29. Linke Literaturmesse Nürnberg

Eindrücke Debatten Erkenntnisse

Die Linke Literaturmesse fand vom 1. bis 3. November 2024 im Künstlerhaus mitten im Zentrum von Nürnberg statt. Etwa 65 Veranstaltungen, Lesungen und Diskussionen in fünf Räumen, ein linker Verlag neben dem anderen und ziemlich viele Antiquariate, etwa tausend Besucher:innen.

Auftakt der Literaturmesse war die Eröffnungsveranstaltung mit Podium und Diskussion am Freitagabend unter dem Titel: Rechts um – oder volle Kraft links voraus? Diskutiert haben Leyla Adil „Bund der KommunistInnen“ und Özlem Demirel, EU-Abgeordnete von Die Linke und Verdi-Gewerkschaftssekretärin.

In der Ankündigung der Veranstaltung heißt es:

Anfang des Jahres dominierte noch das ‚Demokratie gegen Faschisten verteidigen‘ zehntausender Menschen die Medien. Viele hatten Angst vor einem neuen Faschismus und protestierten gegen Rassismus und eine reaktionäre Wende. Trotzdem wächst die faschistische AfD weiter und alle bürgerlichen Parteien rücken nach rechts. Unser erster Beitrag analysiert die Lage im Kapitalismus heute und sucht Erklärungen. Wie ist die Lage? Warum ist das so? Wo führt das alles hin? Wie muß sich die Linke, angesichts trüber Gegenwart und drohender reaktionärer Zukunft positionieren?“

Özlem Demirel, Die Linke betonte, das Kapital suche nach neuen Absatzmärkten und nur eine wehrhafte Klasse könne dies durchkreuzen. Die Klasse bilde sich in Opposition zum Staatsapparat heraus, hob Leyla Adil hervor.

Der „Bund der KommunistInnen“ setze auf kommunale Selbstverwaltung im Rahmen dezentraler Stadtteilarbeit. Der gegenwärtige Rechtsruck habe tieferliegende Ursachen, der Aufstieg der AfD sei nur eines seiner Symptome. Seit der Gründung der BRD säßen Nazieliten im Staatsapparat.

Abends sind wir – wie jedes Jahr – in den Stadtteilladen Schwarze Katze zum gemütlichen Zusammensitzen mit Autor:innen, Organisator:innen, Gruppen, Organisationen…

Thema unserer Trotz alledem! Diskussions-Veranstaltung war: Kämpfen im Betrieb – Antifaschistisch + Antikapitalistisch. Von Arbeitergenoss:innen spannend vorbereitet und darauf ausgerichtet Interessierte in die Diskussion einzubeziehen, kündigten wir sie so an: In Betrieben, innerhalb der Gewerkschaftsstrukturen als Klassenkämpfer:innen gegen Angriffe des Kapitals und pseudogewerkschaftliche Spaltvereine organisieren. Grenzen der Mitbestimmung und Konsequenzen aus langjähriger Praxis in Betrieb und Gewerkschaft … dies und mehr wollen wir mit euch in dieser Veranstaltung diskutieren. Zeitschrift Trotz Alledem“.

TA Nummer 56 Betriebsleitfaden

Wir starteten Samstag früh im Raum R. In lockerer Atmosphäre diskutierten ca. 40, vor allem junge Freund:­innen und Genoss:innen über Streiks, Lage der Arbeiter:­innenklasse und die Frage wie im Betrieb kämpfen.

Das Eingangsreferat orientierte sich am 2010 erstellten Betriebsleitfaden von Trotz Alledem!1 und unserer Auseinandersetzung mit der RGO (Rote Gewerkschaftsopposition) in den 1920er und 1930er Jahren.

Erfreulich viele Arbeiter:innen haben mitdiskutiert und am Schluss die lockere Mitmach-Atmosphäre super gefunden. Unsere Veranstaltung hat sich von den anderen dadurch unterschieden, dass alle Teilnehmer:innen von Beginn an integriert waren und ein lebendiger Dialog entstand.

Danach nahmen wir an der Tagebuchvorstellung über Maurice Thorez (1900 bis 1964), UZ edition/CommPress Verlag teil. „Maurice Thorez gehörte zu den legendären Führern der kommunistischen Weltbewegung. Von 1930 bis kurz vor seinem Tod stand er an der Spitze der Kommunistischen Partei Frankreichs. Sein Tagebuch ist eine Fundgrube für alle, die genauer wissen möchten, wie ein zutiefst internationalistischer und patriotischer Kommunist jene Zeit sah und was ihn leitete.“

Arnold Schölzel erzählte, Maurice Thorez hielt sich ab 1950 in der Sowjetunion auf und begann ab 1951 mit seinen Tagebuchaufzeichnungen. Sie stehen neben den Tagebüchern Dimitroffs ziemlich allein. Nur wenige Genoss:innen der Kommunistischen Weltbewegung hinterließen Tagebücher.

