbeizogen, skandierten immer wieder gegen die Parolen der AntifaschistInnen: „Ihr seid die Nazis. Wir sind gegen Meinungsdiktatur!“ und haben sie aggressiv angegangen: „Nehmt eure Scheißmasken ab“, „Das Virus gibt es nicht, alles Schwachsinn und Lüge“.

Besucht haben wir noch die Antifa-Kundgebung mit ca. 150 Protestierenden vor dem Brandenburger Tor.

TA-AktivistInnen

1 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten