Kundgebung mit anschließender Demonstration in Baden-Württemberg
Seit durch den Brand im Camp Moria im September 2020 sich kurzzeitig viel mediale Aufmerksamkeit und Proteste gegen die menschenunwürdigen Zustände in den Lagern entwickelte, wurde dieses Thema wieder aus der Öffentlichkeit verdrängt.
Jetzt, Dezember 2020, ist das Thema wieder aktuell geworden: Frontex, die Europäische Grenzschutzagentur, mit milliardenschwerer Finanzierung, ist mindestens seit April in der Ägäis an illegalen „Rückabschiebungen oder Zurückschiebungen“ (sogenannte Pushbacks) von MigrantInnen durch die griechische Küstenwache direkt beteiligt.
Konkret bedeutet das: Geflüchtete, die von der Türkei aus, griechische Inseln erreichen oder in deren Nähe kommen, werden häufig mit Waffen bedroht und Richtung Türkei zurückgedrängt. Der Motor der Schlauchboote wird oftmals beschädigt.
Die europäischen Staaten wollen mit allen Mitteln die Flucht von Menschen aus krisen- und kriegsgeschüttelten Ländern unterbinden. Mit militärischen und polizeilichen Mitteln. Griechisches Militär und Polizei schleppen Menschen systematisch aufs offene Meer. Mit tatkräftiger Unterstützung von deutschen Bundespolizeieinheiten.
Laut Bundesinnenminister Horst Seehofer „verteidigen griechische Sicherheitskräfte an der Grenze zur Türkei die ‚Integrität Europas‘ und deutsche Bundespolizisten sollten sie im Rahmen der Mission der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex dabei unterstützen.“
Die Redebeiträge beleuchteten die prekäre medizinische Versorgungslage in den Camps und auf der Flucht. Darüber hinaus wurde auch die Abschottungspolitik der EU und deren Mitschuld an Fluchtursachen durch Rüstungsexporte in Kriegsgebiete und das Vorantreiben der Klimakrise angeprangert.
Außerdem wurde thematisiert, wie die rassistische Ideologie und die Innere Faschisierung in der gesamten EU dazu führt, dass die Stimmungsmache gegen Geflüchtete immer mehr gesellschaftlichen Anklang findet, anstatt dass sich um die Aufnahme fliehender Menschen gekümmert wird. Daher wurde die Forderung nach Entkriminalisierung von Seenotrettung und anderen aktivistischen Organisationen laut.
Während der Kundgebung und Demonstration, an der etwa 300 Menschen teilgenommen haben, haben alle auf Hygienevorschriften geachtet.
Vorweg:
Wir haben zwar an folgender Rede Kritiken an einigen Punkten, müssen aber auch klar darlegen, dass es sich um eine Bündnisrede – was nun immer auch mit Kompromissen einhergeht – handelt. Wir benutzen z.B. das Wort „Rechte“ nicht. Für uns sind das FaschistInnen. Wir finden auch nicht richtig zu sagen: „In ganz Europa findet ein Rechts-Ruck statt.“ Wir würden sagen: ein Prozess der Faschisierung im Staat und in der Gesellschaft. Auch halten wir es für verkürzt zu sagen: Wir kämpfen gegen FaschistInnen. Und wir kämpfen gegen die europäische Politik. In erster Linie kämpfen wir gegen den deutschen imperialistischen Staat und den EU-Imperialismus!
Wir dokumentieren hier die Rede des
„Offenen Treffen gegen
Rassismus und Faschismus“
Zu viele Menschen auf zu kleinem Raum, Corona, Ausgangssperren, Kochverbot, Ratten, Stürme und Überschwemmungen, leben in Zelten ohne Boden. Das ist die Realität von zigtausenden von Menschen in Geflüchtetenlagern in Moria, Ritsona oder auf Lampedusa. Nachdem sie den Weg Richtung vermeintlich sicheren Boden in sogenannte Wohlstandsländer überlebt haben, muten die europäischen Regierungen den Schutzbedürftigen Bedingungen zu, die schlimmer sind als im Knast.
Denn: Niemand will Verantwortung für die Menschen übernehmen, deren Lebensgrundlage und Perspektive man zuvor wegen Kapitalinteressen zerstört hat. Und jetzt? Wenn es um Verantwortung für Menschenleben geht, ist die Europäische Union plötzlich nicht mehr so arg Union.
Stattdessen ruhen sich Mitgliedsstaaten ohne Mittelmeerstrand darauf aus, dass ein absurdes Dublin-Abkommen Italien und Griechenland die alleinige Verantwortung zuschiebt. Und sehen tatenlos zu, wie Italien und Griechenland denken, sie könnten Menschen durch die Lebensbedingungen in ihren Lagern von der Flucht abbringen.