Zur historischen Bewertung von Thorez wollen wir hier nur festhalten, er war eine der treibenden Kräfte, die die französische KP Frankreich auf ihren revisionistischen Kurs geführt hat.

Anschließend besuchten wir die Buchvorstellung des Verlags „Die Buchmacherei“, Mark Richter: Spuren der Solidarität. Betriebliche Organisierung ist schwer. Wir verbringen Stunden um Stunden in Gesprächen mit Kolleg*innen, führen Aktionen durch und scheitern in den meisten Fällen. Wir fallen hin, stehen wieder auf und probieren es aufs Neue. Dieser Prozess wird selten als ein Teil dessen verstanden, was Arbeiter*innen tun, um ihre Stellung im Kapitalismus zu verstehen und zu verbessern. Über Rückschläge, Erfolge und Lernprozesse in der betrieblichen Basisarbeit berichten die Autor*innen des Sammelbandes“.

Buch: Spuren der Solidarität

Diese Veranstaltung besuchten nur wenige Menschen. Mark Richter las aus dem Vorwort vor.

Hier einige Schlagworte: Klassensolidarität als Ausgangspunkt; alleine können wir nichts ausrichten; die Macht der Arbeiter:innenklasse stärken; kleine Momente der Solidarität.

Die Frage wurde gestellt: Warum es ein Buch nur über den Dienstleistungsbereich gibt, wenn es doch von der Industrial Workers of the World (IWW), (deren Mitglieder bezeichnen sich als „Wobblies“) veröffentlicht ist.

Dazu hat der Referent gesagt, dass die englische Bezeichnung irreführend sei, weil es eine allgemeine Gewerkschaft sei und nicht – wie die Übersetzung suggerieren würde – eine Industriegewerkschaft. In Deutschland organisieren sich die Wobblies überwiegend im Niedriglohnsektor.

Am frühen Abend waren wir bei der Vorstellung des Sammelbandes: Den Frieden gewinnen, nicht den Krieg von Ulrike Eifler (Hrg.) im Verlag Westfälisches Dampfboot. In der Programmvorstellung hieß es dazu: „Zur Rolle der Gewerkschaften in der Friedensbewegung. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine wird in Gewerkschaften intensiv über Krieg diskutiert. Um das Töten zu beenden, braucht es Verhandlungen. Gleichzeitig zeigen Tarifrunden, wie sich außen- und verteilungspolitische Fragen verschränken. Jeder Euro für den Krieg fehlt für Sozialpolitik, Infrastruktur, Klima. Die Gewerkschaften müssen ihre Rolle als Friedensorganisation neu definieren.

Buch: Den Frieden gewinnen, nicht den Krieg

Der Band enthält Materialien einer Konferenz von Antikriegsbewegung und Gewerkschaften in Hanau im Juni 2023. Die Referentin betonte, das Buch sei zum Organisator der gewerkschaftlichen Debatte geworden. Die innergewerkschaftliche Opposition müsse gestärkt werden, denn Deutschland rüstet offen zum Krieg.

Die Friedensbewegung sei sehr schwach und die „Zeitenwende“ ein Angriff auf die Arbeiter:innenklasse.

Das machte sie an vier Punkten fest:

– Inflationssteigerung, die nicht mehr aufgefangen werden kann

– Abbau des Sozialstaates

– Beschleunigung der ökologischen Katastrophe

– Mitbestimmung und Demokratie gehen verloren.

Ulrike Eifler ist Hauptamtliche bei der IG-Metall Würzburg und Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Betrieb und Gewerkschaft der Partei Die Linke. Ihr Fazit: Rein in die Debatte mit den Gewerkschaften. Ihr Vortrag hat die ganze Veranstaltungszeit in Anspruch genommen. Leider war keine Diskussion mehr möglich – das war sehr schade.

Kalle Kunkel, Gewerkschaftssekretär und Organisator der Streiks bei der Charité (Berlin) 2015 stellte im Glasbau sein (noch nicht veröffentlichtes) Buch „Langer Atem – keine Geduld mehr“, VSA Verlag vor. Zielgruppen sind: „Arbeits­kämpfer*innen und Aktive in Pflege und Gesundheit – und die, die es werden wollen“. Kunkel stellt die Frage: „Der Kampf um die Krankenhäuser als politischer Tarifkonflikt ökonomisiert, prekarisiert, umkämpft: Die Beschäftigten in den Krankenhäusern haben beim gewerkschaftlichen Kampf um ihre Arbeitsbedingungen Erfolge und Niederlagen erlebt. Welche Veränderungen konnten erreicht werden?

Kalle Kunkel

Für den Verfasser ist der Streik an der Charité ein herausragendes Beispiel, weil das ein offensiver Kampf gewesen war.

Der Verfasser legte dar, welche Auswirkungen der Charité-Streik auf alle weiteren Streiks in Krankenhäusern (z.B. in NRW 2018) hatte. Er war die Grundlage dafür, dass Arbeiter:innen in Krankenhäusern/Pflegeeinrichtungen überhaupt für einen Entlastungstarifvertrag kämpfen.

Wir, Trotz Alledem! legten unsere Position dar: Wir schätzten ein, dass der Streik in den Krankenhäusern in NRW (2018, 40 Tage Streik!) mutig und kämpferisch geführt wurde.

Allerdings war der Abschluss nicht nur ermutigend, denn der Entlastungstarifvertrag galt nicht für alle Gruppen in den Krankenhäusern und führte zur Spaltung in der Arbeiter:innenklasse. Wir fragten nach, ob das in dem Buch thematisiert werde. Ja, so seine Antwort. Die Spaltung sei ein großes Problem. Aber 2022 haben in NRW in den 70 Tagen Streik in den Krankenhäusern alle Berufsgruppen gemeinsam gekämpft und gemeinsam einen Tarifvertrag ausgehandelt.

Sonntagmittag fand die Diskussionsveranstaltung mit Autor Josef Freitag des Leo Jogiches-Verlags: Faschismus – Terror, Funktion, Ideologie & antifaschistische Strategie statt. Im Ankündigungstext hieß es: „Wahlsiege der AfD, Nazi-Demos gegen CSDs: Es gibt mehr als genug Anlässe über den Faschismus zu diskutieren. Zwei Fragen sind dabei zentral: Wie gelingt es dem Faschismus klassenübergreifend zu mobilisieren und wie hat eine antifaschistische Strategie auszusehen?“.

Buch: Faschismus

Der Faschismus wird als neuartige Gegenbewegung zum Kommunismus dargestellt, die Freikorps als Gegner der Arbeiter:innenklasse. Nach dem 2. Weltkrieg war die BRD keine bürgerliche Demokratie, sondern „postfaschistisch“. Dimitroffs These vom 7. Weltkongress wurde kritisiert. Er habe den Faschismus nicht genau analysiert, weil er nicht gesehen habe, wie weit und stark die Massen in das System eingebunden waren. Im übervollen Seminarraum waren zumeist ganz junge Menschen, um einer Analyse zuzuhören, die in weiten Teilen falsch war. Der Kommunistische Aufbau (KA) hat nicht verstanden, dass Dimitroff in seiner Faschismus-Analyse nichts anderes sagt, als dass der Faschismus eine Form der Diktatur des Finanzkapitals und zwar die offen terroristische ist. Im Gegensatz zur bürgerlich-demokratischen Form der Diktatur der Bourgeoisie.

Auch die These Westdeutschland sei nach 1945 postfaschistisch gewesen, ist einfach falsch. Errichtet wurde eine bürgerliche Demokratie, die teils maßgeblich noch mit Faschist:innen in allen gesellschaftlichen Bereichen durchsetzt war. Die bürgerliche Demokratie nutzt immer auch faschistische Methoden. KA hat nicht verstanden, was bedeutet „der Faschismus an der Macht“ und was bedeutet „eine faschistische Partei an der Macht“. Wir haben ihre Position sehr freundschaftlich kritisiert. Auch Freund:innen von der FDJ (Freie Deutsche Jugend) haben kritisiert, KA hätte den Faschismus nicht richtig analysiert.

Als letzte Veranstaltung bei dieser Literaturmesse haben wir die Veranstaltung von Johannes Zang über sein Buch besucht: Kein Land in Sicht? Gaza zwischen Besatzung, Blockade und Krieg erschienen im PapyRossa Verlag. Zang ist Journalist und hat mehrere Jahre in Palästina gearbeitet. Er berichtete zur Geschichte und Gegenwart des Gazastreifens. Leider konnte auch hier nicht diskutiert werden, weil keine Zeit mehr übrig war.

Kein Land in Sicht

Es konnte nur eine Frage gestellt werden: „Wie ist denn die Lage in Palästina seit dem Verbot der UNRWA?“. Der Journalist berichtete bei der UNRWA arbeiten mehr als 10 000 Menschen. Die Lage der notleidenden Bevölkerung sei nun noch viel drastischer. Eine sehr faktenreiche und zugleich uns sehr erschütternde, wütend machende Veranstaltung.

Die 29. Linke Literaturmesse: Ein Lichtblick in diesen düsteren Zeichen. Wie jedes Jahr war mal wieder alles gut organisiert. Die Veranstaltungen liefen gut, Schlafplätze waren organisiert und leckeres Essen wurde angeboten. Die Verlage, Gruppen und Antiquariate hatten untereinander eine sehr gute Nachbarschaft.

Vielen herzlichen Dank an die Orga-Gruppe!

TA-Aktivistin November 2024

1 TA Nr. 56, Dezember 2010