Auch Deutschland hat kaum Menschen aus den Lagern gerettet, nicht einmal als die Krätze ausgebrochen ist, nicht einmal als Corona ausgebrochen ist, nicht einmal als das Lager Moria abgebrannt ist.
Aber das Dublin-Abkommen ist noch nicht schamlos genug:
Außerdem treffen die EU-Staaten Abkommen mit der Türkei und Libyen. In der Hoffnung darauf, dass sie ihnen die Zuständigkeit für Fliehende abnehmen.
Dabei nimmt die Friedensnobelpreisträgerin Europäische Union in Kauf, dass Menschen gefoltert, versklavt und zurück in Kriegsgebiete geschickt werden.
Doch wie kann es sein, dass man Menschen wie Ungeziefer behandelt, das bekämpft werden muss? Komischerweise wird nur die Mobilität und Migration von bestimmten Menschen kriminalisiert. Nämlich zum Beispiel von den Menschen, denen man eine “islamische Kultur” zuschreibt. Diese “Kultur” ist vermeintlich von anderen “Kulturen” abgrenzbar. Dadurch kann man sie auch in vermeintlich “bessere” und “schlechtere” unterteilen. Wobei mit “schlecht” immer auch das Merkmal “kriminell” einherzugehen scheint.
Darauf fußt auch die Angst davor, Geflüchtete würden ihre “Kultur mitbringen” wie in einem Koffer und damit “unsere Kultur” – was auch immer das sein soll – verdrängen. Durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultur erwerben die ihr untergeordneten Menschen angeblich das Recht, an bestimmten Orten der Welt zu leben. Sie sind jedoch dementsprechend an anderen Orten, zum Beispiel in Europa, unerwünscht.
Tatsächlich sind kulturelle Praktiken aber ständig im Austausch, verändern sich kontinuierlich und sind – auch wenn die CSU das gerne so hätte – nicht mit Leitmerkmalen definierbar. Die Ideologie, die die Festung Europa vertritt und auf der sie ihre Politik aufbaut, bietet einen Nährboden für FaschistInnen. Das eben beschriebene Kulturverständnis teilt zum Beispiel auch die extrem rechte Gruppierung namens „Identitäre Bewegung“ (IB).
Zurück zu Moria:
Im März diesen Jahres öffnete Erdoğan die Grenze zu Griechenland. Die griechischen Grenzsoldaten reagierten mit Tränengas und Rauchbomben auf die Geflüchteten. »Nie wieder 2015« – unter diesem Motto riefen extreme Rechte aus ganz Europa dazu auf, gegen Geflüchtete an der türkisch-griechischen Landgrenze und auf Lesbos vorzugehen.
So waren der bekannte IB-Faschist Mario Müller sowie der extrem rechte Blogger Oliver Flesch, ehemaliger Bildautor und NPDler Jonathan Stumpf sowie weitere 15 Rechte aus Europa auf Lesbos. Dort wollten sie sich als „Grenzschützende“ und „Rettende der Einheimischen“ inszenieren, konnten aber durch Antifaschist*innen aufgehalten und vertrieben werden.
Auch die österreichische IB unter Martin Sellner und Brittany Pettibone posierte mit einem Banner, das die Aufschrift »No way. You will not make Europe your home« trug, nahe der türkisch-griechischen Grenze.
Dank der griechischen Antifas war den Faschos nur Propaganda möglich. Auch wenn schlimmeres verhindert werden konnte, aktiver Widerstand gegen Rechts ist wichtiger denn je.
Eine rechte Partei im Bundestag, rechte Netzwerke bei Polizei und Bundeswehr. Das Horten von Waffen sowie rechtsterroristisch und rassistisch motivierte Angriffe auf und Morde an Menschen, denen das Adjektiv deutsch verwehrt wird sind mittlerweile Alltag.
In ganz Europa findet ein Rechts-Ruck statt, rechte Parolen haben wieder einen Platz am Stammtisch und im Büro.
Indem die bürgerlichen Parteien Zustände wie in Moria nicht verhindern bzw. beenden, tragen sie diesen Rechts-Ruck mit und sind für die Ermordung unzähliger Menschen verantwortlich!
Für uns ist klar: Wir kämpfen gegen FaschistInnen. Und wir kämpfen gegen die europäische Politik. Nieder mit der Festung Europa! Die Lage in den Geflüchtetenknästen wird von Tag zu Tag brutaler. Jeden Tag müssen mehr Menschen elendig verrecken.
Deshalb: Stoppt die Kriminalisierung von Flucht.
Migration muss sicher und legal funktionieren können.
Wir fordern die Evakuierung aller Lager; holt da endlich die Menschen raus!
Hoch mit der internationalen Solidarität!